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Gegen das Erbe von Lara Croft

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Vor kurzem habe ich mal wieder ein Videospiel angespielt: ein Auto-Rennspiel. Man muss nicht nachdenken. Einfach fahren. Natürlich im Wettkampf. Mein virtueller Computer-Gegner in der Challenge war ein junges Mädchen. Dem Aussehen nach, wäre sie im wahren Leben wahrscheinlich in meinem Alter gewesen. Mitte 20. Eine Südländerin. Mit einem Faible für laute Motoren, Strapse und knappe Röcke. Ein Mädchen der Sorte „rassige Schönheit“ aus „The Fast and the Furious“, dem schrottigen Straßenrennen-Kinoklassiker aus dem Jahr 2001, in dem barbusige Frauen am Streckenrand den testosterongesteuerten Fahrern zujubeln und sich akrobatisch zu der Musik von Ludacris auf den Motorhauben der Sieger räkeln. In der Realität wird dieses Klischee sicherlich nicht mal auf einem VW-Tuning-Treffen so überspitzt ausgelebt.

Wenn in Computerspielen Frauen auftauchen, sehen sie meist aus wie diese Dame aus dem Trailer für das Spiel "Dead or Alive".

Wie der Film hat auch das Spiel wenig mit dem wahren Leben zu tun. Das sieht man nicht nur an der Tatsache, dass ich mit meinem Auto getrost mit 300 Sachen in die Leitplanke rasen kann, ohne dass der Wagen auch nur einen Kratzer abbekommt. Auch das darin zur Schau gestellte und verzerrte Frauenbild schürt Zweifel. Während man das Gefühl hat, dass man heutzutage im Kino weitestgehend von allzu plumpem Sexismus verschont wird, hat sich in der Videospiel-Branche im vergangenen Jahrzehnt dahingehend ganz offensichtlich nichts verändert. Nicht zuletzt seit Lara Croft in kurzen Hotpants und engen Tops Gräber nach Schätzen und Artefakten durchsucht hat, schwirrt dieser Nimbus des Sexismus über den Spiele-Schmieden. In jüngster Zeit manifestiert durch Games wie „Forza Horizon“ oder das einem Softporno ähnliche Beat-'em-up-Videospiel "Dead or Alive", für das die Entwickler sogar eine eigene Mechanik für das perfekte Hüpfen der weiblichen Brust erfunden haben. Schon der SPON-Kolumnist Carsten Göhrig bemerkt: In der Videospielszene herrscht die Männerwelt. Mädchen sind selten mehr als nur schmückendes Beiwerk.

Dabei scheint augenscheinlich zumindest in der Gamer-Szene alles gut zu sein. Der Anteil der Spielerinnen nimmt stetig zu. In Deutschland sollen es laut einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung sogar 44 Prozent, also in etwa 10,6 Millionen Frauen sein. Somit fast die Hälfte. Einer dieser Gamerinnen ist Almud Auner. Sie spielt bereits seit ihrer Kindheit Videospiele und bloggt auf glamgeekgirl.net unter anderem über die Rolle der Frauen darin – wenn auch in den letzten Monaten aus Zeitgründen etwas weniger. Almud ist sich bewusst, dass Vorurteile nach wie vor bestehen, schaut aber optimistisch in die Zukunft und sagt: „Zwar befinden sich Spielerinnen, die sehr viel und fast ausschließlich Core Games spielen, nach wie vor in Männerdomänen, jedoch tut sich in dem Bereich sehr viel. In meinem persönlichen Umfeld sind immer noch viele Leute beiderlei Geschlechts überrascht, dass ich eine begeisterte Gamerin bin. Aber die Reaktionen sind fast immer sehr positiv“. Weiterhin sagt sie: „Einige Spieleentwickler schaffen auch starke, glaubwürdige, tiefgehende weibliche Charaktere wie zum Beispiel Alyx aus Half Life oder FemShep aus Mass Effect, die schnell Kultstatus erlangt haben und daher hoffentlich auch andere inspirieren, neue Wege zu betreten“.

Dass diese Spielfiguren eher die Ausnahme sind, scheint an der sexistischen Sichtweise der Entwickler zu liegen. In der Branche ist die Dominanz der Männer sowohl in den Produkten zu spüren, als auch am Arbeitsplatz selber, wie man dieser Tage unter dem Hashtag #1reasonwhy auf Twitter nachlesen kann. Zu Beginn der Woche haben sich Protagonisten und Experten der Videospiel-Industrie dort zu Wort gemeldet, um auf Benachteiligung in der US-Spielebranche aufmerksam zu machen. Begonnen hat das Ganze mit Luke Crane, einem Game-Designer und Kickstarter-Spiele-Spezialist, der öffentlich fragte, warum es so wenige „lady game creators“ gebe? Dutzende, gar Hunderte von Frauen und Männern antworteten prompt mit ihren eigenen Anekdoten und Details zur Thematik. Darunter beispielsweise die New Yorker Videospiele-Journalistin Leigh Alexander: "#1reasonwhy men like me are badasses, so cool and hilarious. i'm a disrespectful loudmouthed bitch." Andere Digital-Ikonen wie Cindy Gallop drücken ihren Unmut sogar noch drastischer aus: "RT @jasohill Women get treated like crap in the games industry. Follow this hashtag to learn extent of that crap. Sexism sucks! #1reasonwhy"

Viele Frauen schreiben darüber, dass ihre Arbeiten abgetan und ignoriert würden und Entwürfe für nicht-sexualisierte weibliche Charaktere bisher durchweg abgelehnt worden seien. Auch wurden Spiele-Entwicklerinnen angeblich aufgrund ihrer Kleidung und ihres Aussehens gemobbt und aufgrund ihres Geschlechts entlassen. Berichte von sexuellen Belästigungen auf Konferenzen sind keine Seltenheit, bemerkt auch Mary Hamilton im Guardian. Auf der anderen Seite machen aber auch positive Nachrichten die Runde, die Hoffnung für Frauen in den Spiele-Schmieden aufkommen lassen. So hat sich in diesem Jahr eine Vielzahl von sexistischen Spielen von selbst ins Abseits manövriert. "Duke Nukem Forever" ist eines dieser Spiele, dessen Ziel darin bestand, statt Flaggen "Babes" zu erobern. Auch "Postal 3" hat sich im Handel nicht durchgesetzt. In Anbetracht dessen, dass Frauen hier entweder als Sexobjekte oder Sarah Palin auftauchten, kein allzu schmerzlicher Verlust.    

Vielleicht tut sich auf der Entwicklerseite ebenso bald etwas, wie in der Gamer-Szene selbst. Der Schlüssel liegt im Anteil der Geschlechter. Läge der Frauentanteil in den Führungsetagen der Spieleentwickler von Games wie „Postal“, wie in der Spielergemeinde bei 44 Prozent, würde das sicherlich einiges bewirken. Den Rest schafft der Markt vielleicht von selber. Frauen wie Almud Auner gehen mit bestem Beispiel voran.

Text: andreas-weck - Foto: Screenshot

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