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Eine Frage noch: Leben wir für die Arbeit oder für die Freizeit?

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Die Arbeit, sagen die Pflichtbewussten, ist die Gegenwelt zur Freizeit. Sie muss drücken, muss nach Leistung und Verantwortung stinken und ein definiertes Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag zeigen. Die Arbeit hat so eine lustfeindliche Ausdünstung. Eigentlich geht sie als echte Arbeit auch nur durch, wenn sie wehtut und Worte hervorbringt wie „Zeitmanagement“ oder „Quality time“. So reden immer die, die Arbeit haben, und auf den Bildern, die in der Werbung „Arbeit“ darstellen, kann man dann sympathische Malocher im Blaumann sehen oder Manager mit Bauhelm, die mit Weitblick in die Ferne zeigen.

Nur wenn man so eine Hochleistungsmaschine ist, so heißt es, kann man in der Freizeit auch mal über die Stränge schlagen, mit dem Bollerwagen voll Bier über Land kommen, Herrenabende feiern oder auf mediterranen Partymeilen barbrüstig durch eine „Polonäse Blankenese“ torkeln. Dem Schrecken der Arbeit korrespondiert dann der Terror der Freizeit, und beide spucken am Ende ein Individuum aus, das sich nach der Gegenwelt sehnt, entweder nach der Haftanstalt des Büros oder dem schwerelosen Leben der Freizeit.

Das Beruhigende an der Freizeit ist das Versprechen der Selbstbestimmung. Das Bedrohliche an ihr ist, dass sie frei ist, gähnend leer und undefiniert. Arbeit und Freizeit sind also eigentlich keine Gegenwelten. Man nimmt denselben Menschen ja immer mit, und in der guten Freizeit wie in der guten Arbeit stellt sich ein Zustand der Versenkung, der Selbstvergessenheit ein.

Als Johannes Rau noch Wahlkämpfe als Ministerpräsidenten-Kandidat bestritt, warb er für sich mit dem Slogan: „Freiheit bedeutet, einen Arbeitsplatz zu haben.“ Das war wohl für die gesagt, die jeden Morgen ins Büro rennen und sagen: „Heute nehme ich mir mal wieder die Freiheit!“ Wenn diese Werktätigen dann aber die Arbeitslosen schon um zehn Uhr morgens im Park sitzen und picheln sehen, kommt den Werktätigen mit Sicherheit zuletzt der Gedanke: „Sind die aber heute mal wieder unfrei!“ Dass Arbeit frei mache, kann der spätere Bundespräsident unmöglich gemeint haben. Was er stattdessen gemeint hat, weiß man nicht.

Nein, Arbeit und Freiheit, man halte sie lieber getrennt, und „Arbeit oder Freizeit“ – das klingt wie einer dieser Besinnungsaufsätze zur Frage: „Soll man in den Ferien eher ans Meer oder in die Berge reisen?“ Man soll ja nicht einmal reisen. Wir sollen also auch weder für Arbeit noch für Freizeit leben, sondern allenfalls soll man überhaupt leben, das heißt, es fühlen können, Erfahrungen machen, und das bedeutet auch, aus dem Kollektivschicksal des Arbeiters, des Massentouristen ausscheren und das eigene Leben persönlich nehmen. Denn was helfen sie mir beide, was hilft mir eine Arbeit, was eine Freizeit, die ich nicht fühlen kann?

Ideal wäre also eine Arbeit, die ich nicht als solche empfinde, eine Freizeit, die nicht nur deshalb genießbar ist, weil ihr der Druck der Leistungswelt fehlt. Unmöglich, dieses eine Leben zu haben und auf die Hälfte davon zu verzichten, nur weil sie dem Gelderwerb dient! Der Kopf macht sich immer bemerkbar, man kann also nur das in der Freizeit erworbene Bewusstsein auf die Arbeit ausdehnen, scharf beobachten, genau empfinden, leidenschaftliche Kommunikation pflegen, heimlich verwahrlosen. Man kann die Arbeit auf ihre genießbare Seite hin absuchen und dort wildern. Auch mal ein verbotenes Schläfchen zwischendurch abhalten, einen Tratsch pflegen, ein kleines Drama in die Welt setzen, sich einer Übertretung schuldig machen.

Es muss doch möglich sein, die Komfortzone auf die Leistungswelt auszudehnen. Und wie wollen Angestellte, die nicht auch subversiv sein können, je mündig werden – selbst im Sinne des Arbeitgebers? Außerdem gilt doch umgekehrt ebenso: Keine Freizeit ist besser als jene, die intensiv und zielstrebig und mit der Energie des geradezu bienenfleißig Amüsierwilligen betrieben wird. So ist es, und wenn nicht, dann gilt: So sei es! Und damit, liebe Gemeinde, zurück in die Gärten oder an die Spielautomaten, denn dies hier droht gerade in Arbeit auszuarten.



Text: roger-willemsen - Illustration: Filipek

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