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Kleben gegen Rechts

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Ein Hakenkreuz wird in einen Mülleimer geworfen oder von einer Faust zerschlagen – diese Motive sind die gängigsten, wenn jemand dem Rechtsextremismus mit einer optischen Botschaft entgegentreten will, sie hängen als Aufkleber tausendfach an Straßenschildern, Häuserwänden, Schultaschen und an Türen von Clubtoiletten. Diese Motive sind Klassiker, ihre Aussage ist eindeutig. Trotzdem, ein bisschen Abwechslung kann nicht schaden.  

Diese Woche ist ein Wettbewerb zu Ende gegangen, der für solche Abwechslung sorgt: „Sticker gegen Rechts“ heißt er, zum vierten Mal hat INnUP, eine Onlinedruckerei aus Bremen, ihn ausgerichtet. Jeder kann einen Designvorschlag hochladen, auf der Internetseite wird abgestimmt und so ein Gewinner ermittelt. Der bekommt 2000 Aufkleber kostenlos zugeschickt, Platz zwei und drei und die anderen Teilnehmer eine kleinere Anzahl. Der Wettbewerb ist ein Marketinginstrument für das Unternehmen, er schafft Aufmerksamkeit und bringt Traffic auf die Internetseite. Das gibt Firmengründer und Geschäftsführer Philipp Bock ganz offen zu. Aber, sagt er, er und sein Partner kämen „aus einer linken Vergangenheit“, und man habe man sich neben anderen Wettbewerben auch „einen politischen Strang ausgedacht“.  

Sticker sind ein beliebtes Kommunikationsinstrument, ob für Marken, Bands, Clubs, Parteien oder Protestierende. Sie sind handlicher als Plakate, lassen sich einfacher verteilen, verschicken und anbringen. Sie sind nicht so leicht abzureißen, landen nicht wie Flyer im Mülleimer.  

Bei „Sticker gegen rechts“ wurden dieses Jahr etwa 150 Vorschläge eingereicht, mindestens doppelt so viele wie 2011, sagt Philipp Bock. Ein Motiv zeigt einen Handschlag zwischen einer weißen und einer schwarzen Hand, „Strong Together“ steht darunter. Auf einem anderen fliegt ein Superman mit durchgestrichenem Hakenkreuz in den Kampf gegen den Faschismus. Es gibt ernste Motive, wütende, und humorvolle mit Augenzwinkern – in den vergangenen Jahren schafften es vor allem letztere auf die vorderen Ränge.  

Dieses Jahr aber hat ein Stickermotiv das Rennen gemacht, das auf den ersten Blick sehr kryptisch wirkt: Drei schwarze Mondsicheln in einem roten Kreis sind zu sehen, sie werden von einer roten Faust zertrümmert, wie man sie aus den klassischen Motiven gegen Nazis kennt. Drüber steht: Faşizme geçit yok!



Die Parole ist türkisch und bedeutet so viel wie „Kein Fußbreit dem Faschismus", die Monde sind das Symbol der türkischen Partei Milliyetçi Hareket Partisi (deutsch: Partei der nationalistischen Bewegung). Ihre Anhänger sind auch bekannt als „Graue Wölfe“, sie gelten als rechtsextrem und werden in mehreren Bundesländern vom Verfassungsschutz beobachtet. Ihre Ideologie ist nationalistisch, in einer Broschüre des Innenministeriums mit dem Titel „Wer sind die Grauen Wölfe?“ (hier als PDF) ist von einem übersteigerten Nationalbewusstsein die Rede, „das die türkische Nation sowohl politisch-territorial als auch ethnisch-kulturell als höchsten Wert ansieht. Andere Nationen und ihre Angehörigen, deren Rechte und Interessen mit den türkischen tatsächlich oder vermeintlich in Konflikt stehen, werden propagandistisch herabgesetzt und verunglimpft.“ Der Politologe Kemal Bozay schreibt, dass der Einfluss der Grauen Wölfe in Deutschland seit den Neunzigern anwachse, von den Behörden aber immer noch verharmlost werde. Vor allem unter Jugendlichen haben die Wölfe dem Wissenschaftler zufolge eine wichtige Basis aufbauen können. 

„Die Grauen Wölfe sind immer wieder aktiv, wenn es Konflikte in der Türkei gibt, zum Beispiel mit Kurdistan, und deswegen auch bei uns große Demos stattfinden“, sagt Ingo Mertens von der Antifaschistischen Aktion Hannover (AAH), die den Gewinner-Entwurf eingereicht hat. „Auch wenn viele Weiße das nicht mitbekommen – wir wissen aus Gesprächen mit türkischen und kurdischen Linken, dass die Grauen Wölfe durchaus präsent sind.“ Der 28-Jährige berichtet von eingeschlagenen Scheiben eines linken türkischen Vereins in Hannover, die wahrscheinlich Anhängern der Wölfe zuzurechnen sind. Mit dem Aufkleber habe die AAH Aufmerksamkeit für diese weniger bekannte Form des Faschismus schaffen wollen. In dem Erklärungstext zum Aufkleber heißt es, er solle zeigen „dass wir nicht nur gegen NPD, Freie Kameradschaften usw. sind, sondern auch etwas gegen türkische Faschist_innen haben.“  

Die AAH hat den Sticker in einer kleinen Auflage schon selbst produziert. „Die waren im Nu weg, es gab auch Interesse aus anderen Städten“, erzählt Ingo Mertens. Deshalb habe man es bei „Sticker gegen Rechts“ eingereicht. „Dass wir da gewonnen haben, zeigt, dass es Interesse gibt und eine Sensibilität für das Thema da ist.“  

Philipp Bock von INnUp hingegen war ziemlich überrascht, dass ausgerechnet ein Sticker, der sich mit einem, sagen wir: Randaspekt des Rechtsextremismus in Deutschland befasst, die Abstimmung gewonnen hat.  Er hatte eher mit einem Sieg des Superman-Motivs gerechnet.

Text: christian-helten - Bild: AHH

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