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"Da könnte man genauso gut zum G9 zurückkehren"

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Nachdem das achtstufige Gymnasium immer mehr kritisiert wird, ist am Mittwoch im Bayerischen Kultusministerium der neue Lehrplan fürs Gymnasium vorgestellt worden. Das Ergebnis: In elf von 25 Fächern wird der Stoff reduziert. Die Änderungen betreffen vor allem die zehnte, elfte und zwölfte Klasse und unter anderem die Fächer Geschichte, Sozialkunde, Informatik, Geografie, Evangelische Religion und Biologie. Zum Teil werden die Änderungen schon ab dem neuen Schuljahr umgesetzt.  

Während von Fächern wie Geografie oder Geschichte Themenschwerpunkte wie die Geozonen der Erde oder die Ständegesellschaft im Mittelalter verkleinert werden, sind die Änderungen in den modernen Fremdsprachen gravierend. In Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch und Russisch werden die Lektüren radikal gekürzt. Die Schüler sollen in der elften und zwölften Klasse bald nur noch eine Lektüre statt mehrerer ganz lesen, für den Rest sollen Auszüge reichen.  



Die Literaturfülle von William Shakespeare bis Nick Hornby in Englisch dürfte so kaum mehr abzudecken sein. „Der Lehrplan in Englisch war schon vor dem G8 knapp, die Schüler hören nie eine authentische Sprache. Was man im Unterricht in Filmen und auf CDs hört, ist entweder völlig akzentfreies Englisch, das keiner so spricht, oder kein zeitgemäßes Englisch. Wenn man keinen Muttersprachler als Lehrer hat oder die Schule sich nicht bemüht, einen Assistant Teacher zu beschäftigen, sind Lektüren die einzige Möglichkeit, sich den Satzbau richtig anzueignen“, sagt Carolin S., 27, aus München. Die Referendarin für Englisch und Deutsch ging selbst nach der Schule nach England: „Dort habe ich gemerkt, dass ich nach neun Jahren Englisch noch einmal von vorne anfangen musste. Dabei muss heute jeder englischsprachige Texte verstehen, mündlich - und im Zeitalter des Internets auch schriftlich.“  

Natürlich hat nicht jeder, der ans Gymnasium geht, eine Leidenschaft für Sprachen und fürs Lesen, aber nur eine Zusammenfassung und vielleicht noch ein Kapitel wird den Werken, die man in einer Fremdsprache kennen sollte, auf keinen Fall gerecht. Carolin hat in der Schule neben „Lord of the Flies“ und „1984“ auch Werke von Paul Auster und Shakespeare gelesen – und möchte keines missen. Ihrer Meinung nach sind sowohl Klassiker als auch zeitgenössische Literatur wichtig, um eine Sprache kennenzulernen: „Wenn man nur eine einzige Lektüre lesen kann, muss man sich zwischen einem zeitgenössischen Werk, das einen sprachlich weiterbringt, und einem Klassiker wie Shakespeare, den jeder gelesen haben sollte, entscheiden. Das darf nicht sein.“  

Der geänderte Lehrplan gehört zur G8-Reform, die der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer gerade – im Hinblick auf den Wahlkampf – antreibt, ebenso wie das „Flexigymnasium“: ein zusätzliches freiwilliges Lernjahr, das in der Mittelstufe zwischen achter und zehnter Klasse eingebaut werden und von den Schulen selbst organisiert werden soll. Damit soll eine individuelle Förderung ermöglicht werden. Über den Etat für die angeblich mehreren hundert neuen Lehrerstellen wird der Landtag im September beraten.  

Dass man einerseits das „freiwillige Sitzenbleiben“ einführt und auf der anderen Seite den Lehrplan zusammenkürzt, passt nicht wirklich zusammen, sagt Carolin: „Das ist ein Widerspruch an sich. Ich glaube nicht, dass jemand freiwillig wiederholt - weil es nicht gut aussieht, wenn man fürs G8 doch neun Jahre braucht, und weil es am Ende das gleiche Gefühl vermittelt wie Sitzenbleiben, das macht keiner freiwillig. Da könnte man genauso gut zum G9 zurückkehren. Schade, dass das G8 eingeführt worden ist und jeder eigentlich nur darunter leidet.“

Text: kathrin-hollmer - Foto: oh

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