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Bis der erste Schrei ertönt - eine Moskauer Band vor ihrem Auftritt

Text: VinzenzFedor

Außer zwei schwarz gekleideten Securities steht noch niemand vor der Bühne des PlanB, einem bekannten Club in der Moskauer Metalszene. Oben justieren die fünf Jungs der Band “No Place for a Liar“ die Verstärker. Sänger Anton nimmt das Mikrophon in die Hand. Mit seinem beigen Pulli mit lila Wellen und seinen leuchtenden Augen hat der 18-Jährige etwas Bübchennhaftes. “Check, check. Eins...“ Plötzlich brüllt er eine Textzeile in seine Hand, sodass in seinem roten Gesicht wulstige Adern hervortreten. Dann trällert er die Worte “One last time“ mit Kopfstimme und bricht lachend ab, streckt die Zunge heraus. Ein Lausbub. Noch knapp anderthalb Stunden bis die Band auf die Bühne darf, um das Publikum für die US-amerikanische Band “Memphis May Fire“ anzuheizen.



In der Kellerbar des PlanB tanzen grüne Laser-Punkte über den Boden und die Gesichter der fünf Moskauer Jungs. Vier sitzen um den Tisch, auf dem zwei Aschenbecher stehen. Der erste Gitarrist Jurij steht aber. Nervös zupft er sein T-Shirt zurecht, tappt vom linken aufs rechte Bein – unbewusst im Takt der Rockballaden, die aus den Lautsprechern triefen.“Du musst das so schlagen“, erklärt Anton dem Schlagzeuger Danil, drischt und fuchtelt mit den Armen in der Luft. “Ta-ta-dadada-ta!“ Danil nickt, drückt seine Zigarette aus, drückt dann pinke Kopfhörer in die Ohren. “Ich muss diesen Übergang noch reinbekommen“, entschuldigt er sich. Noch eine Stunde, 60 Minuten.



Jurij streift den College-Pulli ab. Setzt sich hin, steht wieder auf. Danil zieht an seiner dritten Zigarette, trommelt mit den Fingern seiner Linken rhythmisch auf der Stirn, die Füße zucken regelmäßig.“Wir haben uns an Auftritte gewöhnt“, meint Bassist Iwan. Aufgeregt seien sie nicht. Er kratzt sich am Ohr. Diesmal hätten sie auch keine Angst, dass nicht genügend Leute kämen. Schließlich ist die Hauptband eine Größe im Genre des Metalcore – eine Mischung aus Punk und Metalmusik, die auch die fünf Russen seit zwei Jahren aus ihren Instrumenten zwingen. “Wo sind eigentlich die andern?“, fragt er hastig. “Nur auf dem Klo.“ Noch 44 Minuten.



Jurij unterhält sich mit einem Freund, ihrem “größten Fan“. Zu den Aschenbechern haben sich zwei Wasserflaschen und ein Plastikbecher mit goldgelber Flüssigkeit hinzugesellt, zur Gruppe die Freundinnen zweier Mitglieder. Der Fan bietet sein Bier der Runde an. “Gefeiert wird erst nach dem Auftritt!“, sagt Iwan bestimmt. Mit der rechten Hand dreht er am linken Mittelfinger, bis er knackt. Jurij lässt sich auf das schwarze Kunstleder nieder. Reibt seinen Hinterkopf und blickt leer im Kellerraum umher. Der füllt sich langsam mit Rauch und tätowierten Menschen, die vor dem Konzert noch etwas trinken wollen. Dann tauscht er die enge Jeans unter Jubelrufen seiner Bandkollegen gegen eine kurze Adidas-Hose und springt auf. Sein “Fucking Style“ sei das. 24 Minuten noch.



Lausbub Anton hat sich zum Frontmann einer Metalcore-Band gewandelt. Sein ärmelloses Shirt ist von Achsel bis Bund der abgeschnittenen Jeans geschlitzt. “Suicide Silence“ steht auf der Brust. Konzentriert und abwesend steht er im Raum. Keine Grimassen. Wie eine Polizeidurchsage warnt Iwan: “Noch 15 Minuten!“ Er bearbeitet gerade seinen Zeigefinger. Die Kippenstummel in den Aschenbechern mehren sich. Jurij wippt wieder langsam hin und her, obwohl schon längst Rock ‘n‘ Roll die Balladen abgelöst hat. Mit einem großen Zug leert er einen Bierbecher. “Ganz wenig darf man auch schon vor dem Auftritt trinken“, sagt Iwan und greift selbst zum Becher auf dem Tisch.



“Zehn Minuten noch“, ermahnt der Bassist hitzig und zwängt sich hinter dem Tisch hervor. “Jetzt kommt lieber!“ Anton bläst ihm druckvoll Rauch ins Gesicht: “Was macht ihr für einen verdammten Stress?“ Der zweite Gitarrist Nikita ruft dazwischen: “Okay, okay, okay.“ Er zeigt auf die einzelnen Finger seines rechten Armes, den bunte Spinnennetze und Notenlinien zieren. “Also zuerst spielen wir ‘Show me your fists‘, dann ‘Final Resistance‘...““Das kannst du vergessen!“, ruft Sänger Anton und springt auf. Jetzt stehen alle. “Nach dem Lied hab ich keine Stimme mehr!“ Der Gitarrist lenkt ein.



 Sieben Minuten bis zum Auftritt. Nikita führt den Gänsemarsch die schmierige Treppe in die Konzerthalle. Schulterklopfen, Umarmungen, Rufe wie “Haut das Ding weg!“ begleiten die Jungs durch die Menge. Grünes Licht vom Organisator. Die Band stolpert gebückt in einen Gang. Er speit sie auf die Bühne. Sie schnappen sich die Instrumente, schauen auf Anton. Der greift das Mikro – und schreit hinein.



 






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