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Mein Puls schlägt schneller, die Körpertemperatur steigt gefühlt um 10 Grad Celsius, die Wangen sind gerötet, Fäuste ballen sich. So oder so ähnlich muss sich auch Dr. Jekyll fühlen, wenn sein Kollege Mr. Hyde mal wieder die Oberhand gewinnt. Der Kundenberater am anderen Ende der Leitung ahnt nichts vom biochemischen Orkan, der gerade ungebremst auf ihn zurast. Sonst würde er den nächsten antrainierten Satz anders formulieren. „Frau Pousset, da kann ich leider gar nichts für sie tun.“ Game over, Herr Reinert.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Mal ordentlich Dampf ablassen: befreiend oder einfach peinlich?

Es ist Samstagmittag und seit anderthalb Stunden hänge ich in diversen Servicehotlines eines bekannten deutschen Mobilfunkanbieters fest. Geduldig habe ich Daten vermerkt, Mitarbeiternamen notiert, mich durch das Servicedickicht geschlagen. Bin ruhig geblieben. Habe wieder und wieder mein Problem geschildert. An diesem Tag ist es das fünfte Ohr, das sich meine Ausführungen anhört.  Ein Ohr zu viel. In der Leitung ist es still. Herr Reinert hat vermutlich gerade den Finger im Register: „Eskalation mit dem Kunden vermeiden“. Ich atme scharf ein, ein Luftzug wie vor einem Hundertmetertauchgang ohne Flasche: „SIEWOLLENMIRDOCHNICHTERNSTHAFTERZÄHLENDASISTJAWOHLEINWITZ
DASISTDASSAHNEHÄUBCHENANINKOMETENZDASMIRDIESERSCHEIßLADEN
JEMALSBESCHERTHAT!“ Wer gerade noch folgen konnte, ja, über den Ausdruck „Sahnehäubchen an Inkompetenz“ musste ich später selbst lachen. Aber gut hat es getan! Ich schnaube am Satzende in den Hörer. Zufrieden. Der Herzschlag trabt langsam aus, die Kiefermuskeln entspannen sich. Dabei kann der arme Herr Reinert vermutlich gar nichts dafür. Trotzdem schenkt er mir nach meinen Hasstiraden einen Surfstick. Stand wohl im Handbuch unter "letzte Instanz". 

Manchmal sind Frust und Ärger so groß, da helfen keine Softskills und Kommunikationswerkzeuge. Dann explodieren wir an Ort und Stelle, auch wenn es manchmal den Falschen trifft. So ein Ausraster ist nicht nur befreiend, sondern kann auch wichtig sein. Er klärt die Fronten und bringt auf den Tisch, was man sonst in sich hineingefressen hätte. Gründe zum ausrasten gibt es viele. Manchmal sind es große, manchmal ist es auch nur der sprichwörtliche Tropfen, der das Fass zum überlaufen bringt: Die Mitbewohnerin hat schon wieder den Lieblingsjoghurt aufgegessen, der PC sperrt sich gegen die einfachsten Befehle (und das obwohl man doch heute ausgerechnet ganz dringend das eine Dokument...), der beste Freund macht sich im Vollsuff an die Freundin ran oder der Tag ist schon am Morgen so verkorkst, dass ein hakender Reisverschluss ausreicht, um die Selbstbeherrschung zum Bersten zu bringen. Haben wir unserem Ärger an falscher Stelle Luft gemacht oder haben wir einfach maßlos übertrieben, sind wir nachher meist peinlich berührt. Da Hilft nur: unauffällig den Sabberfaden aus dem Gesicht wischen und entschuldigen.  

Wann bist du das letzte Mal so richtig ausgerastet? Gibt es ein Thema, bei dem dir regelmäßig der Kragen platzt oder diskutierst du lieber friedlich aus? Wie fühlst du dich, wenn es mal richtig gekracht hat: erleichtert oder eher peinlich berührt?

Text: sina-pousset - Bild: himberry / photocase.com

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