Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Mädchen, warum müsst ihr jedes Wort von uns auseinandernehmen?

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Die Jungsfrage:

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Es ist ja so: Glaubt man dem Volksmund, sind Frauen komplizierter als Männer. An jedem Stammtisch jedenfalls herrscht traute Eintracht darüber, dass man das andere Geschlecht womöglich nie ganz begreifen können wird und man schüttelt bewundernd die Köpfe über diese oder jene Verwirrung der Verhältnisse allein durch weibliche Anwesenheit. Selbst in aufgeklärten Kreisen wird niemand bestreiten, dass das andere Geschlecht in seiner faszinierenden Vielfalt die interessantesten Überraschungen bereithält und sich die zu Grunde liegenden Parameter gerne mal spontan ändern. Jetzt aber macht in diesen Tagen die Plattform hetexted.com die Runde, auf der sich die Frauen in globaler Eintracht über die SMS-Kommunikationen austauschen können und auf der sie gemeinsam über den Sätzen und Worthülsen brüten, die im Laufe eines Flirts so von den Männern abgesondert wurden. Ganz wild ist die Community darauf, versteckte Bedeutungen, Zwischentöne und Hinweise in solchen lapidaren Ersagt/Siesagt-Dialogen zu finden. Das ehrt uns, aber ganz ehrlich, ist das nicht ein bisschen übertrieben? Wenn, dann müssten wir Geheimbotschaften des Herzens doch in euren Äußerungen vermuten, eben wegen der enormen emotionalen Komplexität, die euch zueigen ist. Wir sind doch gemeinhin einfach zu durchschauen. Warum neigt ihr aber trotzdem dazu, jedes Wort von uns derart akribisch zu analysieren und in jedem Satz nach versteckten Offenbarungen zu suchen? Und – findet ihr dabei wirklich was?

Auf der nächsten Seite liest du die Mädchenantwort von juliane-frisse.


Die Mädchenantwort von juliane-frisse:

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Ihr schreibt ja eh oft so wenig, von daher hoffe ich inständig, dass ich euch mit meinem Geständnis nun nicht völlig zum Verstummen bringe, aus Angst vor der Interpretationsarmada. Wobei, ich verrate dir jetzt etwas, dass du ja offenbar schon ahnst, nachdem du dich ein wenig auf hetexted.com umgeschaut hast. Es ist allerdings etwas, von dem ich eigentlich niemals wollen könnte, dass ihr es erfahrt, aus Gründen, die ich noch ausführen werde: Ok, stimmt, es gleicht einer semantischen Tiefenanalyse, wenn wir eure SMS-Nachrichten bis in die klitzekleinsten Details auseinander nehmen. Gerne auch gemeinsam und ja, wir suchen dabei sogar in der Interpunktion nach versteckten Bedeutungen. Es ist ein wenig manisch, zugegeben.  

Das gilt allerdings nicht für jede SMS von jedem von euch. Sondern es gilt für die Textnachrichten, die uns derjenige schickt, den wir aktuell in unser Herz geschlossen haben, wenn wir uns gleichzeitig aber noch nicht sicher sind, ob dieser Jemand uns umgekehrt genauso gern hat. Das wollen wir auf diese Weise unauffällig herausfinden. Das ist übrigens der einzige Zweck unserer akribischen Untersuchung, was du auch schon an dem Abstimmungstool auf hetexted.com ablesen kannst:  „He’s into you“ versus „He’s not into you“ versus „Verdict is still out“.  

Dafür gilt es aber wohl quasi-universal, also tatsächlich für die globale Mädchencommunity, weswegen ich der SMS-Interpretations-Website eine große Zukunft prophezeie. Denn wirklich ALLE meiner Freundinnen analysieren eure maximal 160 Zeichen in diesem Fall, als wären wir Literaturwissenschaftlerinnen, die an einer Werkausgabe zu einem Autoren mit einem hochkomplexen Opus arbeiten.   

Womöglich fragst du dich, warum wir euch dann nicht einfach direkt fragen, wie ihr zu uns und der aufkeimenden Verbindung zwischen euch und uns steht, wenn wir ach so verknallt sind. Nun, manche von uns sind dafür wohl auch zu schüchtern. Vor allem aber haben wir die Erfahrung gemacht, dass es oft weise ist, euch ein wenig im Ungewissen zu lassen, wie gut wir euch finden, damit ihr das Interesse an uns nicht verliert. Stichwort: Jagdinstinkt. Natürlich geht das Im-Ungewissen-Halten nicht so weit, dass wir so tun, als würdet ihr uns völlig kalt lassen, ihr sollt schon merken, dass wir euch ziemlich, ach was, sehr ok finden. Aber wir würden euch nicht unser sehr verliebtes Herz zur freien Verfügung aushändigen wollen, wenn wir noch nicht sicher sind, dass ihr es pfleglich behandelt. Indem wir euch direkt fragen würden, ob ihr uns denn auch zurückmögt, würden wir uns jedoch gefühlsmäßig völlig offenbaren. Daher lieber die manische Tiefenanalyse, bei der wir zwar in der Regel keine Gewissheiten, aber zumindest Hinweise auf eure Gefühlslage entdecken. Oder zu entdecken glauben.
      
Es macht mich übrigens ein wenig traurig, dass ihr umgekehrt offenbar nie in unseren Textnachrichten nach weiteren Bedeutungsebenen forscht. Denn wir machen uns sehr wohl Gedanken, was wir euch texten, wägen unsere Worte sorgsam ab und ja, auch die Interpunktion!, bevor wir dann nach einer Viertelstunde auf „Senden“ drücken. Von daher könnt ihr euch ruhig mal an der Analyse unserer SMS versuchen. Da gibt es nämlich einiges zu interpretieren! Auch wenn zurecht wohl niemand von uns je eine Werkausgabe anfertigen wird.

  • teilen
  • schließen