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Mädchen, wie sehr müsst ihr noch Feministinnen sein?

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Die Jungsfrage

Alice Schwarzer wird 70 und die Zeitungen sind voll von alten und neuen Feminismus-Anekdötchen, in den Blogs wird einmal mehr für oder gegen sie Stellung bezogen, das prinzipielle Lebenswerk gewürdigt, das Spätwerk eher bekrittelt - so hält man das ja gemeinhin mit Frau Schwarzer. Gleichzeitig erreichen uns in dieser Woche die Einschätzungen der in Sachen Feminismus bisher nicht sonderlich aufgefallen Katy Perry und Carla Bruni zum Thema. Perry, immerhin offiziell “Woman of the Year“, gab zu Protokoll, sie sei keine Feministin, da schließlich jede alles sein könnte, wenn sie nur an sich glaubte. Frau Bruni blies ins gleiche Horn: „In meiner Generation ist es nicht notwendig, Feministin zu sein“, sagte sie der Vogue. Und außerdem schätze sie das bürgerliche Familienleben.
Letzteres ist ja, wenn man sich recht erinnert, einer der Gründe, warum der Feminismus überhaupt entstand – prompt kam es auch zu deftigen Zurechtweisungen im Netz und Frau Bruni-Sarkozy ruderte in die Meinungsmitte zurück.

Jetzt ist mir und uns durchaus bewusst, dass zu kaum einem anderen Thema schon mehr gedacht, geschrieben, dissertiert und dilettiert wurde und angelegentliche Shitstorms sonder Zahl übers Land gingen. Trotzdem, unter dem Eindruck dieser Woche, in der das Wort „Feministin“ von allen Seiten überwiegend wie „Museumswärterin“ betont wurde, fragen wir noch einmal: Wie sehr, wo und wann seid ihr heute noch Feministinnen, so im Durchschnitt? Ist das eine Zusatzausbildung, die man bewusst als Frau irgendwann mal für sich macht oder ist das mehr so ein Gruppending, Gruppendruck vielleicht sogar? Seid ihr es nicht eigentlich automatisch, so in der Art wie wir heute automatisch uns auch alle ein bisschen mit Computern auskennen? Wollt ihr es sein, bedauert ihr es in gewissen Situationen nicht feministischer zu sein? Oder sagt ihr: Halt die Klappe, Fabian und lass uns mit der ollen Kackscheiße in Ruhe?



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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Die Mädchenantwort

Ohje. Bei der Frage kann es einem schon ganz schön schwer ums Herz werden. Schließlich gibt es bei allem rund um das Stichwort unzählige Fallstricke und Fettnäpfchen, die man vor den Augen kritischer Geschlechtsgenossinnen und bösartigen Männerrechtlern umgehen muss. Aber was hilft’s, das Thema ist zu wichtig, um feige zu sein.  

Damit ich hier nicht ganz alleine dastehe mit meinen Thesen, begehe ich gleich mal einen Journalisten-Faux-Pas und zitiere als allererstes den Wikipedia-Artikel zum Thema. Dort steht in der ersten Zeile folgendes: „Feminismus ist das Bekenntnis zur politischen, ökonomischen und sozialen Gleichheit der Geschlechter.“ Ich stimme mit dieser Begriffsdefinition zu hundert Prozent überein und wage mal zu behaupten, dass alle Frauen und fast alle Männer ebenfalls der Meinung sind, dass es eine politische, ökonomische und soziale Gleichheit der Geschlechter geben sollte. Auch Frauen wie Carla Bruni oder Katy Perry. Und trotzdem wollen sie keine Feministinnen sein. Weshalb die Vermutung naheliegt, dass Feminismus für sie möglicherweise eine andere Bedeutung hat, eine, mit der sie nichts zu tun haben wollen. Womöglich assoziieren sie mit dem Begriff Verbissenheit, das Gegenteil von Spaß, das Verbot, aus seinen BHs Sahne zu sprühen, eine Missbilligung gegenüber bourgoisen Lebensentwürfen, in denen die Eroberung berühmter Männer eine große Rolle spielt. Vielleicht haben sie auch Angst, sich mit der Bekenntnis zum Feminismus in der Öffentlichkeit zu kantig zu positionieren.  

Abgesehen von Carla Bruni kenne ich das öffentlich bekundete Nicht-Feministin-Sein eigentlich nur von Mädchen und sehr jungen Frauen. Die dann im Laufe ihrer Zwanziger fast unweigerlich eine kleine Feminismus-Evolution durchmachen. Es ist ja auch verständlich: solange man keine Ungleichheit wahrnimmt, solange interessiert man sich nicht für die Bekämpfung derselben. Weshalb die feministische Menschwerdung der meisten Frauen in dem Moment anfängt, in dem sie ihren ersten Job antreten und zum ersten Mal persönlich konfrontiert werden mit einer Arbeitswelt, in der es auch 2012 noch den sogenannten Gender Pay Gap von 23 Prozent gibt (und acht Prozent des Gehaltsunterschiedes lassen sich durch Teilzeit und verhandlungsfaule Frauen und ihre falsche Berufswahl nicht rausrechnen, so sehr sich manche Herren da auch Mühe geben) und in der Führungsriege der allermeisten Unternehmen keine bis eine Frau sitzt und dass sie nur mit sehr viel Glück von ihren Vorgesetzten gefördert werden. Richtig interessant wird es auch, wenn die Frauen überlegen, Kinder zu bekommen und die Elternschaft mit ihrem Beruf und den häufig erstaunlich althergebrachten Vorstellungen ihres Partners in Einklang zu bringen.  

Eine weitere Vermutung, warum Frauen sich manchmal schwer tun mit dem F-Wort: Es gibt einige Strömungen innerhalb der Frauenbewegung, die von außen betrachtet extrem anstrengend und oft auch sehr exklusiv erscheinen. In manchen dieser Milieus wird eine so akademisch-komplizierte Sprache gepflegt, dass viele Frauen gar nicht mehr verstehen, worum es geht und sich davon abschrecken lassen.  Und natürlich ist Alice Schwarzer, so viel sie getan hat für die feministische Bewegung in Deutschland, eine extrem schwierige Galionsfigur, weil sie es ums Verrecken nicht fertig bringt, ein paar Schritte zurückzutreten und anderen Frauen die Bühne zu überlassen.  

Das alles mögen Gründe dafür sein, warum sich manche Frauen ausdrücklich nicht Feministinnen nennen. Und ich plädiere auch dafür, ihnen das Recht zuzugestehen, sich ausdrücklich vom Feminismus zu distanzieren. Es besteht in dem Verein ja keine Beitrittspflicht qua Geschlecht. Höchstens qua Gehirnleistung.   

christina-waechter

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