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„Der Sieg gegen Acta war ein Präzedenzfall“

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jetzt.de: Anonymous pfeift am Samstag erneut zum Protest. Hast du eigentlich eine dieser „V wie Vendetta“-Masken, die die Anhänger so gerne benutzen?
Jérémy Zimmermann: (Lacht) Ja, aber ich besitze sie schon lange und wegen des Comics. Ich habe sie nie getragen. Außerdem sind wir eine echte Organisation. Anonymous würde ich eher als Anreihung von Symbolen und Konzepten bezeichnen. Menschen benutzen sie ad hoc, werden aber nicht zum „Mitglied“.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Protest-Wandmalerei gegen Indect in München.

Dennoch hat Anonymous für kommenden Samstag zu europaweiten Protesten gegen das Überwachungsprojekt „Indect“ aufgerufen.
Wie schon bei den Protesten gegen das Urheberrechtsabkommen Acta passiert das alles sehr spontan. Die Leute bemerken eine Ungerechtigkeit über das Internet, verstehen die Welt nicht mehr, verbreiten das Problem weiter und gehen dann protestieren.

Deine Organisation „La Quadrature du Net“ war ein wichtiger Spieler, als es darum ging, Acta zu stürzen...
...ja, aber oft hört es sich so an, als hätten wir das alleine gemacht. Wir waren nur Teil eines informellen Netzwerks. Viel wichtiger waren all die sozialen Netzwerke, IRC-Channels, Mailing-Listen, Jabbers, Blogs und Adhoc Websites.

Das heißt, ihr habt den berüchtigten Internetschwarm für die Proteste organisiert?
Nun ja, per Definition kann man den Schwarm nicht organisieren. Er ist chaotisch. Wir konnten aber eine Richtung aufzeigen. Jeder kann dann frei entscheiden, ob er mitmacht oder nicht. Es entstehen dezentrale Netzwerke unterschiedlichster Ausrichtung, wie eben zum Beispiel Anonymous.

Die dazu geführt haben, dass im Frühjahr an einem Tag hunderttausende Menschen in 300 europäischen Städten auf die Straße gegangen sind?
Genau. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich so etwas je erlebt habe. Das hatte symbolische Züge und politische Bedeutung. Die Proteste richteten sich gegen das Europäische Parlament und zeigten tatsächlich Wirkung. Das Parlament wurde zu einer Sicherheitslücke für den Gesetzgebungsprozess von Acta.

Damit meinst du?
Damit meine ich, dass das EU-Parlament seit dem Lissabonner Vertrag mehr Macht hat. Es stimmt als direkt gewähltes Organ über Gesetze ab. Auch über Acta. Dann gibt es nur noch Ja und Nein. Die Parlamentarier folgten der Massenmeinung und sagten Nein.

Also hat dank der Netzbewegung gegen Acta zum ersten Mal eine Protestbewegung auf europäischer Ebene Erfolg gehabt?
Noch einmal, es war nicht nur der klassische Protest. Demonstrieren, das ist heute auch der Blackout einer Website, eine Mail-Kampagne, von mir aus auch ein Katzen-Video. Es geht mehr um politische Motivation, als um dieses alte „Protest auf der Straße“- Denken.

Aber es wurde hauptsächlich auf der Straße demonstriert. Vor allem die Polen haben ziemlichen Radau gemacht.
Es mag sein, dass in Polen die Leute schneller auf die Straße gehen. Auf der anderen Seite haben die Leute in Deutschland vielleicht mehr Beschwerde-Mails geschrieben und in Frankreich vielleicht mehr in Foren diskutiert. Proteste an Landesgrenzen festzumachen, hat im Internetzeitalter nicht besonders viel Sinn. Wichtig ist nur, dass es in ganz Europa gemeinsamen Widerstand gegen ungerechte Gesetze gibt.

Und das alles ausgelöst von einem Nischen-Gesetz wie Acta? Von dem sich ein paar Downloader bedroht fühlen?
Wenn Acta durchgekommen wäre, hätte es einen Präzedenzfall erschaffen. In Zukunft wären immer mehr Gesetze hinter verschlossenen Türen bestimmt worden, die uns in unseren Grundrechten beschnitten und das freie Internet zerstört hätten. Stattdessen wurde aber der Sieg gegen Acta zum Präzedenzfall. Ich hoffe wirklich, dass sich diese neue Art der politischen Teilhabe auch bei anderen Themen durchsetzt.

Also wird Protest in Zukunft immer eine Mischform aus Internet-Aktivismus und Straßenkampf sein?
Ich sehe keinen Unterschied zwischen Digital und Real. Es gibt nur eine Welt und darin gibt es Tools. Das freie und dezentrale Internet ist sogar eins der wichtigsten dieser Tools. Und wenn wir die Freiheit im Netz verlieren, verlieren wir sie auch im echten Leben. Das verstehen viele Politiker nicht.

Und das führt wozu?
Das führt dazu, dass sie sagen: „Lass sich doch die Geeks darum kümmern.“ All diese Facebooks und Googles. Das ist aber kein Weg, sinnvolle Politik zu machen. Indem man alle Probleme einer angeblich „digitalen Welt“ an private Unternehmen outsourced. Dann entstehen solche Gesetze wie Acta. Und die sind gefährlich für unsere Grundrechte, egal ob online oder offline.                                                           

Der Text erscheint im Rahmen einer Kooperation mit der Deutschen Journalistenschule. Deren 50ste Lehrredaktion hat unter dem Titel Franz Josef ein junges politisches Magazin erstellt, das im September erscheint. Bis dahin kann man ihm auf Twitter, Tumblr und Pinterest folgen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Text: max-biederbeck - Foto: dirk-vongehlen

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