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Diesen Sommer trägt man Streifen

Text: 12Uhr7

Schwarz-Rot-Goldenes Fieber steckte während der EM deutsche Fußballgucker an. In Euro-Shops gab’s Fansets zum Schleuderpreis zu kaufen: Deutsche Tröten, Flaggen, Hasenohren und Hüte. Damen haben sich Fahnen zusammen nähen und taillieren lassen, trugen kurze, nationalfarbene Röcke oder DFB-Bikinis. Sogar in Obstgeschäften wurde die richtige Farbfolge von Blaubeeren, Erdbeeren und Ananas bedacht, um auch den Vitamingeilen Anhängern der Nationalmannschaft eine Freude zu machen.



Im Zuge von Fan-Kultur pflegen, finde ich das persönlich ganz lustig. Männer, die sich sonst nur zu Fasching mal eine Pappnase aufsetzen, malen sich an und tragen Haarreifen mit Mini-Fahnen, die sie aussehen lassen, wie deutsche Aliens. Schade nur, dass sie das oft nicht aufsetzen, um witzig zu sein, sondern um mit Inbrunst zu zeigen: Ich bin für Deutschland! Und das ist eine ernste Angelegenheit. Und dann stehen diese jungen und alten Aliens in den bayrischen Biergärten Norddeutschlands auf, die Hand auf dem Herz und schmettern die Nationalhymne und stoßen danach „auf Deutschland!“ an.
Und an diesem Punkt fängt mein kleines links Herz schon an zu puckern und ich mag diesen kleinen Punk, der die DDR Hymne dazwischen krakelt und danach angesoffen darüber lamentiert, dass diese Scheiße 1940 auch gesungen worden sei, er auf diese Nazi-Wichse kein Bock hat, deshalb nicht aufstehen könne und den Dreck nicht singen wolle.
Aber es ist nun mal die deutsche Nationalhymne. Ich kann mich nicht darüber auslassen, schon am Gesang der Spieler erkennen zu können, dass da kein Siegeswillen in der Mannschaft steckt und gleichzeitig die verteufeln, die sich im Biergarten die Hand auf die Brust legen.
Aber auf Deutschland anstoßen? Das finde ich schon ziemlich bescheuert, auch wenn ich weiß, dass jene, die das tun, mit Sicherheit nicht zu unserer Verfassung zuprosten. Noch ungemütlicher finde ich die „Auf geht’s Deutschland! Kämpfen und Siegen!“-Stimmen.
Im Stadion ist das alles völlig problemlos, rein sportlich und das nationale Gewissen schweigt besonnen, wenn ich mit und über meine Stadt gröle. Aber so jung, wie ich bin und so wenig ich für die deutsche Vergangenheit verantwortlich bin, beklemmt mich der deutsche Kampfgeist.
Denn ich finde, dass sich bei dieser Fußballguckerei ein seltsamer Party-Stolz auf unser Land bildet. Schwarz-Rot-Gold wird getragen, gehisst und gezeigt. Trikots  reichen nicht mehr, es müssen Fahnen sein. Und dann verwischt der Wettbewerb zwischen zwei Mannschaften zu einem Wettbewerb zwischen zwei Ländern.



Wir sind die Financiers der Griechen. Wir haben den Pizza-Schneider erfunden. Und den Käsehobel auch. Und wenn uns dieser Neger aus dem Turnier schießt, heißt das, dass wir bis zur nächsten WM dringend etwas erfinden müssen, mit dem man Cocosnüsse knacken kann.



Ich finde Deutschland nicht besser als das restliche Europa. Ich finde mich auch nicht besser, als irgendeinen anderen Europäer (zumindest nicht grundsätzlich :-) ) und hoffe trotzdem, dass die deutsche Nationalmannschaft Europameister wird. Es geht also: Man kann der deutschen Elf die Daumen drücken, ohne stolz auf den Zufall seines Geburtsortes zu sein.



Bei der ganzen Begeisterung für Schwarz-Rot-Gold könnte diesem Fußball-Karneval eine ganze Portion Humor sehr gut tun, dann würden die Alien-Fähnchen auch besser aussehen und es müsste nicht ständig über Politik diskutiert werden. Eine Europameisterschaft hat es natürlicherweise an sich, ein internationaler Wettbewerb zu sein und ich freue mich darüber, in einem Land zu leben, in dem es Orte gibt, an denen ich Spiele mit den Fans der anderen Mannschaft gemeinsam schauen kann. Es gibt die Chance, ein solches Turnier sportlich zu sehen und zu verstehen, dass das Spiel gar nicht stattfinden könnte, wenn es die Anderen nicht gäbe, anstatt zu überlegen, wer jetzt eigentlich die Käsereibe erfunden hat.



Nach der EM  sind Autofahnen und Spiegelabdeckungen genauso affig wie der Alien-Haarreif. Alle wissen, wie dieses Land heißt und welche Farben seine Flagge zieren und dass es uns hier größtenteils allen ziemlich gut geht. Darüber sollten wir uns freuen, froh über eine Menschenachtende Verfassung sein, Tagesschau gucken und wählen gehen. Unseren Stolz sollten wir uns für besondere Momente aufheben, zum Beispiel, wenn der Sohn/Bruder/Neffe mit dem Dorf-Club endlich den Sprung in die Kreisliga schafft.

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