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DER SCHOKOKUCHEN

Text: aufdemweg

Es gibt manchmal so Tage im Leben eines Menschen, in denen kein Ort dir eine Tür mit dem Schildchen Exit- Notausgang anzeigt. Es gibt manchmal so Tage im Leben eines Menschen, in denen keine Flucht vor was auch immer möglich ist. Es gibt einfach mal solche Tage, wo das Gewissen so schwer ist, so schwer, wie die Welt, die einst Atlas tragen musste, so unaushaltsam, wie ein laut drillender kreischender Ton in deiner Ohrmuschel, der dann jeden Gedanken blockiert, wie eine Schranke einen Zug, wie ein Wolkenkratzer die Aussicht, wie eine Tür den Weg ins Freie. Es gibt einfach mal solche Tage im Leben eines Menschen, wo das Gewissen dich umkreist und fast tötet.



Und so ein Tag war gestern.



Das Gewissen hat sich seinen Weg frei gebissen über die Dendriten und die Axone zu den Synapsen, ins Großhirn und dann ins Herz. Es hat sich durchgebohrt, durch jeden einzelnen Knochen von der kleinen Zehe zum Becken, vom Becken zu den Schultern und von den Schultern ins knochige Herz.



Ich hab tausend mal versucht ES abzublocken, bin zuerst versteinert da gesessen, wie ein Buddha, dann gestanden, wie ein eingefrorener Yeti dann gelegen, wie einst Dornröschen in ihrem 1000 Jahre Schlaf  dann gegangen, wie ein professioneller Nording Walker, dann gesprintet wie der flinkste Gepard in der Wüste.



Doch das alles half nichts. Der Körper und der Geist waren wie zwei einzelne Individuen, ihren eigenen Weg gehend, alleine und hilflos, sodass das Gewissen wissentlich über das Wissen des Schmerzes und Quälens des schmerzlichen und quälenden Gewissens mich mit einem Vampirkuss küsste.



Das Gewissen blieb auch dann als ich nun endlich vor ihm stand. Ich starrte ihn an mit den Augen einer Hyäne, deren Begierde so gierig nach der Beute ist. Meine Hände zitterten wie die eines Drogensüchtigen, der einen ganzen Tag nichts geschnupft hatte. Mein Herz schlug den schnellsten Jife Beat, sodass die Bewegungen meiner Füße so aussahen, als ob sie stünden. Meine Galle produzierte keine Spucke mehr, sodass meine Mund so trocken war, wie die goldene Sahara. Meine Haut brannte glühend, als ob ich auf einer Solariumbank auf Stufe 5 eingeschlafen wäre. Meine ganzen Sinnesorgane waren überhaupt zu überfordert mit SEINEM Anblick, mit SEINEM süßen Duft, mit SEINEM Charme, dass sie nicht mehr ihren Funktionen treu blieben und mich wie den letzten Depp aussahen ließen.



Ich war so besessen von dem Gedanken DIESEN SCHOKO-KUCHEN zu besitzen, DIESEN SCHOKO-KUCHEN zu meinem zu machen, DIESEN SCHOKO-KUCHEN zu verschlingen, dass die Scheidung meiner Eltern, das Fremdgehen von meinem Freund, das Hintergehen meiner Freundin, der verstorbene Opa und mein eingeschläferter Hund unwichtig schienen.



Ich wusste nur, dass diese zart glänzende 10cm dicke Schokoglasur mit weißen kleinen Kokos-Vanille Flocken, dieser knusprige dreifache Waffelboden, diese zarte Creme de chocolate mit großen Schokoladenstückchen in weichen Inneren zwischen der 10cm dicken Schokoglasur mit weißen kleinen Kokos-Vanille Flocken und dem knusprigen dreifachen Waffelboden mich auf den Höhepunkt aller Erregung, sozusagen auf die rosa- rote 7.Wolke der Befriedigung bringen würde, wenn dieser in meinem knurrenden Magen landen würde.



Alles wäre ja schön und gut und ziemlich einfach sogar, wenn nur nicht das mit dem Zeigefinger schimpfende Gewissen wäre. Das Gewissen, dass dir dann Tage, nein Wochen danach einredet: „Wie konntest du dich nur so hintergehen, schau dich doch mal im Spiegel an, was du für ne fette Sau geworden bist. Ja genau, genau diese Speckrolle am untersten Teil deines Bauches und auch die zwischen dem Arsch und den Oberschenkeln, ja genau die hast du deinem lieben Freund der ungedämpften Lust zu verdanken“



Ich war mir nicht wirklich sicher ob ich mit diesem psychischen Mobbing zu Recht kommen würde, also überlegte ich mir wie ich es allem und jedem Recht machen könnte:



Also dieser Schokokuchen hat 5678kcl, d.h.: einmal Frühstück ist 125kcl, d.h. 14Tage auf Frühstück verzichten macht 1750kcl; einmal Mittagessen ist 350kcl, d.h. 7Tage lang auf Mittagessen verzichten macht 2450kcl; einmal Abendessen ist 300kcl, d.h. 4 Tage auf Abendessen verzichten macht 1200kcl.



Also dann macht 1750kcl+ 2450kcl+1200kcl = 5400kcl; 5678-5400= 278kcl bleiben noch übrig. Scheiße! D.h. einmal mehr auf Abendessen verzichten. Im gesamten ergibt es sich dann: 14 Tage kein Frühstück, 7 Tage kein Mittagessen und 5 Tage keine Abendessen nur für diesen wunderbaren, so so so „handsomen“, fantastischen, atemberaubenden, einzigartigen, erregenden, Lust stillenden S-C-H-O-K-O-K-U-C-H-E-N.



Naja so konnte ich wenigstens alles mit einer Klappe schlagen, das Gewissen und die Lust.



 






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