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Die Zwölf-Uhr-Orte

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An der nächsten Kreuzung
Das war der Plan: Kein Silvesterunternehmungsstress, sondern entspannt zu Hause feiern. Gute Gespräche beim Raclette, zwischendurch Bleigießen und Dinner for One. Höhepunkt: Um Mitternacht kurz vor die Haustür, das Feuerwerk angucken und mit den netten Nachbarn aus dem Dritten aufs neue Jahr anstoßen und Wunderkerzen schwenken. Anschließend bald ins Bett und unverkatert ins neue Jahr starten, mit frisch gepresstem O-Saft und Joggingrunde (Vorsätze!).
So ist es wirklich: Das rituelle Vorprogramm ist etwas langweilig, aber okay. Um zwölf kann aber niemand die Wunderkerzen finden, erster echter Downer. Draußen an der Kreuzung triffst du statt der netten Nachbarn (feiern dieses Jahr in einer Berghütte) an näher bekannten Gesichtern nur den Hausmeister, ordentlich angesäuselt.
Mit wem stößt du an? Mit Frau Fuchs aus dem ersten Stock, die immer deine Pakete annimmt.
Gefahrenpotenzial: Besteht in der jovial-bestimmt vorgetragenen Einladung der Hausmeisterfamilie, noch auf ein Gläschen bei ihnen vorbeizuschauen, die du nicht ausschlagen kannst, wenn du dich weiterhin wohl fühlen willst in deiner Wohnung. Endet mit sehr viel Schnaps und allerschlimmstenfalls dem Vortrag politischer Überzeugungen, von denen du lieber nichts gewusst hättest.
Wohin geht’s danach? Ins Bett.



Auf der Reichenbachbrücke
Das war der Plan: Zentraler, cooler, gentrifizierter und näher an den Clubs geht es nicht. Außerdem: Isar, ist gleich automatisch romantisch und auf der Brücke hat man einen guten Blick in fast alle Richtungen für Feuerwerks-Bestaunung.
So ist es wirklich: Voll. Sehr, sehr voll. Und um Punkt zwölf Uhr legt sich ein undurchdringlicher rötlicher Nebel über die Szenerie, durch den die Raketen kaum noch durchscheinen. Man wird von wogenden Menschenmassen über die Brücke getragen, sucht verzweifelt die Freunde, mit denen man kam, und muss höllisch aufpassen, dass man nicht von Querschlägern getroffen wird. Großes Gejohle ertönt immer dann, wenn Busse oder Trambahnen versuchen, die Brücke zu überqueren.
Mit wem stößt du an? Anstoßen kann schwierig werden, dafür kann man mit spitzer Schnute Sekt dem Sektkelch des Nebenmanns Rotkäppchensekt „schnorren“. Der findet das bestimmt nicht so schlimm, ist er doch als zugezogener Rheinländer eh der Meinung, dass die Münchner viel zu selten auf fremde Menschen zugehen.
Gefahrenpotenzial: Relativ hoch, weil die Brücke eng ist und die Fluchtwege beschränkt sind. Und immer wieder irgendwelche bekoksten Idioten Böller und Raketen in die Menge schmeißen, obwohl sie eigentlich wissen müssten, dass das Glockenbachviertel auch in dieser Hinsicht „so not Berlin“ und dementsprechend überhaupt nicht amüsiert ist.
Wohin geht’s danach? Wer nicht zu Gast bei einer coolen WG-Party am Gärtnerplatz ist, der versucht es erst vergeblich ins „Holy Home“, steht dann kurz ratlos am Gärtnerplatz rum und findet anschließend in einer der dutzenden Bars rundum einen winzigen Stehplatz zum Weiterfeiern.


Die Dachterrasse
Das war der Plan: Über allem stehen, alles sehen, die ganze Feuerwerks-Pracht im Panorama-Modus – das will man gerne, am liebsten allerdings, ohne um 23 Uhr auf den Olympiaberg oder eine andere Erhebung zu kraxeln, nur um dort dann mit Hunderten von anderen zu stehen, die dieselbe Idee hatten und obendrein selbst so viel in die Luft ballern, dass vor lauter Rauch und Raketennebel gar nichts ist mit Panorama-Modus und Glitzerstadt. Glücklicherweise kennt man um ein paar Ecken diesen Menschen mit der Wahnsinnswohnung in Obergiesing. Seine Oma hat schon drin gewohnt, uralter Mietvertrag, total bezahlbar, und, tadaa, fette Dachterasse! Jahrelang hat man sich gewünscht, dass der endlich mal eine Silvesterparty macht und einen einlädt. Ganz toll würde das werden mit dem Blick von da oben!
So ist es wirklich: Die Wohnung ist geräumig, die Party so, wie eine gute Wohnungsparty sein sollte. Aber die vielen Menschen, die von der Aussicht auf die Superaussicht angelockt wurden, passen dummerweise nicht alle gleichzeitig auf diese Terrasse. Erstens, weil sie doch nicht so riesig ist, wie man sie von einem Grillabend vor zwei Jahren in Erinnerung hatte. Zweitens, weil ein knappes Fünftel des Platzes für die Abschussrampen draufgegangen ist, die Peter, Michl und der Waschti schon um 22 Uhr begonnen haben aufzubauen. Kurz vor 12 strömen natürlich trotzdem alle raus, es ist eng, und wenn man nicht einen Platz in der ersten Reihe ergattert hat, sieht man mehr Köpfe als Panorama beim Feuerwerk. Und diese Kirche da hinten ist auch irgendwie im Weg.
Mit wem stößt du an? Mit Karl und Johanna, die zufällig neben dir stehen. Zu deinen engsten Freunden kommst du nicht durch.
Gefahrenpotenzial: Aufgrund der erhabenen Position läuft man nicht Gefahr, Böller- oder Raketenangriffen von anderen Feiernden ausgeliefert zu sein. Gefährlich sind eigentlich nur Peters Abschussrampen.
Wohin geht’s danach? Beim Dachterassenmenschen geht irgendwann das Bier aus. Unter den vielen Gästen, die ihn auch um ein paar Ecken kennen, ist aber einer, der manchmal als Barkeeper arbeitet, das halbe Nachtleben kennt und einen jetzt noch mit auf eine Clubrunde nimmt.


Auf der Treppe vom Nymphenburger Schloss
Das war der Plan: Von Prunkarchitektur eingerahmt stilvoll den Jahreswechsel begehen und dabei auf den Stufen leicht erhöht eine tolle Sicht auf den ganzen Münchner Westen haben.
So ist es wirklich: Ziemlich dunkel und mit toller Sicht auf irgendwas ist es auch nichts – so hoch ist die Schlosstreppe dann doch nicht. Außerdem ist man natürlich nicht der Einzige, der diesen Plan gehabt hat, die besten Plätze sind längst weg. Dafür kommt aber aus dem Nichts ein Hornbläser-Quintett und bläst einmal kurz in die Nacht.
Mit wem stößt du an? Mit dem Lodenjackenträger aus Gern und der Freundin eines Hornbläsers.
Gefahrenpotenzial: Gering, die mitgebrachte Pyrotechnik der Schlossfreunde erschöpft sich meistens in Wunderkerzen oder auch nur: Kerzen.
Wohin geht’s danach? 15 Minuten nach Mitternacht ist der Schlossvorplatz weitgehend wieder leer und man schaut beim Heimweg noch beim Ruffini vorbei. Aber da sind nur die, die immer da sind.


Die Berghütte
Das war der Plan: Ab Ende Oktober befällt die ganze Stadt die gleiche vage Sehnsucht und die lautet: Silvester in einer Berghütte! Die Vorstellung ist aber auch zu verlockend. Mit Freunden durch zwei Meter Schnee zur urgemütlichen Hütte stapfen, Ofen einheizen, wahnsinnig viel lachen, Schneeballschlacht und gemeinsames kochen, Bleigießen nebst Hirschgeweih und um Mitternacht ein gigantisches Feuerwerk im Tal!
So ist es wirklich: Gar nicht. Weil es diese Hütten zwar gibt, es sich mit ihnen aber verhält wie mit Bierzeltboxen auf der Wiesn – die anderen waren immer schon schneller beim Reservieren. Hat man doch mal einen Platz ergattert, entpuppt sich die Alpenromantik meist als ziemlich nüchternes Geschleppe und Improvisieren, an dessen Ende man auf der Zirbelholz-Eckbank schläft. Und vom Feuerwerk im Tal sieht man nichts, wegen Nebel.
Mit wem stößt du an? Mit Alpenvereins-Typen, die auch an Silvester lieber beim Weißbier bleiben (isotonisch).
Gefahrenpotenzial: Je nach Lawinenwarnstufe und Steilheit des Geländes durchaus beträchtlich.
Wohin geht’s danach? Ganz klar: Zurück in die Hütte.


Text: jetzt-redaktion - Foto: Samuel Prost / photocase.com

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