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Jungs, macht euch die Frauenquote Angst?

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Die Mädchenfrage:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Als ich am Donnerstag morgen im Radio die Meldung hörte, dass die Frauenquote in Aufsichtsräten möglicherweise im Bundesrat Zustimmung finden würde, da habe ich mich gefühlt, als wäre ich zwei Zentimeter gewachsen. Noch auf dem Weg zur Arbeit pfiff ich radelnd vor mich hin und überlegte ein bisschen hämisch, was sich in den Köpfen der Männer in den Vorstandsetagen der Republik wohl gerade so abspielen würde.
 
Es war ein schönes Gefühl, das diese kleine Meldung und der Bundesratsbeschluss am Tag darauf in mir ausgelöst hatte – auch wenn ich selbst vermutlich nie in die Verlegenheit kommen werde, einen Vorstands-Job zu übernehmen. Ob mit Quote oder ohne.
 
Aber dann habe ich ein bisschen weiter überlegt: Wenn mir diese Meldung so viel Spaß macht, weil das für einige meiner Geschlechtsgenossinnen eine echte Chance bedeutet und unsere Gesellschaft womöglich wirklich ändern wird – wie fühlt sich dann diese Meldung für die andere Hälfte der Menschheit an, für euch Jungs?
 
Schließlich hätte die Frauenquote ja auch auf euch direkte Auswirkungen: Es könnte passieren, dass eure Kolleginnen in Zukunft an euch vorbei befördert werden. Es könnte passieren, dass ihr sogar – oh schreck! – besser qualifiziert seid als sie und trotzdem nicht vom Fleck kommt. Es könnte sogar passieren, dass ihr dann in eurer Beziehung derjenige seid, der weniger verdient und aus diesem Grund automatisch in den Halbtagsjob manövriert wird, sobald Nachwuchs da ist.

Jaja, klar, das alles klingt jetzt sehr unrealistisch. Aber es KÖNNTE eben doch passieren. Und deshalb frage ich heute sehr emotionsgeladen (weil: Lippenbekenntnisse von Männern pro Quote gab es jetzt echt genug): Wie fühlt es sich für euch an, wenn über die Quote geredet wird? Macht euch das Angst? Oder freut ihr euch auch darüber, dass sich endlich etwas verändert in den verkrusteten Strukturen?

Auf der nächsten Seite liest du die Jungsantwort.



Die Jungsantwort von christian-helten:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


In der Grundschule herrschte in meiner Klasse ein riesiges Jungs-Übergewicht. Es gab nur fünf Mädchen, die sich einer großen Übermacht gegenübersahen. Mädchen und Jungs hatten zusammen Sportunterricht, und irgendwann in der vierten Klasse kam wieder mal der Tag, an dem 50-Meter-Sprints auf dem Programm standen. Wer da der Schnellste war, konnte sich eines oberen Rangs in der Klassen-Hackordnung sicher sein. Weil Jungs sowieso in der Übermacht waren und wir auch alle schneller liefen als unsere paar Mädchen, war unsere Vorstandsetage zu 100 Prozent männlich dominiert. Und dann kam Inga und brachte das alles durcheinander.

Sie war neu in der Klasse, hatte ziemlich lange Beine – und rannte uns allen davon. Inga war die schnellste, schneller als alle von uns kleinen Mini-Machos.  

Diese Situation war neu, und wir wussten nicht recht damit umzugehen. Normalerweise hätte der 50-Meter-Checker sich großer Ehrerbietungen sicher sein können. Jetzt einfach dieses neue, schnelle Mädchen zum Klassensuperhelden zu machen, fiel uns aber nicht ein. Es fühlte sich an wie eine feindliche Übernahme. Wir waren verwirrt.

Ein bisschen gibt es diese Angst bei uns immer noch, auch weit nach Ende der Grundschulzeit: Von einem Mädchen auf einem Gebiet überholt zu werden, in der wir Jungs uns per Gewohnheit eigentlich als das Maß der Dinge betrachten, daran haben wir schon ein bisschen zu knuspern. Man kann das regelmäßig in Kickerkneipen beobachten, wenn ein geübtes Mädchenteam zwei Jungs wegballert, und die sich dann verdutzt bis zerknirscht anschauen.

Vorstandsebenen sind zwar, was die Zahlen angeht, auch ein von Männern dominiertes Gebiet. Allerdings gibt es keinen wirklich logischen Grund dafür. Jungs mögen Kickertische lieber als Mädchen, da verwundert es nicht, dass es weniger weibliche Tischfußball-Cracks gibt. In der Arbeitswelt ist das anders. Dass Frauen es hier so selten ganz nach oben schaffen, liegt nicht daran, dass sie schlechter ausgebildet sind als Männer.

Deshalb mag der Gedanke, dass in Tagesschauberichten über große Wirtschaftsunternehmen plötzlich mehr Frauen ins Mikrofon sprechen, für uns vielleicht gewöhnungsbedürftig sein. Angst oder Neid löst das aber nicht aus. Wenn man einmal begriffen hat, dass es auch gute Kickermädchen gibt, ist diese Tatsache nicht schwer zu ertragen. Auch der Gedanke, dass in einer Beziehung nicht immer der Typ die große Kohle ranschafft, löst bei uns keine Panik mehr aus. Im Gegenteil – die Aussicht auf weniger Arbeit und mehr Papa können wir uns für die Zukunft ganz gut vorstellen. Die Quote würde uns also bestimmt ein wenig verunsichern, wir müssten lernen, mit dieser Situation umzugehen. Aber wir würden das schon hinbekommen.

Inga hat uns damals auch nicht in eine längerfristige Krise gestürzt.     

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