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„Die emotionalen Klippen umschiffen“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Nicolas, es heißt, vor gut zehn Jahren wärst du auf der Flucht vor deutschem Pop gewesen. Wieso denn das?
Als Jugendlicher war ich sehr fixiert auf die Sixties, später auf Britpop. Diese Musik hat mich stark beeinflusst. Dazu kam, dass ich in einem bestimmten Umfeld aufgewachsen bin. Zum Beispiel habe ich immer in einem Antifa-Proberaum geprobt. Ich habe in meiner Jugend generell nicht gerade für Deutschland gebrannt und hatte eben auch – außer Tocotronic – keine musikalischen Vorbilder von hier. Also dachte ich: ich gehe weg. Nach England.  

Genauer: nach Liverpool, um zu studieren …
Ja, denn am Liverpool Institute For Performing Arts gab es ein spezielles Musikstudium. Mein Plan war: drei Jahre studieren und dann könnte ich auch gleich da bleiben.  

Der Plan ist aber nicht aufgegangen.
Nein. Ich war damals erst 17 und das alles nicht sehr realistisch. Und nachdem ich mich bei Leuten erkundigt hatte, die in Liverpool studiert hatten, wurde mir klar: das will ich doch nicht. Ich wollte nicht mal mehr Musik studieren.  

Und England? Das war damit auch abgehakt?
Ich hatte natürlich die Möglichkeit, einfach so hinzugehen, ohne Studium, auf gut Glück. Das konnte ich mir aber irgendwie auch nicht mehr vorstellen. Also bin ich hier geblieben und habe mich nur auf meine Musik konzentriert. Das Englisch-Studium, das ich hier später begonnen habe, habe ich nicht so ernst genommen.

Du hast in Freiburg studiert. Deine Vorbilder Tocotronic mochten die Stadt ja nicht so gerne. Wie hast du sie erlebt?
Dazu muss man sagen, dass Dirk von Lowtzow dort nur ein Semester studiert hat. Ich war insgesamt acht Jahre in Freiburg und hatte eine gute Zeit und einen Freundeskreis, den ich ungern aufgeben wollte.  

Und wie ging es musikalisch weiter?
Ich hatte schon in einigen Bands gespielt, zwar auf eher niedrigem Niveau, aber doch immer mit dem Willen, irgendwo aufzutreten. In Freiburg war ich wieder in einer Band. Aus der ist mein jetziges Soloprojekt entstanden ist.  

Hattest du für dieses Soloprojekt klare musikalische und textliche Ziele? Wie sollte es werden? Es gab schon ein Konzept und einen Rahmen, den ich mir gesetzt habe. Für mich war zum Beispiel klar, dass dieses Album relativ akustisch werden sollte. Und textlich wollte ich dieses typische Singer/Songwriter-Ding weg lassen, dieses Storytelling. Das liegt mir auch gar nicht.  

Auch kein Platz ist in deinen Songs für Selbstmitleid und Befindlichkeitsplauderei. Fehlen diese,  typischen Singer/Songwriter-Elemente bewusst?
Ja. Ich konnte noch nie viel mit dieser melancholischen Ausdrucksart anfangen. Mir war immer wichtiger, dass man einen gewissen Abstand hält. Dass man nicht zu emotional und persönlich wird, und dass man Texte auch auf verschiedenen Ebenen lesen kann.  

http://www.youtube.com/watch?v=hPbWZQ9uRj4

Du singst in deinen Liedern auch über traurige Themen, über unerfüllte Sehnsüchte, kaputte Liebe, Trennungen. Schwermut kommt dabei auch deshalb kaum auf, weil du dem mit Witz entgegentrittst. In fast jedem Song gibt es eine kleine Pointe. Achtest du darauf?
Nicht unbedingt darauf, dass in jedem Song eine Pointe ist. Es ergibt sich ja auch automatisch, dass, wenn man bestimmte Themen anschneidet, die emotionalen Klippen dabei aber umschiffen möchte, man alles ein bisschen ironisch sieht. Das passiert textlich, aber auch musikalisch, wenn man zum Beispiel traurige Sätze in eine Up-tempo-Nummer bringt.  

Also keine Angst vor Ironie. Aber vielleicht Angst vor Kitsch?
Angst vor zu ernstem Kitsch. Was ich aber toll finde, ist wenn Bands absichtlich kitschig sind. Das passiert natürlich auch wieder auf einer speziellen Ebene. Leute, die den echten Kitsch mögen, würde das nicht ansprechen. Wer den Grafen hört, hört ja eher nicht Phantom Ghost oder Ja, Panik.  

Einmal wirst du auf dem Album doch etwas kitschig, wenn du singst: „Ein Kuss brennt auf den Lippen und der Westwind weht ihn fort.“
Ja (lacht). Das ist auch genau die Stelle, die ich bei Auftritten immer ein bisschen vernuschele.  

Du vernuschelst sie?
Zumindest scheint es so, wenn ich mir später Videos von Konzerten ansehe. Diese Zeile war eigentlich auch für einen früheren Zeitpunkt im Lied geplant. Ich wollte es dann aber doch nicht damit eröffnen und lieber etwas warten, bevor ich die Kitsch-Bombe loslasse. Vielleicht müsste ich ein bisschen mehr zu dieser Zeile stehen.  

Deine Konzerte fanden bisher meist im kleinen Rahmen statt. Soll es dabei bleiben – oder siehst du deine Musik eher auf der großen Bühne?
Ich habe natürlich nichts gegen Publikum. Es darf ruhig alles größer werden - nur nicht um jeden Preis. Wenn es sich gut entwickelt, freue ich mich. Aber ich werde es nicht forcieren.  

Hättest du am Ende auch nichts mehr dagegen, wenn deine Songs im deutschen Pop-Radio gespielt werden?
Nein, denn wer meine Musik hören möchte, der soll sie natürlich auch hören können. Sich auf Teufel komm raus von einem Publikum abgrenzen zu wollen, ist vielleicht auch nicht der richtige Weg. Das war mir früher wichtiger.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


„Nicolas Sturm“ von Nicolas Sturm erscheint heute bei Pias Records

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