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„Wenn ich an Europa denke, denke ich an Schönheit.“

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Zhang Jieqian, 23, Übersetzerin
Ich habe Anglistik an einer Fremdsprachenuni in Shanghai studiert. Viele meiner Kommilitonen sind ins Ausland gegangen, nach England, Spanien, Frankreich oder Deutschland. Aber nur für ein oder zwei Jahre, das unterscheidet uns von der Generation unserer Eltern. Früher haben Austauschstudenten davon geträumt, für ihr ganzes Leben in den Westen auszuwandern. Doch heute wollen die meisten wieder nach China zurückkommen. Hier gibt es inzwischen viele Karrierechancen, und in Großstädten wie Shanghai kann man ein gutes Leben führen. Europa finde ich vor allem wegen seiner Kultur interessant: Ich denke an gutes Handwerk, an italienische Mode und Schweizer Uhren. Europäer pflegen die Liebe zum Detail und achten ihre Traditionen - davon können wir in China viel lernen. Jetzt, da der Eurokurs so niedrig ist, überlege ich mir, bald mal hinzufahren.   



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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Xie Houming, 26, Segellehrer
Als Kind hatte ich kein gutes Bild von Europa. In China lernt man im Geschichtsunterricht viel über den Opiumkrieg. Von England und Frankreich wusste ich daher nur, dass sie im 19. Jahrhundert in China eingefallen sind. Auch in chinesischen Fernseh- und Kinofilmen, die ich früher geschaut habe, ging es immer wieder um die bösen Imperialmächte aus dem Westen. Heute habe ich viele Freunde aus Europa. Die meisten kenne ich durch den Segelclub, in dem ich arbeite. Europäer wirken auf mich sehr offen und wagemutig, wir Chinesen sind in vielen Dingen Angsthasen. Und die Europäer sind in Familienfragen weniger traditionell als wir. In Europa muss man weder heiraten noch Kinder bekommen. Das würden chinesische Eltern und Großeltern niemals akzeptieren.   



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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Zheng Yang, 26, Fotograf  
Wenn ich an Europa denke, denke ich an Schönheit: an die Kunst der Antike und der Renaissance, an Gemälde von Gauguin, van Gogh und Klimt. Als ich das Fotografieren lernte, habe ich alte Bildbände studiert und versucht, mir in Sachen Bildaufbau so viel wie möglich von den alten Meistern abzuschauen. Ich war noch nie dort, aber ich habe viele Dinge, die ich mit Europa verbinde: eine alte Kaffeemühle aus Italien, die ich täglich benutze, einen Schallplattenspieler aus den Dreißigern, auf dem ich abends John Lennon höre. Ich könnte mir vorstellen, dass ich dafür selbst in Europa als altmodisch gelten würde. Meine chinesischen Freunde finden meine Liebe zu diesen alten Dingen jedenfalls ziemlich ulkig.  



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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Ge Peiqi, 24, Model
2007 bin ich für zwei Jahre nach Paris gezogen, damals habe ich mit dem Modeln gerade angefangen. Wie anders das Leben in Frankreich doch war! Chinesen sind in erster Linie auf Arbeit und Karriere konzentriert. Bei uns denken die meisten: In jungen Jahren soll man viel Geld verdienen. Aber das scheint vielen Europäern gar nicht wichtig zu sein. Wenn kein Geld mehr da ist, wird eben ein Kredit aufgenommen. Von den Franzosen habe ich viel in Sachen Savoir-vivre gelernt. Ich habe es geliebt, im Café zu frühstücken, am Wochenende mit Freunden im Park zu picknicken und abends auf dem Balkon Rotwein zu trinken. An eines konnte ich mich allerdings nicht gewöhnen: an die ständigen Streiks. Dass die U-Bahn alle paar Tage wieder nicht fuhr, schien das Normalste der Welt zu sein. Das würde in China nie passieren.   



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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Zhou Xuer, 20, Cafébesitzerin
Ich habe eine nostalgische Vorstellung von Europa. Ich liebe Schwarz-Weiß-Filme, die Beatles und Vintage-Mode. Davon habe ich mich inspirieren lassen, als ich mit zwei Freunden gemeinsam unser Café eröffnet habe. Wir Chinesen wissen das Alte nicht zu schätzen, Historisches wird abgerissen, weggeschmissen und vergessen. Immer muss alles neu sein und schnell gehen. Zu viel Hektik, kaum Platz für Romantik, so ist der Alltag in China. Europa stelle ich mir als das Gegenteil vor - dort ist das Leben ruhig, Häuser und Dinge haben ihre eigene Geschichte. Die Menschen sind freigeistig und wissen zu genießen. So wie in Die fabelhafte Welt der Amélie. Wenn ich später mal die Gelegenheit haben sollte, nach Europa zu reisen, werde ich dort als Erstes in Secondhandläden und auf Flohmärkte gehen.      



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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Yang Guang, 23, Informatikstudent
In Europa, erzählen alle, die schon dort waren, sei abends ab acht auf den Straßen nichts mehr los, nur noch Bars haben offen. Dafür sind die Städte sauber, und die Natur auf dem Land ist schön. Insgesamt scheint es mir, als sei Europa zurzeit sehr mit sich selbst beschäftigt. Aber auch wenn dort gerade Krise ist und in China alle Medien darüber berichten: So schlimm kann das doch alles gar nicht sein. Wenn in China eine Firma mit hundert Angestellten bankrottgeht, verlieren alle ihre Arbeitsplätze und wissen am nächsten Tag nicht mehr, wovon sie leben sollen. Insolvenz in Europa bedeutet meist, dass die Jobs teilweise erhalten bleiben, die Leute bekommen eine Abfindung oder Arbeitslosengeld. Einen Existenzdruck wie in China kennt man dort nicht. Dass es Sozialsysteme gibt wie in Skandinavien oder Deutschland, können wir fast nicht glauben. 



Text: xifan-yang - Fotos: Algirdas Bakas

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