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Wiederbelebung mit Style

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Wie eine Burg erhebt sich der alte Schlachthof im sächsischen Glauchau von weitem über die Hügelkuppe. Vor zwölf Jahren wurde hier zum letzten Mal Fleisch verarbeitet. Nächstes Jahr soll ein Großteil des Komplexes abgerissen werden. Davor feierten vergangene Woche rund 70 Graffiti-Sprüher, Maler und Medienkünstler die siebte Industriebrachen-Umgestaltung, kurz IBUg, ein hochkarätig besetztes Street-Art-Event, mitten im sächsischen Hinterland.

Am Donnerstag steht Loomit auf einem der vielen Dächer des Schlachthofs und freut sich wie ein kleiner Junge: „Ich hab heute dieses wunderschöne Vordach entdeckt, mit diesem wunderbaren gelben Klinkern.“ Hier soll der Schriftzug „Loomit“ stehen. Dafür hat er kleine Teile der Wand verputzt, um eine glatte Fläche für sein Werk zu schaffen. Dann mischt er einen zum Mauerwerk passenden Ockerfarbton und beginnt zu malen.   Muss man Loomit, bürgerlich Mathias Köhler, noch vorstellen? Als erster in Deutschland hat er illegal eine komplette S-Bahn besprüht. Seit Ende der 80er lebt der Münchner von seiner Kunst, er hat für die Stadtwerke Farbe an Trafohäuschen gebracht und im Auftrag der Stadt diverse Brücken und Tunnel verschönert. „Die IBUg, das ist wie Urlaub im Pfadfinderlager für mich“, sagt der 44-Jährige. Genau wie alle anderen Künstler bekommt er hier kein Geld für sein Werk. Doch er hat genügend andere Gründe, herzukommen. Einer davon: „Die Architektur hier in der Gegend, diese wunderschönen Fabriken, das ist pures Gold.“ Außerdem schätzt er das Zusammensein mit dem Graffiti-Nachwuchs. „Da kann man mal wieder sehen, was bei denen gerade so los ist.“ Einer aus dieser Riege ist der 27-jährige Eitel aus München. „So etwas wie hier, das gibt es bei uns nicht“, sagt er traurig und erzählt von einer alten Halle, die schon nach kurzem Lehrstand abgerissen wurde. 
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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Im Rathaus Glauchau dagegen klopft der Bürgermeister Peter Dresler mit der Faust auf den Tisch und ruft: „Die IBUg ist eine Veranstaltung, die macht man oder die macht man nicht. Wir machen sie!“ Auch wenn das Event gewaltigen Verwaltungsaufwand bedeutet: Die Sicherheit der Besucher in dem alten Gemäuer muss gewährleistet sein und die rechtlichen Vorgaben eingehalten werden. Ein großes Risiko geht die Stadt mit der IBUg allerdings nicht ein. Sechs Mal zuvor hat sie in der Nachbarstadt Meerane stattgefunden, Jahr um Jahr kamen mehr Besucher. 2011 waren rund 3000 Gäste dort. Für die Region bedeutet das Kunstereignis Balsam für die Seelen. Ansonsten sind gute Nachrichten rar: Einst Geburtsort der deutschen Industrialisierung wird das Erzegbirgsvorland heute von Arbeitslosigkeit, Überalterung, Leerstand und Abwanderung der jungen Bevölkerung geplagt. Seit der Wiedervereinigung stehen hier eine Menge alte Fabriken leer. Wunderschöne Architektur aus der Gründerzeit, die im krassen Gegensatz zu den kalten Funktionsbauten von heute steht. Langsam verfallen sie vor sich hin. Es sind zu viele, als das sich die klammen Kommunen leisten könnten, alle auf einmal abzureißen. EU Fördermittel sind nur im begrenzten Umfang abrufbar.

In Meerane, seiner Heimatstadt, hat Tasso, bürgerlicher Name Jens Müller, 2006 die IBUg ins Leben gerufen, eigentlich eher zufällig. „Ich hatte damals ein Atelier, von wo aus ich durchs Fenster immer auf die Ruine des alten IFA-Werks geschaut habe.“ IFA stand mal für Industrieverband Fahrzeugbau. In Meerane wurden früher die Karosserien für die Trabis gebaut. „Ich fand schade, dass in dem Gebäude gar nichts mehr passiert und hab mir von der Stadt eine Genehmigung geholt, da drin mit meinen Freunden Wände anmalen zu dürfen“, sagt der 47-Jährige. Gekommen sind damals zwar nicht besonders viele Künstler, aber einer der deutschen Graffiti-Götter war gleich begeistert dabei: Loomit aus München. Seither ist er jedes Jahr mit von der Partie. 2012 sind Künstler aus sechs Ländern gekommen, den weitesten Weg hatten zwei Argentinier.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

„Die Industriebrachen-Umgestaltung sollte sich von Anfang an von den üblichen Graffiti-Veranstaltungen absetzen. Nichts gegen die, aber da machen die Leute ihre bunten Bilder, das gibt es überall“, sagt Tasso. In Meerane sollte dagegen eine besondere Spielfläche für Street-Art geboten werden. „Diese verspielten Leute sollten kommen, die sich auf die Gegebenheiten dieser phantastischen Ortes einlassen und zeigen, was man aus ihnen machen kann.“ Danach wurde die IBUg jedes Jahr bunter und vielfältiger. Kreativität steckt an. „Wenn du da ein kleines Bild malst und jemand neben dir macht plötzlich etwas völlig Spektakuläres, dann willst du das auch“, sagt Tasso. Er erinnert sich gern an ein riesiges trojanisches Pferd im zweiten Jahr, das eine Gruppe aus herumliegenden Holzresten zusammengezimmert hatte.

Auf dem Schlachthof rückt das Wochenende immer näher und damit die Besucher. Überall wird gemalt, gehämmert, geleimt. Noch kurz davor sieht es so nicht so aus, als könnten die riesigen Flächen überall wirklich gefüllt werden. Am Donnerstagabend zur Voraberöffnung für Bekannte und Freunde regnet es. Das ist gefährlich, denn das Dach ist wie so häufig in Ruinen nicht mehr ganz dicht. An vielen Stellen tropft es hinein, gefährlich nahe an den frisch aufgetragenen Farben. Maxi, die Organisatorin, wirkt vom vielen Stress ein wenig abgekaut. Die Eröffnung erledigt sie dennoch mit professioneller Fröhlichkeit. „In dem Baumarkt, wo wir häufig einkaufen waren, lief immer diese Werbung für einen gewissen Sahnejoghurt“, erzählt sie durchs Megaphon. Zettel werden ausgeteilt, dann legt der Chor der Besucher los. „Vollbepackt mit Street-Art Sachen, die den Schlachthof schöner machen, hinein ins IBUg Feeling.“

Am Freitagnachmittag trudeln die ersten Besucher ein. Jugendliche, Familien, Senioren, alle wollen sie den umgestalteten Schlachthof sehen, alle sind sie begeistert und fotografieren. Die alten Leute erinnern sich an damals, als sie hier einmal Vollzeit oder als Aushilfe gearbeitet haben. Die ein oder andere Gruselgeschichte wird entschärft: Tiere wurden hier schon seit Mitte der 70er Jahre nicht mehr getötet. Stattdessen ging es „nur“ um Fleischverarbeitung, Räuchern, Würste stopfen und so weiter.

Gegen Samstagmittag bilden sich vor der Kasse die ersten Schlangen. Maxi und Thomas, die beide mit ihrem privaten Geld für die Finanzierung haften, beginnen, sich zu entspannen. Wenn am Ende durch die Eintrittsgelder am Wochenende das Geld für Farben und Material wieder eingespielt werden, ist die Veranstaltung gut gelaufen. Wenn ein bisschen was übrig bleibt, können die Organisatoren damit die Kosten für ihren Lebensunterhalt während der Vorbereitungsphase decken. Im vergangenen Jahr betrugen die Ausgaben für die Umgestaltung rund 25 000 Euro. Sponsoring beschränkt sich auf Materialspenden, Sprühdosenkontingente und Getränke.

Am Ende geht alles gut, Sonntagabend haben an die 4500 Gäste Eintritt bezahlt, ein neuer Besucherrekord. Doch Bürgermeister Peter Dresler glaubt nicht daran, dass das Festival ewig in seiner Stadt bleiben wird. „Die IBUg ist ein wanderndes Kind, das kann man nicht aufhalten.“

Text: clemens-haug - Fotos: Sebastian Fischer

Kunst und Kultur?

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