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Die Frühheimgeher

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Eine Band beschallt den Krönungssaal des Rathauses von Aachen, Professor Bernd Pietschmann, Dekan der Wirtschaftswissenschaften, spricht, und die Absolventen seines Fachbereichs nehmen Urkunden entgegen. Die 24-jährige Anna hält mit einem Kommilitonen die Abschlussrede. Es geht um Anekdoten aus dem Studienalltag. Anna spricht von den „joten öscher Kneipen“, in denen sie viel Zeit mit Freunden verbracht hat. Als die Studenten nach der Feier auf dem Treppenabsatz vor dem Krönungssaal Gruppenfotos machen, haben sie einen nachdenklichen Zuschauer. Bernd Pietschmann lehnt an der Brüstung oberhalb der Treppe und betrachtet seine ehemaligen Studenten. Er hat unter anderen Annas Abschlussarbeit betreut. „Wenn Sie die Erstsemester vor zehn Jahren gefragt haben“, erzählt er, „dann wollten sie alle Manager werden. Heute sagen die Studenten im ersten Semester, dass sie Ausgeglichenheit von Beruf und Familie wollen.“
   
Die meisten der Absolventen sind gerade auf der Suche nach einem Job oder beginnen nun ein Masterstudium. Anna arbeitet schon. Sie ist Personalreferentin bei Saint-Gobain Deutsche Glas und hat schon in der kurzen Zeit beim ersten Arbeitgeber mitbekommen, dass immer mehr Bewerber nach der Vereinbarkeit von Job und Privatleben fragen. Zu Recht, findet Anna. „Heute kann man auch als Frau Karriere machen und muss eigentlich auf nichts verzichten“, sagt sie. Familie, Freizeit, Arbeit, das muss zusammengehen. „Man muss aber natürlich auch viel dafür arbeiten“, sagt Anna.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Die Studenten im Aachener Rathaus gehören zu einer Altersgruppe, die man gern unter dem Begriff „Generation Y“ zusammenfasst. Über diese Generation, die Geburtenjahrgänge ab 1980, wurden in der jüngsten Zeit viele Studien veröffentlicht. Es heißt, Freizeit und Familie hätten für sie einen viel höheren Stellenwert als noch für ihre Eltern. Spricht man mit Personalern in verschiedenen Unternehmen, können sie einige Unterschiede nennen zwischen den Berufseinsteigern von heute und ihren Vorgängern. Christoph Fellinger ist Talent Relationship Manager der Beiersdorf AG. Seit einiger Zeit setzt er sich intensiv mit der Generation Y auseinander und schreibt sogar einen Blog zum Thema. Ihm ist aufgefallen, dass sich die Studenten schon in ersten Bewerbungsgesprächen sehr selbstbewusst zeigen: „Die sind oft sehr gut über das Unternehmen informiert und stellen viele Fragen, sogar nach dem Vergütungssystem oder der betrieblichen Altersvorsorge.“ Die Absolventen wollen immer noch Karriere machen, glaubt Fellinger. Nur ihr Begriff davon habe sich geändert. Karriere, das bedeutete früher einmal zielstrebige Arbeit und als Lohn den schnellen Aufstieg sowie ein gutes Einkommen. „Im Vergleich mit der Generation der Babyboomer und der Generation X ist es den jungen Arbeitnehmern heute viel wichtiger, Sinn und Freude in ihrem Job zu finden“, sagt Fellinger. Monika Rühl, verantwortlich für Change Management und Diversity bei der Deutschen Lufthansa, sieht noch eine Veränderung: den geringeren Stellenwert von Eigentum. „Früher war ein eigenes Auto die Anerkennung für die Lebensleistung. Die heutige Generation will lediglich Zugang zu den Dingen haben. Ob die gemietet oder geliehen sind, ist egal“, sagt Rühl.

Nach zwei Finanzkrisen und ausführlichen Debatten in den Medien über Arbeitslosigkeit, Altersarmut und Burn-out ist das Sicherheitsbedürfnis der Absolventen gewach-sen. Die größte Veränderung hat sich aber in den Elternhäusern vollzogen. Die meisten der seit 1980 im deutschen Mittelstand Geborenen sind behütet und in stabilem Wohlstand aufgewachsen. Die Kinder der Babyboomer wurden partizipativer erzogen als frühere Generationen – sie durften zum Beispiel selbst entscheiden, ob sie lieber zum Fußball oder zum Tennis wollten. Und darum achten sie noch heute darauf, dass das, was sie tun, ihren Vorstellungen entspricht.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Angelika Glesners Werdegang ist ein gutes Beispiel dafür. Die 32-Jährige fing nach ihrem Abschluss in Phonetik, Psycholinguistik und Psychologie in der Personalentwicklung einer Unternehmensberatung an. Es waren aber nicht die branchenüblichen Überstunden, die Glesner an ihrem Job störten, sondern dass sie in der großen Firma nur einen kleinen, sehr speziellen Teil der Arbeit machen konnte. „Ich will lieber verschiedene Aufgaben erfüllen. Und zwar in einem Unternehmen, in dem ich einen Sinn sehe und etwas Gutes tue“, sagt sie. Angelika Glesner wechselte die Branche. Heute arbeitet sie bei einem jungen Naturkostunternehmen, in dem noch sehr viel organisiert und aufgebaut werden muss. Jetzt kann sie wesentlich mehr eigene Ideen einbringen, mehr ausprobieren und selbst gestalten als in ihrem früheren Job. Ihre Erfahrung teilt Glesner als Mentorin mit Studenten. Ihren Mentees rät sie, sich genau zu überlegen, welcher Job zu ihnen passt. „Wichtig ist, auf das eigene Herz zu hören. Was will ich wirklich machen, woran hab ich Interesse, was fasziniert mich?“, sagt Glesner. „Es ist aber auch wichtig, dass man die andere Seite beachtet: Was ist eine Herausforderung für mich? Was ängstigt mich?“ Deshalb gibt sie jedem den Rat, ganz viel über den Job herauszufinden, den man anstrebt. „Sprecht Leute an, fragt ihnen Löcher in den Bauch.“

Viele Absolventen stellen mittlerweile unheimlich viele Fragen. Das ist auch Christoph Fellinger aufgefallen. Wenn er die Veränderungen in seinem eigenen Job beschreiben soll, sagt er: „Es ist einfach komplexer geworden.“ In Amerika ist teilweise gar nicht mehr von der Generation Y die Rede, dort spricht man von den „Trophy Kids“. Jeder aus dieser Generation hat in seiner Kindheit einen Pokal bekommen – selbst wenn er im Hockeyteam nur auf der Ersatzbank saß. Wer so aufgewachsen ist, verlangt regelmäßiges Feed-back und gute Gründe, warum er etwas machen oder lassen soll. So viel Austausch hat aber auch Vorteile, sagen die Personaler. Ein Berufseinsteiger, der es schon von zu Hause gewöhnt ist, dass man auf Augenhöhe mit ihm spricht, denkt kaum noch in strengen Hierarchien. Es fällt ihm leicht, im Team zu arbeiten. „Es gibt nicht mehr so viele Grabenkämpfe wie früher, die jungen Leute arbeiten deutlich sach- und lösungsorientierter zusammen. Und dabei überwinden sie Abteilungs- und Hierarchiegrenzen oder sehen sie gar nicht erst“, sagt Monika Rühl von der Lufthansa.

Viele Unternehmen reagieren inzwischen auf die neuen Absolventen und machen Angebote, die auf Familien und flexible Arbeitszeiten ausgelegt sind. Es gibt betriebseigene Kitas, Babysitterbörsen, Betreuungszuschüsse, Gleitzeit, Homeoffice. Immer öfter gibt es auch die Möglichkeit, ein Sabbatical zu machen oder schlicht in Teilzeit zu arbeiten. Außerdem wird die Präsenz der Angestellten im Büro immer unwichtiger, mehr und mehr Chefs geht es vor allem um das Ergebnis der Arbeit: Eine Leistung muss bis zu einem bestimmten Termin erbracht werden. Wann und wie das geschieht, kann der Arbeitnehmer weitgehend selbst entscheiden.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Im Rathaus von Aachen gibt es jetzt Schnittchen und Sekt. Es bilden sich überall neue Grüppchen aus Professoren, Studenten und Eltern, immer wieder geht es um die Wünsche an die Zukunft. Fragt man nach, ist nur selten vom großen Geld die Rede. Viel häufiger dafür von „netten Kollegen“, von „Sinn und Spaß“ oder ganz prinzipiell von „Herausforderungen“. Der Satz an Erwartungen ist umfangreich. Es geht viel um Freunde und Familie, von Karriere spricht aber niemand. Und doch sind die Ansprüche enorm. Irgendwann fällt auf, dass die Generation Y nicht etwa keine Karriere mehr machen will. Sie will eigentlich sogar noch viel mehr als das, weil sie das ganz große Glück zwischen Erfolg und Erfüllung sucht, zwischen Karriere und Freiheit, ohne Abstriche auf irgendeiner Seite. Die Arbeitszeit soll nicht schlechter sein als die Freizeit, alle Gespräche bestätigen, was Anna sagte: „Man muss heute auf nichts mehr verzichten.“ Man will alles.
Diese Erwartung ist verdammt hoch. Die Gefahr, enttäuscht zu werden, ist groß. Der Idealismus der Absolventen wird mit der Realität der Wirtschaftswelt zusammenprallen. Denn die ändert sich nicht so schnell wie die Einstellungen ihrer Arbeitnehmer – trotz der Anpassung, um die die Unternehmen sich schon bemühen. Aber vielleicht ist sogar die Möglichkeit, enttäuscht zu werden, schon in den Köpfen der Absolventen präsent. Vorhin, als während der Abschlussfeier im Aachener Rathaus die Titel der Abschlussarbeiten an die Wand projiziert wurden, konnte man häufig die Begriffe „Work-Life-Balance“ und „Burn-out“ lesen. Anna antwortet auf die Frage, wo sie einmal hinwill: „An die Spitze!“ Sie lacht dabei. Es hört sich trotzdem ernst gemeint an.



Text: nadja-schlueter - Illustration: Filipek

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