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"Sommer und Weihnachten kommen die Krisen“

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jetzt.de: Frau Holler, für wen und was ist die psychologische Beratungsstelle am Studentenwerk da?
Petra Holler: Wir verstehen uns als eine Anlaufstelle für Studierende in Krisen oder schwierigen Situationen. Sie können mit Problemen jeder Art zu uns kommen. 
 
Was sind die häufigsten Probleme der Studenten?
In rund 50 Prozent der Fälle geht es um studienbedingte Schwierigkeiten, oft in Kombination mit einer depressiven Verstimmung, Ängsten, Selbstwert- oder Identitätskrisen. Studienbedingte Probleme sind Prüfungsängste, Lernschwierigkeiten, Arbeitsstörungen, Redeangst, aber auch ganz allgemein starke Versagensängste. Nicht zu wissen: Ist das überhaupt das Richtige für mich? Was mache ich denn hinterher? 
 
Melden sich auch Freunde von Studenten, die Schwierigkeiten haben?
Ja, öfter als früher! Es ist schön zu sehen, dass die Freunde aufeinander achten, sich umeinander kümmern und versuchen, eine wichtige Brücke zu schlagen. Das gilt auch für Angehörige und Dozenten, die bei uns anrufen.
 
Ist das Beratungsangebot auch für Dozenten da, falls es denen selbst mal schlecht geht?
Offiziell sind wir ausschließlich für Studierende zuständig, die über das Münchner Studentenwerk betreut werden. Das sind immerhin 110 000. Aber das hat sich einfach rumgesprochen und natürlich stehen wir auch Dozenten und Angehörigen mit Rat und Tat zur Seite. 
 
Wie läuft eine Beratung bei Ihnen ab?
Man meldet sich im Sekretariat an. Wir schauen, dass die Wartezeit nicht länger als zwei Wochen beträgt, das kann aber mal sein, wenn viel los ist. Wir führen dann ein ausführliches Erstgespräch: Was ist los, was sind die Hauptsorgen, was hat zu dieser krisenhaften Entwicklung geführt? Und wir versuchen mit dem Ratsuchenden ins Gespräch zu kommen: Was hat derjenige sich schon für Gedanken gemacht, was die Ursachen sein könnten? Welche Lösungsschritte hat er schon in die Wege geleitet, die aber vielleicht nicht gefruchtet haben? In einem dritten Schritt schauen wir, was sinnvoll wäre, weiterführend zu tun und ob der Ratsuchende damit einverstanden ist. 
 
Wie lange kann man zur Beratung kommen?
Wir haben für jeden Studenten maximal drei Sitzungen zur Verfügung.
 
Gibt es Ausnahmen, in denen jemand öfter kommt?
Ja, wenn einer unserer Berater den Eindruck hat, die drei Sitzungen reichen nicht aus, weil er noch Zeit braucht, um sich ein Bild zu machen. Oder weil eine schwerwiegende Problematik vorliegt, die unbedingt weiter behandelt gehört, der Ratsuchende aber schwer motivierbar ist und wir ihn nicht einfach so gehen lassen können, sondern sehr aktiv dafür sorgen müssen, dass eine adäquate Weiterbegleitung eingeleitet wird.
 
Kommt es öfter vor, dass jemand sich nicht weiter behandeln lassen möchte?
Viele haben Angst vor einer weiterführenden Therapie und große Vorbehalte. Dann klären wir natürlich auf: Wie kann man sich das vorstellen, wie läuft das ab, wie ist das mit der Antragstellung bei der Krankenkasse? Wenn wir der Auffassung sind, dass eine weiterführende Psychotherapie sinnvoll ist, dann bemühen wir uns, jemanden zu finden und hoffen natürlich, dass derjenige dann dort auch gut ankommt.
 
Sie vermitteln ihn also weiter an einen Therapeuten?
Ja. Das tun wir persönlich. Wir geben nicht einfach Listen raus, die die Studenten abtelefonieren müssen, weil das unglaublich frustrierend sein kann, sondern bemühen uns in jedem einzelnen Fall einen geeigneten Therapeuten oder eine Therapeutin zu finden. Das ist manchmal schwierig, weil die Passung und die Chemie stimmen müssen.
 
Erfahren Sie, ob es mit einem ihrer Studenten und der Therapie geklappt hat?
Wir hätten gern häufiger eine entsprechende Rückmeldung. Wir sagen immer: Wenn Sie Lust haben, melden Sie sich nochmal. Aber es ist ja eine Krisensituation, viele sind dann froh, wenn sie bei jemandem gelandet sind und denken einfach nicht mehr dran. Manche rühren sich auch nach einer erfolgreichen Therapie und bedanken sich für die Vermittlung. 
 
Wie viele Studenten kommen im Durchschnitt in die Beratungsstelle?
Immer mehr! Wir führen eine Jahresstatistik, letztes Jahr hatten wir knapp tausend Anmeldungen und es steigt kontinuierlich. In den letzten zehn Jahren sind es mehr als doppelt so viele geworden.

Woran liegt das?
Sicher daran, dass die Anzahl der Studierenden steigt und dass die Offenheit und die Bereitschaft eine Beratungsstelle aufzusuchen gewachsen ist. Unserer Meinung nach liegt es aber auch daran, dass sich der Alltag der Studierenden stark verändert hat. Zeitmanagement, Stressmanagement, das sind so Schlagworte, die man vor zehn oder fünfzehn Jahren im Studienalltag im Grunde nicht gehört hat. Da ging es um andere Fragen, um Identitätsproblematiken, wo gehöre ich hin im Leben, was will ich eigentlich? 
 
Hat es vielleicht auch damit zu tun, dass die Studenten wegen der verkürzten Schulzeit immer jünger werden?
Ja, das beginnt bereits, sich deutlich zu verändern. Es melden sich auch vermehrt Eltern, das war früher nahezu nie der Fall. Es kann ja sogar sein, dass manche Studenten noch nicht volljährig sind, wenn sie sich immatrikulieren. Das verändert etwas am Selbstbild eines Studenten und auch an den Beratungsanliegen. Die Fragen sind jetzt eher: Wie organisiere ich mich, wie mache ich es richtig? 
 
Kommen besonders viele Studenten in den Prüfungsphasen?
Diese Wellenbewegung flacht ab. Der Andrang ist eigentlich immer gleich hoch, vielleicht mit einer kleinen Delle nach unten in den Sommermonaten, wenn viele verreist sind. Aber wir stellen fest, dass da, genau wie an Weihnachten und Silvester, verstärkt sehr schwere Krisen kommen, die über das Semester, wenn die Uni läuft und die Kommilitonen da sind, besser kompensiert werden können. 
 
Wie setzt sich Ihr Team zusammen?
Wir sind insgesamt neun Kolleginnen und Kollegen plus unser Sekretariat und ein Werkstudent. Wir sind Psychologen und Ärzte mit der Grundausbildung klinische Psychologie, haben alle eine psychotherapeutische Zusatzausbildung und auch alle noch unsere eigenen Praxen. 
 
Gibt es eine Aufgabenverteilung?
Zusammen mit einem Kollegen kümmere ich mich um Beratung in Fällen sexueller Diskriminierung, Belästigung und Gewalt. Ansonsten schauen wir, wie die Bedarfslage bei den Studenten ist. Ein Beispiel sind unsere Lernkurse zur Vermittlung von Arbeits- oder Studiertechniken. Das ist ein bisschen aus der Not geboren, weil viele Studierende kamen, die sich mit dem Lernen und dem Zeitmanagement schwertun, die Prüfungsängste haben oder nicht so richtig wissen, wie man eine Arbeit schreibt. Dann gibt es noch das soziale Kompetenztraining. Das betrifft Studierende, die in Gruppen verunsichert sind, Ängste haben, sich nicht integrieren und keinen Kontakt aufnehmen zu können. Ein Kollege bietet auch regelmäßig Entspannungsgruppen an, zum Umgang mit Stress. 
 
Ab wann ist der Unipsychologe nicht mehr der richtige Ansprechpartner?
Die Studierenden können mit allem kommen, was sie bewegt. Wenn es sich aber um eine ernsthafte akute Krise handelt, etwa bei unmittelbar drohender Selbst- oder Fremdgefährdung, müssen auch wir zur raschen Krisenintervention weiterverweisen. Wenn sich zum Beispiel jemand nicht glaubhaft von seinen Suizidgedanken distanzieren kann und sich nicht beruhigen lässt, dann müssen wir eine sofortige Einweisung veranlassen. Das kann auch dazu führen, dass wir selbst mit in die Klinik fahren.
 
Hatten Sie auch schon mal das Gefühl, nicht helfen zu können?
Klar, das gibt es auch. Es gibt immer wieder Ratsuchende, denen es sehr schlecht geht, bei denen aber die Angst und die Vorbehalte vor einer weiterführenden Behandlung so groß sind, dass sie meine Empfehlung und Ermutigung nicht umsetzen können und ich sie ziehen lassen muss. Das ist manchmal nicht einfach auszuhalten. Dieses Gefühl zu haben, da gäbe es etwas, das sehr hilfreich und notwendig wäre, aber aus unterschiedlichen Gründen kann derjenige das im Moment nicht annehmen. 
   
Wann wissen Sie: Da habe ich helfen können?
Oft kommt jemand in einem Zustand großer Verunsicherung und hat zum Beispiel Angst, einen Abschluss nicht zu schaffen. Wenn es uns dann gelingt, erstmal zu beruhigen, Druck rauszunehmen und denjenigen durch dieses Tal zu begleiten, dass er oder sie das Studium gut abschließen und dieses Erfolgserlebnis doch noch haben kann, das ist ein sehr schönes Gefühl. 
 
Was wünschen Sie sich für die Studenten?
Ich wünsche mir, dass sie Zeit haben und auch seitens des Universitätsbetriebs bekommen, für ihre Persönlichkeitsentwicklung und auch dafür, mal eine falsche Entscheidung zu treffen, einen Umweg zu gehen. Wenn ich größtenteils damit beschäftigt bin, wie ich es etwas richtig mache, dann orientiere ich mich an Vorgaben. Für mich gehört zum Studieren und zur Persönlichkeitsentwicklung aber auch, gerade diese zu hinterfragen. Eine nicht bestandene Prüfung gehört dazu und die Erfahrung, dass davon die Welt nicht untergeht.



Text: nadja-schlueter - Foto: nadja-schlueter

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