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Neulich in Teufels Küche

Text: freitagsmachichfrei

«Kein Feuer, keine Kohle kann brennen so heiss, als heimliche Liebe von der niemand nichts weiss», trällerte er. Er hatte Rosana aus dem 5. Stock zum Essen eingeladen. Zu sich nach Hause. In den 1. Stock. Und er hatte nicht vor, sie früh wieder gehen zu lassen. Es mussten also einige Vorkehrungen getroffen werden. Erstens: Liebe geht durch den Magen. Hiess: Tipps bei Pedros Freundin holen; sie war eine exzellente Köchin. Zweitens: Ambiente schaffen. Hiess: Wohnung entrümpeln und Kerzen bereitstellen. Aber nicht zu viele, nicht zu penetrant. Drittens – und dies war das Hauptproblem: Aber sehen Sie selbst...



Seinen Dinnergast hatte er schon ein paar Mal getroffen. Kürzlich hatte Rosana geäussert, sie fände, es gäbe schon viele Ferkel. Im Speziellen verwies sie auf eine grosse Matratze, die einige Tage in Regen und Kälte auf dem Gehsteig gestanden hatte und dann plötzlich von jemandem abgeholt und vermutlich wieder eingesetzt wurde. «Ist ja ekelhaft.» Ja, wirklich unglaublich. Seit diesem Zeitpunkt ratterte es in seinem Kopf, wie er diese Matratze wieder loswerden konnte.



Als junger Wilder setzt man Prioritäten. Der neue Fernseher hatte teures Geld gekostet, da musste für den Schlafbereich eine pragmatische Lösung gefunden werden. Die besagte Matratze, die er in einer Nacht- und Nebelaktion von der Strasse reingeholt hatte, kam ihm als Zwischenlösung gerade recht. Vor der ersten Nutzung hatte er sie allerdings zum Auftauen in die Küche gestellt. Inzwischen war sie (und der Küchenboden) wieder trocken. Gesäubert und mit einem frischen Laken bespannt hatte sie ihm gute Dienste geleistet.



Und nun musste sie weg, weit weg. Und eine neue her. Und zwar schnell. Dabei riskierte er aber, entweder von seinem neugierigen Nachbarn aus dem 2. Sock, von Rosana, die gerade im Computerraum im Keller an einer Diplomarbeit schrieb oder von ihrem Bruder, der mit ihr zusammen lebte, beim Ausüben seiner Mission ertappt zu werden. Es war also essenziell, den richtigen Zeitpunkt zu bestimmen. Die alte Matratze schleifte er im Morgengrauen die Kellertreppe hinunter, stopfte sie ins hinterste leere Kellerfach und verstellte die Tür mit ein paar halbvollen Kartonschachteln. Entsorgung zu einem anderen Zeitpunkt. Am Nachmittag, wenn Rosana dann im Keller arbeitete, ihr Bruder auswärts weilte und der Nachbar Kinderwagen spazieren führte, wollte er dann den Rest erledigen. So geschah es.



Er flitzte mit dem Fahrrad ins Wohnparadies. Die neue Liegefläche war schnell ausgesucht, ein Teppich und eine Lampe gesellten sich dazu. Seine Fracht war so nicht mehr ganz so verdächtig. Sehr clever. Der Rücktransport fand mit dem Taxi statt. Da er im 1. Stock wohnte, hatte er für die Ausladeaktion knapp 4 Minuten kalkuliert. Die Chancen standen gut. Der Fahrer war bezahlt, die Wohnungstür stand offen. Die Matratze war dann allerdings etwas sperrig. Unvermittelt bot ihm ein Passant Hilfe an. Es war Rosanas Bruder.



«Mist», dachte er. Am Freitag machte das Büro wohl früher dicht. Das zweitschlimmste, das ihm hatte passieren können. Sie zerrten also dieses widerspenstige Teil in seine Wohnung. «Nein, den Teppich kann ich selber tragen, aber es hat noch eine Lampe.» Die schleppte aber gerade der Nachbar aus dem 2. Stock hinein, der wegen Regens den Spaziergang früher beendet hatte. Als der Taxichauffeur davonbrauste, begab sich der Nachbar augenzwinkernd in den 2. Stock und Rosanas Bruder in den Lift. Es stellte sich nur die Frage, ob er den 5. Stock oder den Keller anvisierte. Welches Desaster.



Jetzt gab es nur noch eines: Flucht nach vorn. Also ihrem Bruder zuvor kommen. Unten an der Treppe angelangt war die Tür zu Rosanas Kämmerchen geöffnet. Ihr Bruder stand breitbeinig im Eingang, ein breites Grinsen im Gesicht. Sie sass mit dem Rücken zum Computer, und ihr Gesicht sah aus, als ob sie ihre Nase gerade in einen Ameisenbau gesteckt hätte. «Weisst du, was mein...» Er fiel ihr so beiläufig wie möglich ins Wort: «Ach, du meinst die Matratze und den Teppich und so? Ja, klar, das  stimmt schon, habe endlich Zeit gefunden, all das Zeugs zu besorgen, hab ja Ferien. Wie geht’s, wirst du fertig mit der Arbeit...?»



Finale: Sie war tatsächlich zum Essen gekommen. Er war sehr nervös. Das Dinner sah eher kläglich aus, schmeckte aber vorzüglich. Sein Gast machte bis in die frühen Morgenstunden keine Anstalten, in den 5. Stock abzuhuschen. Der Zeitpunkt war also gekommen, sie in die Arme zu nehmen, ins Schlafzimmer zu tragen und etwas theatralisch auf die neue Matratze zu knallen. Natürlich sanft. Sie fühlte sich gut an.



PS:



Die beiden wurden ein Paar. Als er ein halbes Jahr später auszog, erbte dann ein Elsässer die alte Matratze. Und Rosana erbte ebenfalls. Aber richtig. Sie trennten sich. Sie kaufte sich ein Auto und ein schönes italienisches Metallbett, sehr teuer. Mit neuer Matratze. Vielleicht hätte er sie mal fragen sollen, woher eigentlich ihre alte Matratze stammte. 







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