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Internationale Beziehungen

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Alessandro, 29, aus Bologna, Mediziner, und Viola, 31, aus Berlin, Kulturwissenschaftlerin, haben sich 2008 in Bologna kennengelernt. Seit dreieinhalb Jahren sind die beiden verlobt.
Viola: Vor dem Erasmus-Semester habe ich mit einer Freundin gewettet, dass ich in Bologna keine Beziehung anfangen werde. Der Wetteinsatz: eine Pizza. Dann kam Alessandro.
Alessandro: Im Uni-Chor ist mir Viola sofort aufgefallen, sie ist oft zu spät zur Probe gekommen. Nach dem Weihnachtskonzert habe ich sie angesprochen, und ein paar Wochen später haben wir uns das erste Mal allein getroffen.
Viola: Dann sind wir zusammengekommen - drei Wochen vor Ende meiner Erasmus-Zeit. Danach hatte ich ein Praktikum in München geplant. Alessandro ist mitgekommen.
Alessandro: Eigentlich hatte ich bei einem nuklearmedizinischen Projekt in Turku, Finn-land, forschen wollen. Ich habe dann meinen Professor überzeugt, dass ich das auch in München machen kann.
Viola: Dass Ale mich wirklich nach München begleitet hat, hat mir gezeigt: Er meint es ernst. Ein Jahr später sind wir zu unserem Jahrestag nach Stockholm gefahren. Ale hat im Hostel Pasta mit Lachs gekocht - das hatten wir auch bei unserem ersten Date gegessen. Wir hatten abgemacht, dass wir uns nichts schenken. Ale überreichte mir eine kleine Box. Ich war überfordert, dachte: Vielleicht sind da nur Ohrringe drinnen, oder er will mich ärgern. Doch es war ein Ring - und Ale schwieg. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Ich sagte irgendwann: Oh, das ist aber ein schöner Freundschaftsring.
Alessandro: Ihr Deutschen seid doch verrückt. Wofür braucht man einen Freundschaftsring?
Viola: Ich habe dann Ja gesagt. Ein unbeholfener Heiratsantrag - dafür aber umso schöner. Ale und ich, wir haben jetzt beide unser Studium beendet. Die Heirat eilt nicht, der nächste Schritt ist jetzt zusammenzuziehen, in eine Stadt. Ich bewerbe mich gerade, und je nachdem, wo ich etwas kriege, bewirbt sich Ale dort dann auch.
Alessandro: Ich habe durch Viola und auch durch das Zusammentreffen mit den anderen Erasmus-Leuten gelernt, entspannter zu sein und andere Meinungen zu akzeptieren.
Viola: Übrigens, die Pizza hat meine Freundin dann doch bekommen. Ale hat sie zubereitet - er ist ja dafür verantwortlich, dass ich die Wette verloren habe.    



Peggy, 28, aus Paris, hat Philosophie studiert, und Riccardo, 38, aus Bologna, ist Mathematiker. Sie haben sich 2005 in Berlin kennengelernt, im März ist ihre Tochter Paula auf die Welt gekommen.
Peggy: In Berlin gab es mal wieder eine Erasmus-Party: Ich war müde und wollte nicht mit, eine Freundin überredete mich. Dort traf ich Riccardo, der gerade in Mathematik promovierte. Ich hatte ihn einmal vorher in der Berliner Philharmonie gesehen und fand ihn ein wenig langweilig. Eine Fehleinschätzung. Auf der Party verstanden wir uns sofort. Wir konnten nicht aufhören zu reden, haben uns geküsst und die Nacht zusammen verbracht. Am nächsten Tag gab es keine komische Situation, wir gingen brunchen - kurze Zeit später waren wir ein Paar. Eine deutsche Freundin von mir sagte im Spaß: „Eine Französin und ein Italiener auf Erasmus - klare Sache, da geht’s nur um Sex.“ Aber es war gleich mehr: Vier Monate später sind wir zusammengezogen, nach dem Erasmus habe ich ein DAAD-Stipendium bekommen und meinen Master in Berlin angefangen. Dann hat Riccardo einen Job in Paris bekommen, und wir führten ein halbes Jahr eine Fernbeziehung zwischen Berlin und Paris. Das fand ich aber nicht schlimm: Ich hatte in der Zeit so viel in der Uni zu tun und Riccardo in seinem Job. Während der Zeit habe ich Italienisch gelernt. Jeden Tag haben wir eine halbe Stunde auf Italienisch telefoniert, Riccardo hat mich verbessert. Jetzt merke ich gar nicht mehr, wann ich Italienisch, Französisch oder Deutsch spreche. Streiten und Schreien geht aber besser auf Italienisch. Inzwischen bezeichne ich mich als Europäerin. Das hätte ich vor der Beziehung mit Riccardo und der Zeit in Berlin nicht so gesagt. Wir wollen wieder zurück nach Berlin: Es ist schwer für Riccardo, in einer großen hektischen Stadt wie Paris neue Freunde zu finden; unsere Freunde sind meist meine Freunde von früher. Wenn wir nach Deutschland ziehen, müssen wir den Berlinern nur noch beibringen, dass Paula französisch ausgesprochen wird.    

 

Philipp, 23, aus Stuttgart studiert Wirtschaftswissenschaften, und Judit, 25, aus Budapest studiert Internationale Beziehungen. Sie haben sich 2010 in Budapest kennengelernt, seit einem Jahr wohnen sie dort gemeinsam.
Philipp: Meine Entscheidung für Budapest traf ich aus dem Bauch, über die Stadt wusste ich wenig. Im Februar 2010 ging es los - und gleich in der ersten Woche lernte ich Judit kennen. Sie war die Mentorin meiner niederländischen Nachbarin. Unser Anfang passt wirklich ins Erasmus-Klischee: Wir haben uns abends bei Partys getroffen, haben im Club getanzt, dann geknutscht. Von Anfang an war klar, dass ich Mitte Juni wieder zurück nach Stuttgart fliege. Während der ersten Monate haben wir nie über unsere Zukunft geredet, wir haben unsere Zeit genossen. Einen Monat vor meiner Abreise stritten wir uns heftig. Ich sagte, dass ich in Fernbeziehungen keine Perspektive sehe. Im dualen Studium ist man einfach nicht so flexibel wie ein normaler Student. Ich hatte keine Semesterferien, immer Anwesenheitspflicht und 30 Tage Urlaub im Jahr. Nach langem Hin und Her haben wir gesagt: Wir probieren es - und es hat viel besser geklappt, als ich erwartet hatte. Etwas mehr als ein Jahr hatten wir eine Fernbeziehung, mit Skype, Flügen und Telefonieren. Nach dem Bachelor habe ich mich dann für den Master der Wirtschaftswissenschaft in Budapest beworben. Jetzt lerne ich Ungarisch, doch meist unterhalten Judit und ich uns auf Englisch - eine Herausforderung, weil es ja weder meine noch ihre Muttersprache ist und man manchmal nicht so präzise sein kann. Meine Beziehung mit Judit hat meinen Blick auf Europa nicht unbedingt verändert, ich merke aber, welche Vorteile wir als Europäer haben: Wir brauchen kein Visum, können zusammen in Deutschland leben oder in Budapest arbeiten. Wenn Judit Russin wäre, ginge das alles nicht so leicht. Was ich fürs Leben gelernt habe? Ich bin gelassener geworden: Die Ungarn feiern zum Beispiel den Geburtstag häufig vor dem eigentlichen Datum. Ich habe am 30. November Geburtstag, letztes Jahr hat Judit einfach ein paar Tage vorher eine Feier organisiert. Für sie war es unverständlich, dass das Unglück bringen soll. Inzwischen feiere ich bei den verfrühten Partys einfach mit.  


Sofia, 24, aus Helsinki arbeitet im Onlinemarketing, Stefan, 25, aus München studiert Betriebswirtschaftslehre. Sie sind seit zweieinhalb Jahren zusammen und wohnen in München.
Sofia: Hätte mir vor meinem Austauschsemester jemand gesagt, dass ich mit einem Deutschen zusammenkomme und dann nach München ziehe - ich hätte lachend den Kopf geschüttelt. Deutschland war nie auf der Liste der Länder, die ich besuchen wollte. Aber Ende August bin ich aus Helsinki zu Stefan nach München gezogen. Inzwischen schmecken mir sogar die Weißwürste. Stefan und ich haben uns 2010 in Lund in Schweden kennengelernt. Wir haben beide BWL studiert. Erasmus-Studenten sind alle auf der Suche nach neuen Freunden, da lernt man sich viel schneller kennen: Stefan und ich haben uns das erste Mal auf einer Stadttour durch Stockholm getroffen. Wir haben uns immer wieder bei Partys gesehen, bei Facebook geschrieben, dann Nummern ausgetauscht und sind zusammen Formulare ausfüllen gegangen. Es war ziemlich schnell klar, dass wir uns sehr mögen. Beziehungen, in denen beide sofort wissen, dass es in einem halben Jahr wieder vorbei ist, sind nichts für mich. Ich habe Stefan schon früh gefragt, ob unsere Beziehung für ihn nur ein Erasmus-Flirt ist. Er verneinte. Und so kam ich zu meiner allerersten Fernbeziehung. Anderthalb Jahre haben wir sehr viel Geld in Flüge gesteckt. Meinen Freund nur alle drei Monate sehen - das geht nicht. Letztes Jahr habe ich einen Sprachkurs in München gemacht und mich in die Stadt verliebt. Hier sind die Leute so viel offener als in Helsinki. Stefan hat mir wirklich eine neue Welt erschlossen, ohne ihn hätte ich viele Aspekte des Lebens nicht kennengelernt. Mit ihm zusammen bin ich das erste Mal wandern gegangen und habe das Skifahren ausprobiert - Sportarten, die ich niemals allein ausprobiert hätte. Für den nächsten deutschen Winter muss ich allerdings meine Schwünge noch etwas üben.     


Felix, 26, arbeitet in einer PR-Agentur in Stuttgart, Marina, 25, studiert Kunstgeschichte in Barcelona. Sie haben sich 2010 in Amsterdam kennengelernt.
Felix: Als ich 2010 anfing, Kommunikationswissenschaft in Amsterdam zu studieren, habe ich bewusst im Wohnheim für Niederländer gewohnt, um Niederländisch zu lernen. Aber Amsterdam ist so international, dass man zwangsläufig mit Menschen aus aller Welt zusammenkommt. Marina habe ich über Bekannte getroffen. Sie war Teil einer riesigen Erasmus-Clique. Wir haben immer zusammen gekocht und gefeiert, bestimmt zwei- oder dreimal die Woche. Sie ist mir sofort aufgefallen - und ich ihr wohl auch: Marina kannte mich bereits von Facebook-Fotos ihrer spanischen Freundin, die ein Semester zuvor in Amsterdam studiert hatte. Irgendwann, abends in einer Kneipe, haben wir uns geküsst. So verliebt war ich noch nie. Ich habe das Gefühl, Marina und ich haben uns gefunden. Auch wenn es unglaublich kitschig klingt: Selbst über den Namen unseres zukünftigen Kindes waren wir uns einig. Matilda soll’s sein. Für Marina und mich ist die Fernbeziehung eine Zwischenlösung - und deshalb auch nicht so schlimm. Wir sehen uns alle paar Wochen, für ein paar Monate haben wir gemeinsam in Stuttgart gelebt, vorher war ich für einen Monat in Barcelona. Langfristig wollen wir zusammenwohnen; Marina kommt wahrscheinlich nach Deutschland, hier findet man leichter einen Job als in Spanien. Dass wir überall arbeiten und leben können, ist ja Fluch und Segen unserer Generation. Ich war schon vor dem Erasmus begeisterter Europäer, gerade die europäischen Großstädte gefallen mir: Menschen von überall her kommen zusammen, Beziehungen bilden sich über Ländergrenzen hinweg, es gibt dieses europäische Lebensgefühl. Wirkliche kulturelle Unterschiede fallen mir bei uns nicht auf. Obwohl, inzwischen schmiere ich manchmal Öl aufs Brot statt Butter - das hätte ich vor Marina nie gemacht. 


Text: fiona-webersteinhaus - Illustration: Joanna Swistowski

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