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Was Halbes ist nichts Ganzes

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Teilzeit klingt schön, nach weniger Arbeit und mehr Selbstbestimmung. Teilzeit klingt aber auch nach Karriere-Ende und ganz viel schlechtem Gewissen.

Julia Mickel* hat bis zur Geburt ihres zweiten Kindes in einem mittelständischen Architekturbüro Teilzeit gearbeitet und findet noch heute, dass es für sie perfekt war. Nie musste sie bis zum Abend durcharbeiten wie ihre Kollegen; stattdessen durfte sie gegen 14 Uhr gehen und den Nachmittag zum Beispiel mit ihrem Sohn auf dem Spielplatz verbringen. Sie hatte Zeit für ihr Privatleben, hatte dank ihrer Kollegen Erwachsenen-Gespräche und fachlichen Input und verdiente nicht einmal schlecht. Allerdings schränkt Julia ihre Begeisterung für Teilzeit ein wenig ein: „So ein Halbtagsjob ist sicher nichts für jeden, man darf zumindest nicht zu ambitioniert sein.“ Dann kann man nämlich nur enttäuscht werden.

In einer Branche, in der Nachtschichten eher der Normal- als der Ausnahmefall sind, werden umfangreiche Projekte und Verantwortung nur an die Mitarbeiter vergeben, die auch jederzeit verfügbar sind. Julia arbeitete zwei Jahre lang vor allem anderen Kollegen zu, die große Projekte leiteten. Und genauso ging es ihren vier Teilzeitkolleginnen, ebenfalls Mütter. Die Projektleiter, denen Julia half, wurden immer jünger, weshalb sie, als das zweite Kind kam, keinen Wert auf Weiterbeschäftigung legte. Seitdem sind zwei Jahre vergangen, Julia ist jetzt Hausfrau und überlegt, sich selbstständig zu machen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Marie Lindner* arbeitet seit der Geburt ihrer Tochter vor drei Jahren Teilzeit. Sie ist Internistin in einem großen Krankenhaus in Bayern und macht ihren Job leidenschaftlich gern. Oder genauer: Sie machte ihn leidenschaftlich gern. Seit sie Teilzeit arbeitet, ist sie raus — raus aus ihrem alten Bereich und anscheinend auch raus aus den Köpfen ihrer Mitarbeiter. Kein Kollege ruft mehr an, um sich mit ihr zu beraten. Sie verrichtet nun in einer Ambulanz Dienst nach Vorschrift – ein unbeliebter Job, vor dem sich jeder drückt, der kann. Marie kann sich nicht drücken, sie wurde mit der Begründung in die Ambulanz versetzt, es sei die einzige Stelle in der Abteilung, die in Teilzeit zu erledigen sei. Und obwohl Marie jeden Tag ohne Mittagspause durcharbeitet, bewältigt sie ihr Pensum nur, weil sie sich Arbeit mit nach Hause nimmt und sie erledigt, wenn das Kind im Bett ist. Verbindet sie mit der Stelle eine berufliche Perspektive? „Das kann ich vergessen, solange ich weiter in dieser Abteilung Teilzeit arbeite. Von dem Abstellgleis komme ich erst runter, wenn ich wieder voll einsteige.“

Das kann noch dauern, solange die Tochter sie braucht, solange die Kinderbetreuung nachmittags endet und in ihrem Job „Vollzeit“ gleichbedeutend ist mit „körperlicher Anwesenheit“. Die Frustration über diese Situation, die Enttäuschung, den Teilzeitmutti-Stempel aufgedrückt zu bekommen, der Ärger über die Verschwendung ihrer Fähigkeiten – all das hat Marie oft an den Rand der Verzweiflung gebracht. Bis sie sich vor Kurzem klarmachte, dass auch das Teilzeitmutti-Dasein – wie fast alles im Leben – eine Phase ist; eine, in der sie sich um ihr Kind kümmert und auf die Phase wartet, in der sie sich dann wieder mehr um ihren Beruf kümmern kann.

Ein Gesetz garantiert seit elf Jahren einen einklagbaren Rechtsanspruch auf eine Teilzeitstelle. Jeder, der in einem größeren Unternehmen arbeitet, kann theoretisch ohne Nennung von Gründen in Teilzeit gehen – solange keine dringenden betrieblichen Gründe dagegen sprechen. Seit das Teilzeit- und Befristungsgesetz existiert, ist die Zahl der Teilzeitarbeiter weiter gestiegen. 2010 waren in Deutschland mehr als 21 Prozent aller Beschäftigten Teilzeitarbeiter. Im Jahr 1993, zum Vergleich, waren es nur knapp 13 Prozent. Nicht zuletzt wegen dieser Zunahme bei der Teilzeitarbeit ist die Erwerbsquote der Frauen mittlerweile so hoch wie die der Männer.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Die Unternehmen haben sich auf die Entwicklung eingestellt. Birgit Meier* arbeitet in der Personalabteilung eines deutschen Automobilkonzerns. Nach ihrer Erfahrung wird Teilzeit in großen Unternehmen zumindest prinzipiell wohlwollend gesehen. „Teilzeit ist absolut kein Karrierekiller mehr – solange es Gründe dafür gibt und derjenige nicht nur seine Work-Life-Balance austarieren möchte oder mehr Zeit für sein Hobby braucht.“ Das heißt aber nicht, dass die Teilzeitkarriere reibungslos funktioniert. Wer wegen eines Kindes in Teilzeit geht, für den ist der Aufstieg nach Meiers Erfahrung schwieriger. „Es kommt dann darauf an, ob die Teilzeit gut gestaltet wird oder ob einfach nur die Stundenzahl reduziert wird. Hat der Vorgesetzte Verständnis dafür und Interesse am Fortkommen der Person? Wie werden Konferenzen organisiert, ohne die sie aus dem Informationsfluss raus ist?“ Trotz der wohlwollenden Haltung gegenüber Teilzeitarbeitern sieht Birgit Meier, dass es ihre Kolleginnen mit Kindern schwer haben. „Die Arbeit wird nie in demselben Maße verringert wie die Zeit.“ (Das liegt übrigens vor allem daran, dass die meisten Teilzeitarbeiter keine halben, sondern meist Dreiviertelstellen haben. Das macht es schwierig, die Reststelle zu besetzen. Die Konsequenz ist häufig, dass diese einfach gestrichen wird.) Birgit Meier glaubt außerdem, dass in der Teilzeit Puffer verloren gehen. „Weil die Mütter mit einer Deadline im Nacken arbeiten, können sie auch nichts ausjonglieren. Wenn ich mich mal wieder beim Mittagessen festgequatscht habe, dann kann ich das abends wieder reinholen, indem ich einfach länger bleibe. Das können die nicht. Aber es geht darum, auch einmal fünf Minuten länger am Telefon mit einem Kunden oder einer Führungskraft zu plaudern oder bei Abendveranstaltungen präsent zu sein. Wer Teilzeit arbeitet, ist oft aus dem sozialen Kontext ausgeschlossen. Und der ist wahnsinnig wichtig, wenn es um Karriere geht. “ 

Teilzeit ist eigentlich ein Konzept, das viele Probleme lösen könnte, vor denen unsere Gesellschaft gerade steht: Teilzeit kann Jobsharing befördern, also neue Arbeitsplätze schaffen. Teilzeit ermöglicht in den meisten Fällen erst die Gründung einer Familie, denn in den allerwenigsten Fällen gibt es heute noch Großfamilien, die zwei arbeitende Elternteile kompensieren können. Und wenn wir in Zukunft immer länger arbeiten müssen, könnte Teilzeit eine Lösung sein, das Leben erträglich zu gestalten.
Teilzeit arbeiten die Menschen fast immer, weil sie Zeit für andere Menschen brauchen. Der Großteil der Frauen, die in Teilzeit gehen (und sie machen laut Bundesagentur für Arbeit rund 84 Prozent aller Teilzeitarbeiter aus), entscheidet sich für den Schritt, weil sie Kinder kriegen oder ihre Angehörigen pflegen müssen. Das bedeutet wiederum: Statt weniger Arbeit haben die allermeisten Frauen sehr viel mehr Arbeit als vorher. Nur wird eine Hälfte davon weder bezahlt noch von der Gesellschaft anerkannt. Das ist wohl auch der Grund, warum Mütter in Teilzeit deutlich unzufriedener sind als Mütter mit Vollzeitstellen, wie eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung 2009 nachwies.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Johanna Beilzer*, die in einer PR-Agentur arbeitet, hadert seit mittlerweile zwei Jahren mit ihrem Arbeitsleben. Sie weiß, dass der Weg in die Teilzeit verhängnisvoll ist, wenn man in seinem Berufsleben weiterkommen will. Und trotzdem entschied sie sich dafür, als sie schwanger wurde. „Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, mein Kind länger als sieben Stunden täglich in der Krippe betreuen zu lassen, egal, wie gut die ist.“ Johanna kehrte schließlich als Teilzeitarbeiterin in ihren Job zurück und arbeitete  nur noch 60 statt 100 Prozent. Plötzlich steckte sie in dem Korsett,   das Personalerin Birgit Meier beschreibt. Die Stelle wurde keineswegs aufgeteilt, Johanna bekam keine neue Kollegin. Sie hat jetzt annähernd so viel zu tun wie vorher. Nur hat sie für ihre Arbeit jetzt 40 Prozent weniger Zeit. „Für mich war das am Anfang eine völlig neue Erfahrung, täglich gegen die Zeit zu arbeiten und um Punkt 15 Uhr den Stift aus der Hand fallen zu lassen.“ Eine völlig neue Situation. Eigentlich sollte Johanna der Weg in die Teilzeit entlasten – stattdessen spürt sie nun mehr Druck als vorher.

So kann man weiter auf die Suche gehen und findet neben Julia, Marie und Johanna viele Frauen mit ähnlichen Problemen. Und die Männer? Was ist eigentlich mit den Männern? Sie spielen in dieser Geschichte über die Teilzeit eine untergeordnete Rolle. Der wichtigste Grund dafür ist sicher das Geld. Teilzeitarbeit ist nämlich deutlich schlechter bezahlt als Vollzeitarbeit: Im Durchschnitt bekommt laut Bundesamt für Statistik ein Teilzeitarbeiter einen Stundenlohn von 13,92 Euro, ein Arbeitnehmer in Vollzeit dagegen 18,67 Euro. Wenn Johanna auf ihren Kontostand schaut, sieht sie, wie durch die Teilzeit ein althergebrachtes Rollenmodell zementiert wird: Der Mann ist der Ernährer. Johannas Mann hat schon immer mehr als sie verdient. Jetzt verdient er sogar sehr viel mehr als sie — vor allem, wenn sie von ihrem Geld auch noch die teure Krankenversicherung und die Kosten für die Kinderbetreuung abzieht, durch die sie überhaupt erst arbeiten kann. Was am Ende übrig bleibt, das erscheint ihr manchmal lächerlich wenig, obwohl sie noch nie in ihrem Leben so viel gearbeitet hat wie jetzt. Nur arbeitet sie eben nicht mehr nur für Geld, sondern für etwas anderes. Sie arbeitet für die Zeit, die sie mit ihrem Sohn verbringen kann. Auf dem Spielplatz oder manchmal auch im Café, am Nachmittag, während ihre Kollegen noch arbeiten. Ob das genügt, Teilzeitarbeit gut zu finden, muss jede Frau selbst entscheiden. Und natürlich auch jeder Mann.

* Alle Namen wurden auf Wunsch von der Redaktion geändert.




Text: christina-waechter - Fotos: Das Schmott; Styling: Katrin Steiger

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