Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Mein Freund und Mitbewohner

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

"Mit einer Freundin zusammenwohnen ist super", findet Laurie:

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Als ich vor ein paar Jahren nach München in eine WG gezogen bin, hatte ich nur die besten Vorstellungen von diesem gemeinsamen Zusammenleben: Kochen, gemütlich Filme gucken, Freunde einladen und die ein oder andere Party schmeißen oder einfach gemütlich in der Küche sitzen und über Gott und die Welt plaudern. Relativ schnell wurden mir diese Vorstellungen zunichte gemacht. Meine Mitbewohnerin verschwand meistens sofort in ihrem Zimmer, wenn sie nach Hause kam, die ersehnten Wohnungspartys blieben aus, denn es sollte ja nichts von ihren Sachen kaputt gehen. Da ich zugezogen war, gehörten die meisten Dinge eben ihr.

Nach und nach machte sich dann ihr Freund bei uns breit. Und das, nachdem sie mir verbieten wollte, dass mein damaliger Freund mal für zwei Wochen am Stück bei uns übernachtet. Sie erstellte einen Putzplan, an den ich mich genauestens halten sollte, sie selber tat es aber nicht. Nachdem ihr Liebster nun schon ein geschlagenes halbes Jahr für lau bei uns wohnte, ohne auch nur einmal den Müll auszuleeren, ging mir das ach so tolle WG-Leben ziemlich auf die Nerven. Er polterte immer durch die Wohnung und schon morgens um acht vor meinem ersten Kaffee belehrte er mich ausführlich, wie viel Geld er später mal verdienen wolle. Und wie sollte es anders kommen: eines Tages verkündete mir meine Mitbewohnerin, dass sie jetzt mit ihrem Freund (alleine) zusammen ziehen wolle. Da ich nur Untermieterin war, musste ich also raus.

"Die nächste WG werde ich gründen, so einfach lasse ich mich nicht mehr rauswerfen", dachte ich mir und machte mich auf die Suche nach einer Zwei-Zimmer-Wohnung. Ich war nicht die einzige mit WG-Problemen. Auch eine gute Freundin, die ich schon seit dem Kindergarten kannte, hatte genug. Sie wohnte mit zwei Freundinnen zusammen, die von Wohngemeinschaften anscheinend auch eine andere Vorstellung hatten, als sie. „Der Mülleimer läuft ständig über, immer muss ich ihn ausleeren, die anderen spülen nie ab, das Geschirr von vor zwei Wochen stapelt sich in der Küche und das Bad putzen sie auch nicht", jammerte sie.

Da ich gerade eine tolle, zentrale Zwei-Zimmer-Wohnung gefunden hatte und mich schon auf das Mitbewohner-Casting vorbereiten wollte, kam das wie gerufen. Sie zog also bei mir ein. Und ich war ziemlich optimistisch, was unser Zusammenleben betraf. Auch wenn ich von Freunden schon Horror-Storys gehört hatte: „Sie kannten sich schon ewig und waren die besten Freundinnen. Nach drei Monaten waren sie so zerstritten, dass eine ausziehen musste und haben nie wieder miteinander gesprochen".

Ich wollte natürlich auf keinen Fall, dass unserer Freundschaft so etwas passiert, und habe anfangs schon öfter darüber nachgedacht, ob es gut ist, zusammen zu ziehen. Ich wusste erst auch nicht so richtig, ob es unfreundlich ist, wenn man mal seine Ruhe will und dann einfach die Zimmertür zumacht. Oder ob vielleicht nicht doch noch die ein oder andere unangenehme Seite an ihr zum Vorschein kommt, die ich noch gar nicht kannte. Ihren neuen Freund kannte ich zu dem Zeitpunkt auch noch nicht. Was, wenn der genauso nervig ist, wie der aus meiner ersten WG? Wir hatten uns auch noch nie länger als eine Woche am Stück gesehen. Außerdem fragte ich mich, ob es nicht komisch wird, wenn ich mit ihr über Dinge wie Miete oder Telefonrechnungen reden muss.

Da wir aber schon öfters über unsere Vorstellungen, was WGs betrifft, gesprochen hatten und die sich weitestgehend überschnitten, ging ich nicht unbedingt davon aus, dass es Probleme geben würde. Die Dinge erledigten sich alle von selber. Meine Sorgen waren also unbegründet. Wir sind beide relativ unkomplizierte Menschen, darum klappt alles gut und es gibt keinen Grund, wieso man nicht mit guten Freunden zusammenziehen sollte. Wir quatschen oft in der Küche, gucken manchmal zusammen Serien, essen oft zusammen, ärgern uns gemeinsam über Prüfungen in der Uni. Einen Putzplan haben wir nicht, da wechseln wir uns einfach ab oder machen aus, wer welchen Part übernimmt. Als mein Freund und ich uns vor kurzem getrennt haben, half sie mir mein Zimmer umzuräumen. Wir bestellten uns bergeweise asiatisches Essen und zogen uns auf meinem Bett einen Girlie-Film nach dem anderen rein. Ich kann mich auf sie verlassen und sie sich auf mich. Und: Ihr Freund ist kein Trampeltier.

Auf der nächsten Seite liest du, warum Nadja Schlüter lieber nicht mit guten Freunden in eine WG ziehen will.



"Lieber keine Freundschaften riskieren", sagt Nadja:

Zusammenwohnen ist etwas sehr Schönes. Ich habe noch nie in meinem Leben alleine gewohnt und kann es mir auch nicht vorstellen. Zu wissen, dass nebenan jemand ist, den man nach Pflaster fragen kann, wenn man sich geschnitten hat, dass die Wohnung nachts nicht leer ist oder dass man nach Hause kommt und nicht alles genau wie vorher ist, sondern etwas mehr oder weniger im Kühlschrank liegt oder ein Topf auf dem Herd steht, macht mich froh. Wohnungen müssen irgendwie lebendig wirken, um mir das Gefühl von Wohnlichkeit zu geben, und da gehören für mich mindestens zwei Personen dazu. Allerdings habe ich Prinzipien, aus welchen Personen sich eine Wohngemeinschaft zusammensetzen sollte. Es gibt da drei Möglichkeiten. Erstens: Bis zur Volljährigkeit aus den Familienmitgliedern, mit denen man aufwächst. Zweitens: Aus Partnern in einer Beziehung. Drittens: Aus zusammengecasteten oder über Vitamin B aneinandergeratenen Personen. Ein Viertens, aus guten Freunden, lehne ich ab.

Nicht, weil ich meine Freunde nicht mag, ich liebe sie sehr, immerhin sind es ja meine Freunde. Sondern weil mir meine Freundschaften zu wertvoll sind, um sie durch übermäßige Nähe zu riskieren. Nur, weil man im Urlaub, auf Partys oder im Café das perfekte Team ist, muss man das nicht zwingend zwischen Kühlschrank und Waschmaschine sein. Muss es nicht mal sein wollen. Wieso etwas Schönes ändern, in der Hoffnung, dass es noch schöner wird, nur um die dann am Ende vielleicht zu enttäuschen? Denn Wohnen ist nicht gleich Freizeit mit Freunden, für mich zumindest nicht. Und am Ende entpuppt sich die beste Freundin als viel ordentlicher oder unordentlicher oder lauter oder ruhebedürftiger als man selbst und man lernt eine ganz neue Seite kennen, die man eigentlich lieber nicht gekannt hätte. Das muss nicht so kommen, aber ich möchte es eben auch nicht riskieren. Ich möchte mich gar nicht erst in die Nähe einer Situation bringen, in der ich mit einem guten Freund über Miete und schmutziges Geschirr sprechen muss. Ich weiß einfach, dass es mir leichter fällt, das vor jemandem anzusprechen, der in erster Linie mein Mitbewohner ist. Und um einen möglichen Kritikpunkt gleich abzuwenden: Mit dem Partnern geht das genauso gut. Weil es da im besten Falle, und wenn nicht unter der Oberfläche gerade eine Krise schwelt, schon ein eingespieltes Nähe-Distanz-Verhältnis gibt, das ein „Ich stolpere immer über deine Schuhe" zulässt, ohne, dass der andere wohlmöglich einen Unterton hineininterpretiert. Aber Freundschaften und Alltagspipapo wie Geschirr und Haare in der Dusche gehören einfach nicht zusammen. Freundschaften und Gespräche über die dreckspatzigen Mitbewohner, das gehört zusammen.

Meine bisherigen WG-Erfahrungen mit mir vorher gar nicht oder noch nicht so lange Bekannten waren so gut, dass ich der Meinung bin, eine natürliche und gesunde Distanz ist für den Start des Zusammenlebens das Beste, was es gibt. Es gibt noch keinen großen freundschaftlichen Unterbau, keinen gemeinsamen Rhythmus außerhalb der Wohnung, der dann auf einmal in das Wohnen hineingetragen wird und auf Putzplan, Einkaufen und sich nebenher abspielenden Beziehungskrisen umgestellt werden muss. Die gemeinsame Basis ist erst einmal nur die gemeinsame Wohnung, in der man ausprobiert, ob man zusammenpasst. Wenn nicht, trennt man sich wieder, ohne, dass es für einen der Beteiligten einen großen menschlichen Verlust bedeuten würde. Und wenn es passt, dann ist alles wunderbar und man kann sogar einen neuen Freund gewinnen. Das ist mit schon oft so gegangen, zu einigen ehemaligen Mitbewohnern habe ich noch immer guten Kontakt, obwohl wir längst nicht mehr zusammenwohnen. In meinem Leben können zwar aus Freunden keine Mitbewohner werden. Dafür aber aus Mitbewohnern Freunde.


Text: laurie-hilbig - Foto: Jo.Sephine / photocase.com

  • teilen
  • schließen