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Wie dreist bist du?

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Es ist etwa 9.30 Uhr. Die S-Bahntür geht auf und es fegt ein Redeschwall herein. Auf den drei Sitzen neben mir lässt sich eine Damengesellschaft nieder, die ihren morgendlichen Kaffeeklatsch auf die öffentlichen Verkehrsmittel verlegt hat. „Also er hat dann gestern tatsächlich...“, eröffnet die eine. Lautes Gekicher. „Nee, oder?!“ entgegnet die zweite. „Pah!“, prustet die dritte. Allgemeine Heiterkeit. Nur nicht bei mir, auf Sitz Nummer vier. Ich starre angestrengt auf die Buchseiten meine Morgenlektüre und versuche, mich vom Geschnatter nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Geht aber nicht. Ich schlage mein Buch zu.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Wie die meisten Menschen finde ich es dreist, anderen fremde Gespräche aufzuzwingen. In der Bahn oder im Café laut am Handy zu telefonieren. Mich vorzudrängeln. Im Kino in der Chipstüte zu wühlen. Und trotzdem habe ich das alles schon gemacht. In den Situationen, in denen ich dreist war, gab es immer einen guten Grund. Fand ich zumindest. Das Gespräch war wirklich wichtig. Ich hatte vorm Kino noch gar nichts gegessen. Ich hatte es richtig eilig. Fürs Gewissen stellt man gern voran: „Eigentlich mache ich das sonst nie,  aber...“. Und nimmt sich dann beherzt das größte Stück Torte. Man hat schließlich einen guten Grund. Vielleicht haben das aber auch die Damen, die neben mir ihren Tratsch halten.  

Wer dreist ist, denkt zumindest kurzfristig nur an den eigenen Vorteil und setzt sich über andere Bedürfnisse hinweg. Das ist nicht selten also Egoismus verschrien. Egoismus erhält allerdings auch häufig die Beigabe „gesund“ und wird mit Selbstbewusstsein gleichgesetzt. Jeder hat wahrscheinlich schon erlebt, dass die Dreistigkeit erfolgreich war – ob bei sich oder bei anderen. Ein Freund von mir bekam so einen Job – nach einer Absage bat er den Chef persönlich um eine zweite Chance. Der fand seinen Auftritt „selbstbewusst“.  

Bist du auch manchmal richtig dreist? Findest du Dreistigkeit einfach daneben oder kann sie auch mal nützlich sein? Oder gibt es Situationen, in denen du dir gerne mehr erlauben würdest, es dich aber nicht traust?



Text: sina-pousset - Seleneos/photocase.com

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