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So sehen echte Frauen aus

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Was ein Zahlendreher so alles auslösen kann. Die Bloggerin "Journelle" hat im August einen Text veröffentlicht, in dem sie sich darüber auslässt, dass Mode in der Werbung nicht an ganz normalen Körpern präsentiert wird. "Warum ist es nicht möglich, dass Mode nicht für einen Idealkörper von 60-90-60, sondern für individuelle Körpergruppen gemacht wird?", fragt sie. Aus der Verwechslung mit den Idealmodelmaßen für Brust-, Taillen- und Hüftumfang von 90-60-90, wurde der Hashtag #609060 – und eine neue Bewegung im Netz.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Journelle hat begonnen, sich regelmäßig zu fotografieren und die Bilder bei Instagram und Facebook hochzuladen. "Nicht weil mein Modegeschmack besonders erlesen wäre", schreibt sie, "sondern einfach weil ich meinen normalen Körper eingepackt in Oberbekleidung sichtbar machen möchte." Journelle ist längst nicht mehr allein. Seit ihrem Blogeintrag posten Dutzende Frauen (und sogar ein paar Männer) unter dem Hashtag #609060 Fotos von sich auf Twitter und Instagram. Die meisten posieren vorm Spiegel, was ein bisschen wie eine Mischung aus den Umkleidekabinenfotos vieler Modeblogger und der Flickr-Galerie Fatshionista aussieht.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Langsam kommt auf dem Hashtag Kritik hoch. Zum einen, weil die meisten User auf den Fotos ihren Kopf abschneiden. Man fühle sich eben nicht "normal", sondern schäme sich, vermuten manche. Zum anderen, weil viele Frauen sich für ihr Aussehen rechtfertigen. @BeverlyBeuel schrieb unter ihr Bild: "Zu meiner Verteidigung: 7 Wochen nach Geburt." Genau das war eben nicht die Intention der 60-90-60-Bewegung. Auch über das Wort "normal" ärgern sich viele. @fasel stellt den ganzen Hashtag in Frage: "Ich sehe nicht, was an einer #609060-Normierung besser sein soll als #906090". @birtona schreibt: "Dieses #609060 ist doch letztlich auch wieder normierend, insb. die Rede von 'normalen Menschen in Oberbekleidung'." Viele stören sich an dem Wort "normal", zum Beispiel @isabo_, die vorschlägt: "Vielleicht, wenn Ihr bei #609060 das 'normal' durch 'echt' oder 'real' ersetzen würdet? Das würde die Diskussion entlasten."

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Von Twitter ist die Diskussion mittlerweile auf Blogs hinübergeschwappt. Manche befürchten, dass der Hashtag missbraucht werden könnte. Die Bloggerin Anke Groener schreibt, dass #609060 keine Fotogalerie sei, in der sie auftauchen möchte: "Ich will mit meinem nicht-normalen Körper nicht in einer Reihe von Mädels stehen, die – und hier unterstelle ich mal ganz fies etwas – beim Anblick meines Körpers als erstes NICHT denken, wow, total normal, sondern: Puh, bin ich froh, dass ich nicht so aussehe. Weil es eben nicht normal ist, so auszusehen wie ich aussehe."

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Ob man nun "normal" oder "echt" sagt, mittlerweile sind unter dem Hashtag Fotos von Frauen von Kleidergröße 34 bis 48 vertreten. Und das ist auch gut so. Auch Patricia Cammarata, die auf "Das Nuf Advanced" bloggt, sieht das so: "Egal welche Kleidergröße – letztendlich geht es doch darum zu zeigen wie schön die Vielfalt ist und wie langweilig die standardisierten und gephotoshoppten Kunstmenschen der bunten Medienwelt sind.“  

Das ist unter dem Hashtag #609060 auf jeden Fall gelungen - und das mit einem sehr guten Timing. Als Reaktion auf Hashtags wie #losingweight, aber vor allem auf den angedeuteten Rückzieher der Zeitschrift "Brigitte", die seit 2010 statt Models "echte" Frauen im Heft abbildet und diese Aktion wieder überdenken will. Es sei nicht ausgeschlossen, dass bald wieder Models im Heft gezeigt werden, sagte der neue Chefredakteur Stephan Schäfer. Echte Frauen für Shootings zu finden, sei einfach schwierig. Soll er mal nach #609060 googeln.


Text: kathrin-hollmer - Screenshot: Statigr.am/tag/609060, Twitter

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