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Hallo, Sport?

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Wenn man sein ganzes bisheriges Leben nie auch nur einen Gedanken an seinen Körper verschwendet hat, weil alles immer ganz gut gepasst hat wie es war, dann ist es ein Affront allererster Güte, wenn dem eines Tages plötzlich nicht mehr so ist. Wenn man sich auf einmal damit auseinandersetzen muss, dass sich da einige tektonische Platten verschoben haben, Dinge quellen, wo sie es nicht sollen und sämtliche Kleidungsstücke komisch aussehen.
  Es gibt dann zwei Möglichkeiten, mit der neuen Situation umzugehen: Man kann entweder alles leugnen, die Augen schließen und sich einen komfortablen Kaftan kaufen. Oder sich den Tatsachen beugen und etwas dagegen unternehmen, zum Beispiel indem man Sport treibt. Weil mir für die Kaftan-Option noch der Mut oder die Verzweiflung fehlen, beschloss ich also, es mit dem Sport zu versuchen.
  Ausgerechnet. Bis dahin war ich so stolz darauf gewesen, in meinem ganzen Erwachsenenleben nie einen Fuß in eine Turnhalle gesetzt zu haben. Sport war in meinen Augen immer etwas für unterbeschäftigte Hausfrauen oder verrückte Endorphin-Junkies, die in ihrer Sehnigkeit eine so unerträgliche Freudlosigkeit ausstrahlten, dass schon ihr Anblick Gegenargument genug war. Drei Sportarten wollte ich ausprobieren, in der Hoffnung, eine zu finden, die zu mir passt. Ausgesucht habe ich die aus einer Liste, die mir die freundlichen jetzt.de-User bei einer Online-Brainstorming-Runde zusammengestellt hatten. Aus Gründen der ausgewogenen Versuchsanordnung entschied ich mich für die Allein-Version des Bauch-Beine-Po-Programms auf DVD, einem Besuch im Yoga-Studio und für Schwimmen. Es sollten anstrengende Wochen werden. Durchaus auch für mich. 
 
Die Bauch-Beine-Po-DVD

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Es ist nämlich so: Wenn ich weiß, dass mir körperliche Anstrengung droht, sei es in Form einer Bergtour, eines Umzugs oder auch nur eines etwas zu lang geratenen Spaziergangs, kriege ich sehr, sehr schlechte Laune, die ich auch gerne mit meiner Umwelt teile. Weil aber Sport ohne körperliche Anstrengung nicht zu haben ist, wollte ich es einmal im Schutz der eigenen Wohnung ausprobieren, ob ich aus dieser etwas schwierigen mentalen Verfassung irgendwie herausfinden könnte.
  Erst mal verschob ich das Sportprogramm großzügig von einer Woche zur nächsten, bis mir irgendwann die Ausreden ausgingen und ich sowohl Zeit, als auch ein Quentchen Lust verspürte und die DVD einlegte. Darauf zu sehen waren drei hübsche, dezent geschminkte Damen, die an einer Ufermauer auf Gymnastikmatten Übungen vorturnten, die mir dabei helfen sollten, meine sogenannten Problemzonen in den Griff zu kriegen. Es gab sogar eine Dame, die leichte Version der Bauch-Beine-Po-Übungen vorturnte. Aber auch bei denen war Schmerz, Anstrengung und Schweiß die unweigerliche Folge. Genau dreimal konnte ich mich aufraffen, den Vorturnerinnen auf dem Bildschirm nachzuhoppeln. Dann war meine Motivation aufgebraucht. Wenn man von niemandem missbilligend angeschaut wird, dann kommt man nämlich schnell in die Versuchung, mal eine Runde auszusetzen, um die Gruppendynamik der drei Turn-Häschen genauer zu untersuchen und zu schauen, ob die tatsächlich ihre Zehen in der gleichen Farbe lackiert haben. Es war binnen kürzester Zeit klar, dass ich viel zu undiszipliniert bin, um mir den Schweiß freiwillig anzutun. 
 
Yoga
Weshalb ich mir in der nächsten Versuchsanordnung die volle Ladung Kontrolle von außen gab in Form eines wöchentlichen Yoga-Gruppenkurses. Yoga ist gut für mich. Das weiß ich, ich habe es schon nach wenigen Stunden im Rücken und im Kopf gespürt. Gespürt habe ich allerdings auch die Blicke der versammelten Kurs-Streber, die es vermutlich genauso wie ich nicht fassen konnten, dass ich nach vier Wochen intensiven Übens keinen Hund zustande brachte. Dieser Hund! Die beliebteste und eine der einfacheren Yoga-Übungen, bei der man auf Händen und Füßen steht, seinen Hintern in die Höhe streckt und im Idealfall ein nahezu gleichschenkliges Dreieck darstellt. Dafür bräuchte es allerdings einigermaßen flexible Sehnen, Muskeln und Gelenke – lauter Sachen, von denen ich mich mit dem Ende meiner wöchentlichen Schulturnstunden verabschiedet und die ich bis zur ersten Yoga-Stunde eigentlich nie ernsthaft vermisst hatte.
  Die Tatsache, dass der Lehrer immer nur dann in meine Nähe kam und mir Hilfestellung gab, wenn er demonstrieren wollte, wie man es lieber nicht machen sollte, half auch nicht , meine Minderwertigkeitskomplexe zu überwinden. Yoga machte mir keinen Spaß, so sehr ich mir auch Woche für Woche Mühe gab. Ich wollte es so gerne toll finden, diese Jahrtausende alte Übungsabfolge, die angeblich alle Bereiche des menschlichen Lebens verbessert! Stattdessen fühlte ich mich nach jeder Übungsstunde zwar ziemlich durchgewalkt, aber auch ziemlich defizitär. Und wollte nur nach Hause und mit meinen steifen Gliedern auf dem Sofa abgammeln. Was ich dann nach einigen Wochen auch wieder tat. 
 
Schwimmen

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Dann endlich durfte ich schwimmen. Eigentlich war es mir von Anfang an klar, dass das mein Sport werden würde: Auf keine andere Sportart bereitete ich mich so penibel vor, kaufte so teures Equipment ein und freute mich so darauf. Auf einmal war es mir auch möglich, ohne großes Organisieren und schlechter Laune zweimal pro Woche zum Sport zu gehen, vor der Arbeit.
An der Garderobe hängt seit dieser Zeit eine gepackte Tasche, die ich an meinen beiden heroischen Tagen frühmorgens an den Fahrradlenker hänge, um dann ins Schwimmbad zu fahren. Dort geht es dann schnell in die Umkleide, danach in die Dusche und endlich: ins Becken. Wo sich zu meiner anfänglichen Verwunderung schon eine ganze Menge anderer – vorwiegend weißhaariger – Menschen tummeln. Auch sie finden den morgendlichen Frühschwimmer-Rabatt anscheinend super, nur haben sie eine andere Vorstellung davon, wozu so ein Schwimmbecken eigentlich gut ist. Ich will meine Bahnen schwimmen. Gerne so viele wie möglich, mindestens aber 25 Längen. Die Rentner dagegen wollen sich Wasser tretend unterhalten, häufig in Dreierreihen mit gebührendem Abstand. Dieser Umstand führt regelmäßig zu gewissen Spannungen zwischen mir und den Rentnern und - ich muss es gestehen – es kam auch schon zu dem ein oder anderen Wettrennen, bei dem ich mich möglicherweise auch geschlagen geben musste. Aber nicht einmal diese Widrigkeiten können meine gute Laune beim Schwimmen trüben. Wenn ich eine Bahn nach der anderen schwimme, dabei immer wieder die selben Themen im Kopf wälze und danach noch im Abklingbecken im Außenbereich vor mich hin dümpele und dem Wasserdampf beim Aufsteigen zusehe, dann bin ich zufrieden, endlich einen Sport gefunden habe, der mir gute Laune macht.
  Und die Sache mit den tektonischen Verschiebungen? Sagen wir mal so: Nachdem ich auf die harte Tour gelernt habe, dass ein eingezogener Bauch den großen Unterschied machen kann, im Frühsommer fast alle Strecken mit dem Rad zurücklegte und das Sportprogramm anfing, haben sich die Spannungen zwischen meinem Körper und mir gelegt. Ob das nun an einer signifikanten Besserung der Situation oder purer Gewöhnung liegt, will ich so genau eigentlich gar nicht wissen.

Text: christina-waechter - Fotos: Juri Gottschall

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