Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

„Nicht Pappclown machen, nicht Brüste zeigen!“

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Fast hätte Isabell Šuba die Mail aus Cannes übersehen. Zwischen zig Spammails und unbedeutendem Zeugs war sie einfach da. Mail 79 von 80. Eine Einladung zum Kurzfilmwettbewerb des wohl bedeutendsten Filmfests der Welt. Für ihren Film „Chica XX Mujer“, ein Dokumentarfilm über den Schönheitswahn in Venezuela.
  „Zuerst habe ich mich total gefreut. Das ist ja ein großes Lob für meine Arbeit. Und dann kam auch schon der Gedanke 'Ach nee, nicht schon wieder tagelang feiern und mit Leuten rumhängen, die nur ihre Egos spazieren fahren wollen'“, erzählt die 31-jährige Isabell heute. Zum Zeitpunkt der Mail hatte sie gerade ihr Regiestudium an der Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf (HFF) in Potsdam hinter sich, ihr Film war auf zahlreichen Festivals weltweit gelaufen. Sie war erschöpft vom Netzwerken. Aber Cannes sagt keiner ab.
  Als Isabell dann allerdings das offizielle Festivalprogramm erhält, wird sie wütend: Von den 22 Filmen im Hauptwettbewerb ist kein einziger von einer Frau. „Und wenn Frauen eingeladen wurden, dann nur, damit sie hübsch aussehen und ein bisschen moderieren“, erzählt sie und klingt immer noch sauer darüber. Tatsächlich gibt es in der Pressemappe für den Film ein Bild von der Jury 2012: Darauf sind vier Frauen und fünf Männer. Die Frauen tragen kurze Kleider und hohe Schühchen. Das Kleid von Schauspielerin Diane Krüger ist an den Seiten über die nackte Haut geschnürt, Jurykollegin Hiam Abbass macht das mit tiefem Dekolleté wett.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Geht es in Cannes eigentlich nur um Körper? Dieses Bild wird auch auf dem Plakat zu Isabells Film zu sehen sein.

  Isabell Šuba sitzt hingegen in Jeans und ausgewaschenem lila T-Shirt gemeinsam mit Matthias Weidenhöfer, 27 und Absolvent des Schauspielstudiums der HFF, in ihrem frisch renovierten Produktionsbüro in Berlin-Mitte. Draußen lärmt eine Schleifmaschine, drinnen sind noch Teile der Möbel mit Planen bedeckt. Hier soll nun die Mockumentary, eine Mischung aus Dokumentation und Komödie, produziert werden, deren Stoff aus dieser einzigen E-Mail aus Cannes entstand. Ein Film über das eitle und frauenfeindliche Filmbusiness mit dem plakativen Titel „Männer zeigen Filme & Frauen ihre Brüste“. Denn Isabells Erlebnis mit Cannes ist exemplarisch für eine ganze Branche: Zwar liegt der Frauenanteil an Filmhochschulen mittlerweile bei 50 Prozent oder mehr – an Isabells Uni, der HFF Potsdam, sind es im Fach Regie etwa 40 Prozent – die Preise gewinnen am Ende allerdings die Männer. Das Filmfest von Cannes fand dieses Jahr zum 65. Mal statt, die Goldene Palme für den besten Film ging allerdings nur einmal an eine Frau. Das war im Jahr 1993, Preisträgerin war die Neuseeländerin Jane Campion. Beim berühmten Academy Award sieht es nicht besser aus. 2010 ging der Oscar für die beste Regie zum ersten Mal an eine Frau: Kathryn Bigelow. Die ist nicht nur die Ex-Frau von James Cameron sondern auch eine der wenigen Actionfilm-Regisseurinnen auf diesem Planeten. Nachdem Isabell sich über den Männerüberhang in Cannes abgeregt hatte, wurde ihr klar, dass ihre Einladung zum Kurzfilmwettbewerb das Ticket zu einem neuen Filmprojekt sein könnte. Sie entwickelte eine Filmidee, die waghalsig und auch ein wenig arrogant klang: Isabell Šuba verlieh ihre Identität an die Schauspielerin Anne Haug. Sie sollte als Isabell nach Cannes reisen, auf der Bühne Dankesreden halten und mit Promis netzwerken. Isabell selbst akkreditierte sich unter dem Namen Anne Woelky und filmte jeden Schritt ihres neuen Ichs. Damit das für den Zuschauer noch unterhaltsamer wird, stand ein streitsüchtiger männlicher Gegenpart zur Seite: der Produzent David Wendtland, gespielt von Matthias Weidenhöfer. Er ist eine Mischung aus allen sexistischen und unfähigen Menschen, die Isabell je bei Dreharbeiten genervt haben. Kurioserweise wird Weidenhöfer den Film später tatsächlich mit seiner Firma „Beauty Killed The Beast“ produzieren. In dem Moment, in dem das Trio in Cannes landete, begann der Dreh. Die Kamera lief nahezu rund um die Uhr, nur die wenigen Bekannten vor Ort wurden eingeweiht. „Am Anfang dachten wir, das klappt nie! Die müssen einen doch irgendwo googlen“, erzählt Matthias, der für diese Rolle ein Angebot für einen Fernsehfilm ausschlug. Doch tatsächlich interessierten sich die Gäste von Cannes mehr für ihre Garderobe als für eine Riege junger deutscher Filmemacher. „Wenn mal jemand gefragt hat, haben wir immer nur gesagt: „Wir machen ’ne Reportage über die“, sagt Isabell. Nachgefragt hat dann keiner mehr. Weder vom deutschen Filmverleih, noch von der Festivalorganisation. Auf Matthias’ Facebook-Account als David Wendtland ging bisher keine einzige Freundschaftsanfrage ein.

  Trotzdem war es natürlich insbesondere für Isabell heikel, sich von jemand anderem ersetzen zu lassen. Schließlich geht es bei Festivals auch darum, für sich und die eigene Arbeit zu werben. „Da gab es dann schon Momente, in denen ich gelitten habe und dachte: ’Scheiße, meine Karriere ist vorbei, bevor sie überhaupt angefangen hat’“, sagt die junge Regisseurin. Beispielsweise, als ihre Darstellerin als hochfeministische Isabell vor Gästen das Festival mit den Worten „Holt die Pimmel raus!“ kommentierte. „Ich durfte die Darsteller nicht spüren lassen, wie sehr ich gezittert habe. Aber jetzt denkt jeder in Cannes, Isabell Šuba ist völlig durchgeknallt“, erzählt die echte Isabell und muss dann doch darüber lachen. Schließlich hat sie selbst Anne ja ihre eigene Figurenbeschreibung geschickt, in der sie sich als „eine von diesen neurotischen, ehrgeizigen Jungregisseurinnen“ beschreibt. Die Schauspielerin hat nur getan, was ihr gesagt wurde. Und das tat sie überzeugend. 

  Gerade die Authentizität der beiden Darsteller führt dazu, dass das Rohmaterial von „Männer zeigen Filme & Frauen ihre Brüste“ so entlarvend für die Filmbranche ist. Bei jedem Promi auf dem roten Teppich quiekt irgendwer auf, Dankesreden sind durch beliebige Sprechblasen ersetzbar. Keiner interessierte sich dafür. An der falschen Isabell und Schein-Produzent David zog das vorbei. Sie streiten nur und vergeigen jegliche Kontaktaufnahme zu hilfreichen Leuten aus dem Filmbusiness. Erwarteter Glamour wie ein Luxushotel für die eingeladenen Regisseure existiert nicht. Stattdessen teilen Isabell, Matthias und Anne sich ihre Appartements mit meist sieben fremden Leuten. Manche schlafen auf Isomatten im Chaos zwischen Kostümchen und Kosmetiktaschen. „Es hat ständig geregnet. Die Männer trugen dunkle Anzüge mit Fliege und die Frauen einen Hauch von Nichts“, erinnert sich Matthias. „Eine Rambazamba-Veranstaltung auf Stöckelschuhen, wo jeder mit sich selbst beschäftigt ist“, pflichtet ihm Isabell bei. „Cannes hat bewiesen, dass die Tiefe der Frauen manchmal doch im Dekolleté liegt“, setzt Matthias noch einen drauf. Ein bisschen schimmert dabei der David Wendtland durch, der seine Regisseurin im Film immer mit derartigen Sprüchen nervt. Und auch die echte Isabell Šuba bringt das auf die Palme: „Nein Matthias, so was vertreten wir nicht!“, fährt sie ihren Kollegen an. Es entsteht eine Diskussion über Frauen die Tür aufhalten (Matthias), „beschissene rosa Ü-Eier“ (Isabell) und zukünftig „rosinenartig verdorrte Gebärmuttern“ (wieder Matthias). Am Ende kann man sich dann aber doch darauf einigen, dass der Film zum Nachdenken über die Gleichstellung von Mann und Frau anregen soll. „Es ist ja in allen Branchen so, dass Frauen immer noch benachteiligt werden. Ich will zeigen, dass Frauen sich für Erfolg nicht zum Papp-Clown machen und Brüste zeigen müssen“, sagt Isabell. 

  Dieses Anliegen finden auch andere unterstützenswert. Auf der Crowdfunding-Plattform „Startnext“ wurden mittlerweile 8 600 Euro für den Film gespendet, 6 000 waren das ursprüngliche Ziel. Von dem Geld kann das Team nun zumindest den Cutter, Komponisten und die Vermarktung des Films bezahlen. Für eine Gage an die Schauspieler reicht es allerdings nicht. Trotzdem hoffen Matthias und Isabell, den Film auch fürs Kino aufbereiten zu können, sie suchen gerade nach einem Verleih.
Nur eine Sache hängt den beiden noch nach. Was ist mit den vielen Menschen, die ihnen ihre Show in Cannes geglaubt haben? „Ich habe mich danach schriftlich bei allen entschuldigt. Aber die hassen uns jetzt, es gab nur eine Rückmeldung“, erzählt Matthias. Da stand allerdings drin: „Ihr seid die Geilsten.“

  • teilen
  • schließen