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Aufklärer und Fregatten

Text: freitagsmachichfrei

Die erste Schülerfete stand ins Haus. So mit richtigen Mädchen und so. «Zeit, wieder einmal das weisse Hemd anzuziehen», meinte meine Mutter. «Zeit für ein bisschen Aufklärung», meinte Bruno, mein Mentor.



Aufklärer und Fregatten waren zwei Überkategorien in meinem Quartett, das ich ab und zu mit meinem jüngeren Bruder spielte. In solchen Kartenspielen hiessen die selig machenden Grössen U/min, Hubraum, PS. Ebenso wichtig war die Bestückung der einzelnen Objekte. Dass es ebenfalls um Bestückung und Grössen in cm gehen würde, war mir sofort klar, als Bruno, mein Klassenkumpel, der ein Jahr älter und zwei Köpfe grösser war als ich, mich fragte: «Bist du eigentlich schon aufgeklärt?»



Er meinte nicht Kant. Den hätte ich damals ja auch gar noch nicht gekannt. Zurück zur Fangfrage. Was hätte ich sagen sollen? Ein gelesenes Bravo reichte dafür wohl kaum. Meine älteren Geschwister waren sehr zurückhaltend, meine Eltern der Meinung, Aufklärung sei Sache der Schule. Das Fernsehen war abgesehen von der kurzärmligen Bluse der Nachrichtensprecherin erotikfrei. Zudem war ich mir nicht ganz sicher, ob die Sequenzen in der Biologie, in denen Zellteilung, Osmose und Turgordruck, behandelt wurden, wirklich etwas mit Aufklärung zu tun hatten, obwohl das alles schon recht abartig tönte.



Stempel und Blütenstaub tönten hingegen wieder zu sittlich. Das konnte es ja auch nicht sein. Ehrlich gesagt, ich hatte von Tuten und Blasen keine Ahnung. Geschweige denn von Tüten, die man auch Kondome nennt. Bruno wurde in dieser Hinsicht zu meinem Mentor. Seine Brüder hatten ihm einen Schulordner voller Bildchen und Texte zum Thema gegeben. Mit eindeutigen Andeutungen.



Auch hier wurde nicht das Lustvolle inszeniert, sondern eher in der Art des Biologen auf die Tatsache hingewiesen, wie Knaben und Mädchen sich in der Pubertät verändern. Bruno schien das alles schon genau studiert zu haben. Seltsamerweise machte er sich nicht im Geringsten über mich lustig, sondern nahm sich Zeit, mich in die Themengebiete des Doktor Sommer-Teams einzuführen. Für mich alles schwarze Löcher.



Auf der Heimfahrt von der Schule sangen wir den selbst erfundenen «Femina-Blues», wie aufgeklärte Geister halt so singen. Wir meinten nicht die Schokolade. Meine Grossmäuligkeit fand aber ein vorübergehendes Ende, als die erste Fete anstand. So mit richtigen Mädchen. Meine Hände wurden ziemlich feucht. Doch dazu bestand eigentlich kein Grund. Die Party wurde nach einer halben Stunde abgebrochen, denn die beiden Organisatorinnen hatten weder an Musik, noch an Essen oder Getränke gedacht. Und in dem Kirchgemeindesaal wollte nachmittags um 14.00 Uhr auch keine knisternde Stimmung aufkommen. Ich war raus. Das Gelernte konnte also nicht umgesetzt werden.



Es verstrichen einige Wochen. Unsere Klasse war organisatorisch gefitzter. Am Nachmittag vor unserer ersten Klassenfete wurde ich von Bruno noch instruiert und über einige Party- und Tanzspiele informiert. Beim Wort «Tanzfläche» wurde mir Angst und Bange. Hier wurden keine Quartette gespielt. Zu «highway to hell» sollte ich mich also zum ersten Mal über meinen Körper ausdrücken. War gar nicht so schwer. Die Slowdancephasen, die von Elton John eingeläutet wurden, liess ich dann mehr oder weniger elegant aus, um dann beim Flaschenspiel wieder aufzutrumpfen.



Eierstock war immer noch ein seltsamer Begriff. Er hatte an diesem Abend aber keine weitere Bedeutung, wie mir Bruno versicherte. Die Party entwickelte sich spannend. Während die Mädchen sich wohl ziemlich einig darüber waren, wen sie ins Visier nehmen wollten, herrschte unter uns Knaben Uneinigkeit über die PS- und U/min-Zahlen unserer Mädchen. Dass sogar unser Lehrer beim Flaschenspiel mitwirkte, fanden wir damals eigentlich nicht so seltsam. Dann, nachdem die meisten in guter Stimmung waren, war es soweit.



Zuerst wurde meine Jacke versteckt. Am Gegackere hinten links konnte ich schnell orten, wo ich suchen musste. Tina und Dorothea hatten sie irgendwo verstaut. «Komm doch und such... », kicherten die zwei. Ich eroberte sie ohne grosses Aufsehen zurück. Einige Minuten später packten mich vier Knaben, was Tina eröffnete, langsam auf mich zuzukommen und mich genüsslich auf den Mund zu küssen. Ich wehrte und sträubte mich, wie sich das angesichts der 20 Augenpaare, die auf mich gerichtet waren, gehörte. Eigentlich hätte ich die Party als grosser Held verlassen können, schliesslich stellte mir ja auch noch Dorothea nach. Diese war in meinen Augen aber etwa, was ich mir unter einer Fregatte vorstellte.



Als ich ein paar Wochen später die Schulstufe wechselte, wurde mir in einer Pause via Evi ein Gruss von Tina ausgerichtet. Da mich aber auch in diesem Moment neugierige Augenpaare umgaben, war meine Reaktion so spontan wie vernichtend: «Tina ist ein dumme Zwetschge!» Sie wurde umgehend über meine Reaktion aufgeklärt. Unsere Liebe war unfruchtbar. Die Zwetschge hat später Bruno geheiratet. 






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