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Im (Noch?)-Obama-Land

Es ist, als gäbe es keine Wahlen in Kalifornien. Dafür gibt es viele bärtige Surfer. Und man braucht ein Tattoo, um ein Bier bestellen zu dürfen. Beobachtungen aus Santa Cruz.
Text: christian-helten
31. Oktober
Ankunft in den US and A ist ja immer so eine Sache. Wegen der langwierigsten Passkontrolle der Welt. Bin eigentlich seit Ewigkeiten nicht mehr hier gewesen, das letzte Mal als Kind, mit sechs Jahren oder so, Florida, Sea World, Cape Canaveral, Seven-11, Pizza Hut, mit Papa im Katamaran kentern. An mehr erinnere ich mich nicht. Dann noch vor zwei und vier Jahren Zwischenlandung in Atlanta, und selbst da muss man ja richtig einreisen, mit Fingerabdruck, Foto und allem bevor man ein paar Stündchen später wieder ausreist. Seitdem hat sich aber was getan: Man muss jetzt nicht nur die Daumen abrücken, sondern alle zehn Finger.  

Vom Flughafen San Francisco dann mit dem Mietwagen nach Santa Cruz. Es ist Halloween, deutlich erkennbar. Die üblichen Verkleidungen, und ein paar sehr furchteinflößende, die sich bei näherem Hinsehen aber als arme Obdachlose erweisen.  

Fish & Chips zum Abendessen, dann nach 26 Stunden ohne Schlaf ins Bett. Meeresrauschen. Alles ist gut.  


1. November

Das Frühstücksomelett ist größer als die meisten Calzone-Pizzen. Schaffe es nicht, könnte trotzdem einen Schnaps gebrauchen. Bestelle Orangensaft. 

Ausflug ins Headquarter von O’Neill. Vor 60 Jahren hat Jack O’Neill den Neoprenanzug erfunden und damit die weltweite Ausbreitung des Surfens erst ermöglicht. O’Neill ist heute ein sehr alter Mann, einen weißen Rauschebart hatte er aber schon, als er ein mittelalter Mann war. Für manche Leute hier scheint er eine ziemliche Ikone zu sein. Habe jedenfalls noch nie so viele Weißerrauschebartmänner mit Longboards gesehen wie hier.






Im O’Neill-Headqurater hängt an der Wand ein Zettel mit dem WLAN-Passwort. Es lautet: Surfsup! John Hunter kommt herein. Blonde, halblange Haare, braun gebrannt, viele Muskeln. Er sei nicht immer im Büro, sagt er. Er sei viel im Wasser. Surfen, Kiten, Fischen, Wakeboarden und ein paar Sportarten, die ich mir nicht merken konnte. Gehört ja zu seinem Job. Der ist: Neoprenanzüge weiterentwickeln. Damit er das tun kann, muss er sie ausprobieren. In kaltem Wasser, bei Wind, Sturm und Regen, bei Sonne, im Winter, im Sommer. John Hunter kann sehr lange über Neoprenanzüge reden, und in seinem Vortrag kommt sehr oft das Wort „Revolution“ vor. Es geht dann um den Anteil von Luft im Neoprengemisch, um die Position von Reißverschlüssen und Nähten, um Dehnbarkeit, um die Zeit, die ein Neoprenanzug zum Trocknen braucht. Techno Butter heißt das neueste Material. Technisch, aber butterweich.  






Surfen am Pleasure Point. Habe in zwei Stunden mehr gute Wellen als auf dem letzten einwöchigen Surftrip. Am Ufer steht eine Surflegende. Von denen gibt es hier viele. Er erzählt, dass er in Köln geboren sei. Sein Vater habe Robert Lembke geheißen. Der „Was bin ich?“-Lembke.  

Nach dem ersten Tag fällt mir auf: Von den bevorstehenden Wahlen bekommt man hier im Stadtbild nichts mit. Kein einziges Wahlplakat in der ganzen Stadt. Keine Aufkleber. Keine Sonnenschirmständchen in der Einkaufsstraße. Es ist, als gäbe es kein Obama vs. Romney am Dienstag.  

2. November

Wenn man im Restaurant Wein oder Bier bestellt, fragt der Kellner nach dem Ausweis. Jeden. Auch Menschen, die sichtlich älter sind als 21. Debattieren zwecklos. Er werde gefeuert, wenn er die Ausweise nicht kontrolliert, sagt der Kellner. Hat man keinen Ausweis dabei, nimmt er einem sogar das Weinglas vom Tisch, damit man nicht bei anderen mittrinken kann. Zum Glück gibt es noch Gläser auf dem Nebentisch.   Ein paar Stunden später in der Bar dieselbe Ausweisfrage. Aber andere Reaktion auf die Aussage, man sei 32: Ob man denn Tattoos habe. Die sprechen wohl für ein ausreichendes Alter. Der Gefragte, ein langhaariger Mensch mit Gitarre und dem Namen Gabriel, den wir am Strand nach dem Weg zu einer für ein oder zwei Absacker geeigneten Bar fragten und der daraufhin beschloss, uns den Weg zu zeigen und selbst einen mitzutrinken, dieser Gefragte also streckt statt einer Antwort einfach seine Fäuste aus. Ein Tattoo auf jedem Fingerknöchel.

Zum Wählen des Präsidenten muss man in den USA übrigens nicht zwingend einen Personalausweis mit Foto vorzeigen können.


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