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Zwei Leben

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Gefühlt sind es 30 Sekunden, in denen die Studentin Sina zur Rezeptionistin Frau Klug wird. Studentin Sina trägt ein blaues Sommerkleid mit weißen Punkten, als sie durch die Lobby eines Berliner Hotels huscht und in der Küche verschwindet. Frau Klug trägt ein schlichtes, schwarzes Shirt, als sie kurz darauf aus der Küche tritt. Daran steckt sie ein Namensschild, „Sina Klug. Rezeption“ steht darauf. Erst dann nimmt sie die Schulklasse aus Koblenz in Empfang, die gerade eincheckt.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Der Rollenwechsel ist für Sina Klug, 23 Jahre alt, inzwischen Routine geworden. Seit fast drei Jahren ist sie Studentin und Hotelangestellte in einem. An der Internationalen Berufsakademie in Berlin studiert sie Betriebswirtschaftslehre mit der Spezialisierung auf Hotel- und Tourismusmanagement. Ein dualer Studiengang: In Vorlesungen bekommen Klug und ihre Kommilitonen Wissen vermittelt, das sie dann in Ausbildungsbetrieben erproben sollen, in Restaurants, riesigen Fastfood-Ketten oder, wie Klug, in Hotelunternehmen.  

Über 61 000 Studierende sind in Deutschland in duale Studiengänge eingeschrieben. Der berufsnahe Mix aus Studium und Ausbildung lockt mit der Aussicht auf gut bezahlte Stellen nach dem Abschluss. Die Ausbildungsbetriebe betrachten ihn ihrerseits als Chance, Führungskräfte heranzuziehen. Sie übernehmen Studiengebühren und zahlen häufig schon während des Studiums ein Gehalt. Doch auch für die Studenten ist der Preis für diese Vorteile hoch. Familie, Freizeit und Freunde müssen für die Dauer des Studiums meist hintenanstehen.  

Als Sina Klug 2009 nach Berlin kommt, liegen zwei Jahre als Animateurin und Segellehrerin in Ferienclubs auf den Kanaren hinter ihr. Sie möchte Tourismus studieren, mit viel Praxisbezug. „Ich wollte anwenden, was ich lerne“, sagt sie, „und nicht irgendwas auswendig lernen.“ In wöchentlichem Wechsel besucht Klug seither die Berufsakademie und verschiedene Häuser des Hotelunternehmens Meininger.  

Im Hotel verbringt sie ihre Tage anfangs vor allem hinter der Rezeption und in der Küche. „Wenn ich den siebten Tag in Folge Teller gespült und mir gedacht habe, dass ich ein Einser-Abi habe und studiere, war das manchmal ziemlich frustrierend.“ Erst mit der Zeit werden die Aufgaben anspruchsvoller. Klug organisiert Events der Marketingabteilung und hilft bei der Eröffnung neuer Hotels. Immer intensiver wird sie nach und nach ins Unternehmen eingebunden.  

An der Akademie belegt sie parallel Fächer wie Statistik, Rhetorik und Tourismusrecht. Die Kombination von Praxis und Theorie gefällt ihr, auch die Themenvielfalt. Sie mag es, das alles zu verzahnen.  

80 Stunden Uni und 80 Stunden Hotel stehen monatlich auf ihrem Lehrplan, Lernen und Wochenendschichten exklusive. Von 40 Studenten sind sechs Semester später noch 20 übrig. Einige haben hingeschmissen, andere wurden von ihren Betrieben gekündigt, weil sie deren Erwartungen schlicht nicht mehr erfüllen konnten.  

Man müsse das alles schon wirklich wollen, sagt Klug. „Ich persönlich arbeite gern hart und viel, ich möchte keinen Montag-bis-Freitag-9-bis-18-Uhr-Job, in dem immer alles gleich bleibt.“ Das habe sie von ihrem Vater geerbt, der auch viel arbeitet. Ihre Mutter hingegen ist traurig, weil sie die Tochter nur selten sieht, und auch Freundschaften haben unter ihrem dualen Studium gelitten. Nur echte Freunde verstehen es, wenn man siebenmal hintereinander absagt. Auch das hat Klug gelernt.  

In ein paar Tagen hat sie ihren letzten Arbeitstag im Hotel, auch ihre Bachelorarbeit hat sie abgegeben. Nur wenige Prüfungen und die mündliche Verteidigung fehlen zum Abschluss. Jetzt, wo das Ende so nahe ist, freut sich Sina auch auf ruhigere Zeiten. Wie sie das sagt, klingt es ein bisschen wie ein Geständnis.   Sie hätte auch bei der Hotelkette bleiben können. „Ich hatte ein sehr gutes Jobangebot von meinem Betrieb, sie haben um mich gekämpft.“ Trotzdem hat sie abgelehnt. Den Rest ihres Lebens im Tourismus zu arbeiten, das kann sie sich heute nicht mehr vorstellen. „Mit der Zeit habe ich gemerkt, dass mir etwas fehlt. Auch wenn das vielleicht doof klingt: Ich möchte etwas Gutes machen, etwas verändern. Ich glaube, das könnte ich besser im Kulturbereich und würde dann mehr hinter dem stehen, was ich tue.“  

Klugs Schicht hinter der Rezeption endet bald, doch Feierabend hat sie nicht. Sie muss lernen – und ihren Umzug vorbereiten: nach Friedrichshafen. Dort wird sie einen Master in Communication & Cultural Management beginnen, sobald sie in Berlin fertig ist. Ein ganz normales Studium. „Ein bisschen war es an der Berufsakademie ja wie in der Schule“, sagt Sina Klug. „Ich hatte einen festen Stundenplan und durfte vielleicht ein-, zweimal in sechs Semestern zwischen Kursen wählen. Sonst war alles vorgeschrieben.“ Sie möchte nun zwei Jahre lesen, forschen, ihren Horizont erweitern. „Alles nachholen“, sagt sie. Dann verschwindet sie im Berufsverkehr. Sie trägt wieder ihr gepunktetes  Sommerkleid.

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