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"Die Polizei hat die Schlafsäcke beschlagnahmt"

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Nach einem mehrmonatigen Marsch von Würzburg nach Berlin seid ihr in der Hauptstadt angekommen. Was ist seitdem passiert?
Bereits in der ersten Nacht sind wir mit der Polizei zusammengeraten. Mindestens 20 Polizeiwagen, unzählige Polizisten mit Hunden wollten unser Camp stürmen und auflösen. Sie haben versucht unsere Zelte und unsere Ausrüstung zu beschlagnahmen. Dagegen haben wir uns gewehrt und uns zusammengebunden. Dann war es eine Weile ruhig. Mitten in der Nacht ist die Polizei plötzlich wiedergekommen. Dabei wurden viele Aktive verletzt. Auch ich wurde von Polizisten geschlagen. Es war schrecklich.
(Update: Anm. d. Red.: Der Berliner Polizei liegen keine Informationen darüber vor, dass Demonstranten geschlagen worden sind. Pressesprecher Stefan Redlich sagte: "Es gab keine Sondergenehmigung zum Campen, es war daher Aufgabe der Polizei, Campingutensilien zu entfernen. Das ist teilweise auch gegen einen gewissen Widerstand geschehen. Es gab Rangeleien, aber uns liegt keine Anzeige vor, dass jemand geschlagen worden ist, und bis auf eine Person haben wir keine Erkenntnisse über Verletzte.")

Ihr verstoßt mit eurem Protest gegen das Versammlungsgesetz. Außerdem sind einige ohne Aufenthaltsgenehmigung in Berlin. Sie verstoßen gegen das Asylverfahrensgesetz.
Die Menschen verstoßen nicht gegen Gesetze. Die Gesetze verstoßen gegen die Menschlichkeit. Ich denke, die Polizei versucht unseren Protest zu verkürzen und hofft, dass wir aufgeben.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Im Protestcamp in Berlin kämpfen die Demonstranten für die Rechte von Flüchtlingen und Asylbewerbern.

Wurdest du verhaftet?
Ich wurde in eine Polizeistation gebracht. Drei Stunden musste ich dort bleiben. Andere blieben Tage. Vor der Wache hat sich während unserer Inhaftierung eine spontane Demonstration organsiert. Es waren viele Menschen dort, um für unsere Freiheit zu kämpfen. Teilweise komplett fremde Menschen. Es war ein gutes Zeichen für uns.

Wie groß ist eure Widerstandsgruppe im Moment?
Der feste Kern sind 20 Aktive, die auch mit uns hierher gewandert sind. Es sind Flüchtlinge, Studenten, einfache Leute, die Steuern bezahlen. Insgesamt sind wir 50, 60 Aktive. Zu den Demonstrationen kommen aber meist viele hundert Demonstranten.

Wie sieht euer Protest aus?
Wir sind seit mehreren Wochen im Hungerstreik. Außerdem versuchen wir mit vielen Menschen zu sprechen und ihnen unsere Lage zu erklären. Nachts schlafen wir auf der Straße. Nur in unserer Kleidung, Schlafsäcke haben wir nicht mehr. Die Polizei hat sie beschlagnahmt.

Wie ist die Stimmung in der Gruppe?
Wir sind wütend. Überall ist Polizei. Es ist kalt. Und wenn wir uns nur kurz hinsetzten wollen, scheuchen uns die Polizisten wieder auf. Denn das verstößt schon gegen das Gesetz. Aber wir kämpfen. Wir wollen aktive Menschen sein. Frei und gleich.

Hast Du so einen starken Widerstand erwartet?
Wir haben nicht mit so einer Gewalt gerechnet. Aber die kommt nur von der Polizei und damit von der Regierung. Die Menschen, die wir treffen, unterstützten uns. Am Brandenburger Tor, in unserem Protestcamp auf dem Oranienplatz.

Was wollt ihr erreichen?
Was mit Flüchtlingen in Deutschland passiert, ist falsch. Es werden immer noch Menschen gegen ihren Willen abgeschoben. Wir protestieren gegen die Residenzpflicht, Sammelunterkünfte und die deutsche Asylpolitik. Jeder Mensch ist frei. Und wir sind nicht die einzigen, die das so sehen.

Werdet ihr nachgeben?
Nein. Wir werden den Protest nicht verkürzen. Wir gehen erst, wenn sich die Gesetze ändern. Kein Mensch ist illegal. Der Umgang gegenüber Flüchtlingen in Deutschland kann nicht richtig sein. Ich halte es sogar für rassistisch. Als ich auf die Polizeistation gebracht wurde, hat jemand „Bin Laden" hinter mir her gebrüllt. Wenn so etwas passiert, dann macht mich das traurig. Schon allein in dem Wort Flüchtling steckt viel Wahrheit: Linge, das ist jemand kleines. Ein Opfer. Aber das sind Flüchtlinge nicht. Wir sind stark. Wir essen nicht, wir schlafen kaum, wir besitzen nichts. Trotzdem, wir sind nicht klein, wir sind stark. Und wir kämpfen für unsere Ziele.

Im September, als die Flüchtlinge zu ihrer Reise durch Deutschland aufbrachen, hat Ashkan Khorasani mit jetzt.de schon einmal über den Protestmarsch gesprochen. Das Interview findest du hier. 

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