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Geheime Gesetze (7): Früh übt sich. Und kurz

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Das Gesetz: Jeder muss in seiner Kindheit einmal ein Instrument gespielt haben. Die Mehrheit, die inzwischen nicht mehr musiziert, muss dies sehr bedauern.  

Eltern haften für ihre Kinder. Und für deren musikalische Früherziehung. Egal ob die Kleinen gerne musizieren oder schon beim Geburtstagständchen vor Scham heulen, egal ob sie talentiert oder tumb sind: Ein Instrument auszuprobieren gehört zur modernen Menschwerdung. Auch wenn die meisten daran scheitern.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Millionen von Kindern kämpfen also mit untoten Evergreens wie „Für Elise“ oder „Autumn Leaves“, die man schon vor dem ersten falschen Ton nicht mehr hören kann. Bis endlich frischere Werke erklingen dürfen, vergehen Monate, bei mangelnder Begabung oder Ambition manchmal Jahre. Soweit kommen die wenigsten freiwillig. Denn Musikschulen sind die Gulags der Kindheit, zu keiner Freizeitaktivität werden Halbwüchsige so konsequent gezwungen wie zu Üben und Unterricht. Doch trotz Druck, Pädagogik und horrender Ausgaben schmeißen die meisten Schüler nach einigen Machtkämpfen mit ihren Förderern hin. Welches Instrument ihnen erlaubt oder fürsorglich verordnet wurde: Bald verstaubt es und wird an den nächsten Unglücklichen vererbt. Spätestens im faulen Sumpf der Pubertät ersticken die aufkommenden Triebe jede Disziplin. Der unbeliebte Lehrer wird ausgeladen, das theoretische Grundwissen verdrängt von Rap-Texten und den vier Akkorden von „Knockin on Heavens Door“. Erst viel zu spät, als fortgeschrittener Mensch, der die schönen Künste zu schätzen weiß, erinnert man sich der verpassten Chance: Hätte man doch ein kleines bisschen mehr geübt! Jede Minute hätte sich gelohnt! In der eigenen Wahrnehmung scheiterte die Karriere als Virtuose nur an einigen Nachmittagen unreifer Lässigkeit. Wenn man doch heute wenigstens ein bisschen Kammermusik oder in einer Cover-Band spielen könnte! 

 Immerhin ist man mit dieser Reue nicht allein: Nahezu jeder hat einmal ein Instrument gespielt oder es zumindest unter Aufsicht angetatscht, und kann aus dieser Zeit einige Geschichten von peinlichen Vorspielen bei Tantengeburtstagen und dem Mundgeruch der Flötenlehrerin erzählen. Es ist ein Geheimes Gesetz, dass wir alle unsere musikalische Impfung abbekommen. Und dass es nur einer kleinen, überbegabten Minderheit erlaubt ist, heute noch musizieren zu können. Ihnen muss von den Laien wortreich versichert werden, wie schade man es findet, nicht wenigstens einige Gassenhauer behalten zu haben. Gleichzeitig erwirbt man das Recht, die fitteren Amateurmusiker zu spontanen Vorspielen zu nötigen. Live beschallt schwelgt man dann in einer parallelen Realität, in der man niemals aufgegeben hat. Und plant heimlich die Anschaffung eines kostengünstigen Instrumentes. Schließlich wird man eines Tages Kinder haben. 





Text: friedemann-karig - Illustration: Katharina Bitzl

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