Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

„Im Zweifelsfall einfach machen“

Teile diesen Beitrag mit Anderen:



Viele junge Macher, die motiviert ein eigenes Projekt starten, finden sich schnell in einer Gefühlsachterbahn wieder. Sie könnten himmelhoch jauchzen, wenn ihr Plan gelingt und sind zu Tode betrübt, wenn sie mit ihrem Vorhaben doch scheitern. Diesen Prozess einzufangen war das Ziel von Phase 0. Die multimediale Dokumentation berichtet über unterschiedliche Projekte aus ganz Deutschland. Dabei sind unter anderem ein Berliner Musiklabel, eine Kölner Kollektiv-Werkstatt, eine Hamburger Street-Art-Gruppe und ein Breakdance-Contest aus Hannover. Gemein ist allen, dass ihre Organisatoren eine Idee hatten, die sie unbedingt verwirklichen wollten. Zum Teil sind die Geschichten in einem Buch zusammengefasst, zum Teil sind sie als Filme auf der dazu gehörenden Internetseite frei zugänglich. Dazu haben die Autoren einen kurzen Leitfaden erstellt, der die wichtigsten Begriffe von Projektmanagement erklärt und verrät, wie man beispielsweise an Fördermittel für das eigene Kreativprojekt kommt. Herausgegeben wird das Buch vom Verein Second Attempt, der in Görlitz an der deutsch-polnischen Grenze selbst einmal pro Jahr ein Festival ausrichtet. Michael Lippold von Second Attempt spricht mit jetzt.de über die Schlüsse, die er aus seiner intensiven Beschäftigung mit den unterschiedlichsten Projekten gezogen hat.

jetzt.de: Wer ein Projekt startet, ist oft voller Tatendrang und hat wenig Lust auf Theorie. In einem Kapitel gibt es den dazu passenden Tipp: Im Zweifelsfall einfach machen. Euer Buch will aber auch ein Leitfaden sein. Ergibt das überhaupt Sinn?
Michael Lippold: Der Leitfaden soll ja nicht ein Schema für ein Projekt sein. Es gibt genügend Handbücher über Projektmanagement, die sehr theoretisch an die Sache rangehen. Die erklären dir, wie ein Projekt im Idealfall läuft und streuen ein paar Best-Practice-Beispiele ein. Das hilft unserer Zielgruppe aber nicht, jedes Projekt ist anders. Es gibt immer andere Dinge, die nicht funktionieren, wo man improvisieren muss. Wir haben den theoretischen Teil also sehr kurz gehalten und ans Ende des Buches, beziehungsweise mit vielen Links und Downloads online gestellt. Dort werden ein paar Begriffe und die damit verbundenen Elemente der Projektarbeit erklärt. Die Nutzer von Phase 0 sollen kompakt erfahren, worauf es bei einem Finanzplan ankommt, oder worauf bei der Kommunikation. Uns hätte das bei unserer Arbeit früher bestimmt geholfen, aber da gab es das in dieser Form nicht.  

Worauf kam es euch dann bei dem Buch an?
Bei uns im Netzwerk gibt es einige studierte Kulturmanager, mit teilweise jahrelanger Projekterfahrung. Die haben gesehen: Es gibt eine Menge Literatur zum theoretischen Prozess, aber kaum Berichte über praktische Erfahrungen. Wir wollen statt dessen das Gefühl vermitteln, was Projekte mit den Leuten emotional machen und was da mit dir als Projektmacher passiert.  

In eurem Buch werden sehr unterschiedliche Projekte vorgestellt. Nach welchen Kriterien habt ihr sie ausgewählt?
Am Anfang haben wir die Leute in unserem Freundeskreis und Umfeld gefragt, ob sie mitmachen und mitschreiben wollen. Wir organisieren mit unserem Verein ein Festival und haben uns dadurch über die Jahre ein Netzwerk von befreundeten Projektmachern aufgebaut. Dann haben wir aber schnell gemerkt, dass allein drei Kapitel über Festivals aus dem Bereich Jugendkultur und Musik entstehen. Sollte das Buch einen Sinn ergeben, mussten wir uns breiter aufstellen.  

Wie seid ihr dann vorgegangen?
Wir haben nach spannenden Projekten gesucht und sind dabei zum Beispiel auf die Dingfabrik in Köln gestoßen. Das ist ein Fablab, also eine Art Gemeinschaftswerkstatt, in der jedes Mitglied die Möglichkeit hat, mit einer Vielzahl von Werkzeugen und Maschinen zu arbeiten. Außerdem haben wir Machina Ex kennengelernt, eine Theatergruppe, die das Prinzip von Computerspielen wie Monkey Island oder Maniac Mansion in ein Live-Spiel umsetzt. Die Zuschauer werden zu aktiven Spielern und müssen Rätsel lösen. Solche Projekte haben uns gut gefallen und die Erfahrungen ihrer Initiatoren haben die Perspektive auf Projektorganisation deutlich erweitert.  

Was ist die Gemeinsamkeit zwischen den einzelnen Gruppen?
Die Leidenschaft der Leute für das, was sie tun. Der kommerzielle Gedanke steht nicht im Vordergrund, sondern: Ich hab eine Idee, ich will etwas Kreatives machen, ich leg einfach los und schaue, was passiert. 

Habt ihr für das Buch bewusst Projekte ausgewählt, bei denen ein finanzieller Gewinn zweitrangig war?
Das haben wir nicht bewusst entschieden. Allerdings entwickeln Leute selten eine solche Leidenschaft für ihr Projekt, wenn sie kommerzielle Motive haben. Schaust du nach den Zahlen, die am Ende rauskommen, dann achtest du nicht so sehr auf das kreative Ergebnis und auf deine persönliche Entwicklung. Doch das heißt nicht, dass alle Projekte bei Phase 0 nicht kommerziell funktionieren. Im Gegenteil: Wir haben zum Beispiel für die Internetseite einen kurzen Film über das Battle Of The Year gemacht, den weltweit größten Breakdancecontest. Der ist mittlerweile kommerziell sehr erfolgreich. Die Organisatoren haben eine Agentur gegründet und sind einer der Marktführer in ihrem Bereich. Sie machen für alle großen Events der Szene das Künstlermanagement. 

Für euch schließt sich Kreativität und kommerzieller Erfolg also nicht aus?
Nein, die Frage ist eher, welche Phasen eine Geschichte durchläuft. Damals, Anfang der 90er, war der erste große Hype um Breakdance gerade vorbei. Doch eine kleine Gruppe aus einem Jugendhaus in Hannover wollte weitermachen, weil sie fand, dass es gemacht werden musste. Sie haben dann einfach andere Breakdance-Crews, die sie kannten, angerufen und zu sich eingeladen. So ist das BOTY als Jugendprojekt gestartet und hat sich inzwischen zu einer finanziell erfolgreichen Sache entwickelt.  

Habt ihr auch Projektmacher getroffen, die bereuen, Zeit und Energie in eine Sache gesteckt zu haben, die am Ende schief gegangen ist?
Ich glaube, die Quintessenz bei unseren Interviews war, dass keiner sein Engagement bereut hat, selbst wenn ein Projekt gescheitert ist. Unser letztes Kapitel im Buch hat die Überschrift: Scheitern auf hohem Niveau. Da geht es um das End Pilot Festival in Erfurt, dass vor drei Jahren mit einem großen finanziellen Verlust geendet ist. Trotzdem haben die Leute eine individuelle einmalige Erfahrung mit nach Hause genommen, die sie nirgendwo sonst hätten machen können. Natürlich sind sie traurig, dass es nicht geklappt hat.  

Stichwort finanzielles Risiko: Sich in ein Projekt zu stürzen kann ja auch gefährlich werden. Im Buch sprechen die Autoren auch häufiger von der teilweise gnadenlosen Selbstausbeutung, der sie sich unterworfen haben. Kann man da jemandem mit gutem Gewissen empfehlen, eigene Vorhaben zu starten?
Unbedingt. Die Erfahrung aus einem Projekt, das man mit einer eigenen Idee angefangen hat, kann einem keiner mehr nehmen. Unmotiviert zwischen neun und fünf Uhr in einem Büro seine Zeit abzusitzen ist keine Alternative. Aber natürlich wollen wir Neuanfängern durch die Berichte einige negative Erfahrungen ersparen. Wenn ich etwa ein Festival organisieren will, muss ich mich auf das finanzielle Risiko einstellen. Dem kann ich begegnen, in dem ich eine geeignete Rechtsform nutze. Das haben zum Beispiel die Organisatoren des La Pampa Festivals versäumt, und alles über einen Verein laufen lassen. Dadurch ist dann der Verlust an ihnen hängen geblieben. Hätten sie stattdessen eine GmbH gegründet, hätten sie das besser verkraftet. 

Klaus Farin, der Gründer des Berliner Archivs der Jugendkulturen, wünscht sich in seinem Nachwort eine Beratungsstelle für Jugendprojekte. Habt ihr da schon eine Idee für ein Projekt?
Das ist natürlich schwierig. Denn nachdem die Fördermittel für Phase 0 ausgelaufen sind, arbeiten wir wieder ehrenamtlich. Aber es gibt bereits die Idee, eine Workshoptour durch Schulen zu machen. Dabei könnte man den Schülern Grundlagen in Management und Wirtschaft vermitteln, in dem man den Stoff am Beispiel von kulturellen Projekten aufzieht. Im Bildungssystem gibt es da einen großen Bedarf, weil dort bislang kaum Grundlagenbildung über Wirtschaft stattfindet. Außerdem planen wir mit dem Kulturbüro Dresden im Herbst eine Reihe von Beratungssalsons, bei denen wir anhand der Projekte von Phase 0 verschiedene Aspekte der Projektarbeit vorstellen. Daneben sind wir als Verein in der Region Görlitz selbst Ansprechpartner für Jugendprojekte. Wir betreiben eine regionale Youth Bank, eine Art Mikrofonds, wo man Geld für Kleinprojekte beantragen kann und dann auch beraten wird.

  • teilen
  • schließen