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Auf dem neuen Album der Münchner Hip-Hop-Gruppe Blumentopf singen die Rapper über die Viertel, in denen sie wohnen. Sie charakterisieren ihre Heimatgegenden in lokalpatriotischen, aber durchaus kritischen Texten. Florian „Schu“ Schuster wohnt irgendwo im Glockenbach- oder Gärtnerplatzviertel, in einer Ecke also, die einst niemanden interessierte, die billig war und Künstler, Musiker und Kreative anzog, was sie wiederum interessant machte für andere, die mehr Geld hatten. In den vergangenen Jahrzehnten stiegen die Mieten und Getränkepreise. Wo früher einer der besten Clubs Münchens beheimatet war, zieht eine Werbeagentur ein, schräg gegenüber wird ein altes Heizkraftwerk umgebaut, die Wohnung ganz oben ist angeblich für mehr als 14 Millionen Euro verkauft worden. In Schus Rap-Part ist deshalb vor allem das Lied der Gentrifizierung zu hören. Ich kann in dieses Lied ganz gut einstimmen, über vieles, worüber Schu sich lustig macht, habe auch ich schon bei einem Bier ironisch gewitzelt. Aber eine Textzeile machte mich stutzig: „Hier erholen sich die Yuppies von ihrem Jetlag, und einmal die Woche putzt die Putzfrau ihren Dreck weg.“
Ich habe auch eine Putzfrau.
Demnach stehe ich also auf der falschen Seite. Schu stellt mich in eine Reihe mit den Yuppies, den Snobs und den feinen Pinkeln, über die er herzieht. Vielleicht habe ich also gar keine Berechtigung, bei seinem Lied mitzunicken, mich innerlich mit ihm zu verbrüdern in dem Gefühl, zu den Coolen zu gehören, zu den Junggebliebenen, den Menschen mit dem spannenden, unspießigen Leben. Vielleicht habe ich die Seiten gewechselt, ohne es zu merken.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Ich konnte mich zuerst nicht sehr gut mit dem Gedanken anfreunden, jemanden dafür zu bezahlen, bei mir sauber zu machen. Nicht weil ich misstrauisch war, wie anscheinend viele Deutsche: In ihrem Buch „Unter deutschen Betten“ schildert eine Putzfrau, wie ihre Arbeitgeber ihr Fallen stellen, um ihre Ehrlichkeit zu überprüfen – absichtlich zwischen Sofakissen platzierte Geldscheine zum Beispiel. Ich hatte keine Angst davor, dass sich eine quasi fremde Person allein in meiner Wohnung aufhält. Ich hatte ein Problem mit dem Gedanken, jemand anderen meinen Dreck wegmachen zu lassen.

Wenn über Menschen gesprochen wird, die „putzen gehen“, soll damit meistens ein sozialer Abstieg verdeutlicht werden, es ist ein ähnliches Bild wie das des Sozialwissenschaftlers, der studiert, aber später Taxi fahren muss. Einen Job soll man gern machen, und Putzen, das kann niemand mögen. Wer putzt, tut das, weil er muss. Morgens einen Zettel mit Anweisungen für die Putzfrau zu hinterlassen, daneben drei Geldscheine, das hatte deswegen etwas Herrisches, das ich mit meinem Selbstbild schlecht vereinbaren konnte. Genauso wenig würde ich jemanden vor mir niederknien lassen, der mir die Schuhe poliert. Eine Putzfrau zu haben erschien mir irgendwie eitel, ich wollte mir nicht eingestehen, dass ich mir für etwas zu schade bin.
Die Frage ist aber: Bin wirklich ich mir zu schade? Oder ist mir meine Zeit zu schade?

Wenn man anfängt zu arbeiten, bleibt im Leben weniger Zeit für schöne Dinge. Die Wochenenden und die Abende reichen nicht aus, um alle Freunde regelmäßig zu treffen, auf Partys oder shoppen zu gehen, an den See, in die Berge oder eine andere Stadt zu fahren, Eltern oder Freunde zu besuchen – oder mal einen halben Tag gar nichts zu tun. Der Alltag ist ein Zeitfresser: Man steht morgens auf und geht ins Büro, vorher muss man noch kurz zur Post oder zur Bank, abends auf dem Heimweg schnell vor Ladenschluss in den Supermarkt. Was man dort kauft, muss noch gekocht werden, eigentlich wollte man auch noch die Fotos aus dem Urlaub vor drei Monaten sortieren, man wollte dem Kumpel in Australien endlich mal wieder eine ausführliche Mail schreiben, ach ja, und mit der Steuererklärung müsste man eigentlich auch längst angefangen haben.

Ist es angesichts dieses ewigen Hinterherrennens nicht vollkommen normal, etwas abzuwälzen? Ist es nicht nachvollziehbar, wenn ich den Samstagnachmittag lieber mit der Grillzange im Park als mit dem Fensterleder im Wohnzimmer verbringen möchte? Die Formel ist im Prinzip ganz einfach: Ich muss arbeiten, um Geld zu verdienen. Mit einem kleinen Teil dieses Geldes kaufe ich mir ein Stück der Zeit zurück, die ich nicht mehr habe, weil ich arbeiten muss. Diese Formel gilt nicht nur im Fall der Putzfrau. Sie gilt genauso für das Taxi, mit dem ich nachts aus der Bar nach Hause fahre, obwohl ich als Student die Strecke noch gelaufen bin oder eine halbe Stunde auf den Nachtbus gewartet habe. Sie gilt für das Zugticket, das ich kaufe, obwohl ich die Strecke schon zigmal per Mitfahrzentrale für wesentlich weniger Geld bewältigt habe. Sie gilt für alles, was das Leben ein bisschen leichter und angenehmer macht.

Eine Sache muss ich vielleicht in Klammern hinzufügen: Das Beispiel mit dem Fensterleder vorhin war nicht ganz treffend. Unsere Putzfrau kommt zwei Stunden alle zwei Wochen. Sie saugt, wischt die Böden, putzt Küche und Bad, wischt Staub. Den dreckigen Backofen, den Kühlschrank, die Fenster, die Wäsche – das erledigen meine Freundin und ich selbst.

Der kleine Schock beim Hören des Blumentopf-Liedes war also vielleicht übertrieben. Unsere Putzfrau ist kein Zeichen dafür, dass ich ein anderer Mensch werde. Wahrscheinlich darf man Raptexte auch einfach nicht so ernst nehmen.

Text: eric-mauerle - Illustration: Joanna Swistowski

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