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"Auf Pfennigfuchserei haben wir keine Lust"

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Auf den ersten Blick unterscheidet das Café Liebling in Haidhausen wenig von anderen Cafés: Im Hintergrund läuft leise Musik, auf dem Tresen stehen Kuchen und im hinteren Raum durchgesessene Sofas, die einem das Aufstehen schwer machen. Doch auf den Tafeln mit Getränken und Speisen sind keine Preise angegeben. Sonst ist das ein Hinweis, dass es teuer wird. Im Café Liebling darf stattdessen jeder Gast selbst entscheiden, was er bezahlt. Christian Hildebrand, 35, ist einer der Betreiber des Cafés und hat uns erzählt, wieso das funktioniert.

jetzt München: Christian, wenn ich im Café Liebling einen Kaffee trinke und danach zwei Cent in die Kasse lege, was passiert dann?
Christian Hildebrand: Nichts.

Wirklich nicht?
Nein, aber ich glaube, das macht eigentlich niemand.

Das Konzept wird also nicht ausgenutzt?
Bei uns läuft es so, dass wir tagsüber aufschreiben, was über den Tresen geht, und am Ende des Tages machen wir einen Kassensturz. Dann überschlagen wir, ob das mit einem normalen Preissystem übereinstimmen würde. Das passt zu 95 Prozent. Die meisten Gäste nutzen es also offenbar nicht aus. Und mittlerweile gibt es uns ja auch schon seit vier Jahren.

Wie reagieren denn die Gäste, wenn Du ihnen sagst, dass sie zahlen können, was sie wollen?
Viele sind erst mal ziemlich verwundert, kommen aber gut damit klar. Wir haben ja auch nichts Aufwendiges – Butterbrezn, Kuchen, Kaffee – da weiß eigentlich jeder, wie viel das woanders ungefähr kosten würde. Der Großteil unserer Gäste sind sowieso Stammgäste, und ich glaube, das ist der Grund, warum es uns noch gibt.

Wie meinst Du das?
Viele kommen wirklich fast jeden Tag, da entsteht teilweise ein sehr enges Verhältnis. Die zahlen schon allein deswegen fair, damit es uns morgen auch noch gibt. An einem viel frequentierten und unpersönlichen Ort wie dem Hauptbahnhof würde das Konzept vielleicht nicht funktionieren.

Schielst Du nicht doch hin und wieder mal zur Kasse, um zu gucken, wer nur ein paar Cent reinlegt? Gerade bei den Gästen, die häufig kommen?
Wenn wir den Leuten auf die Finger schauen würden, wie viel sie zahlen, wäre das kontraproduktiv. Zum einen würde der Gast wohl nicht mehr das zahlen, was er wirklich will, sondern mehr bezahlen, weil er sich beobachtet fühlt. Zum anderen würde es mir keinen Spaß mehr machen, weil man bei bestimmten Leuten immer voreingenommen wäre.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Du meinst das ja tatsächlich ernst mit den freiwilligen Preisen. Mit wem betreibst du das Café denn?
Mit meinem Bruder Michael und unserem engen Freund Franz, den kennen wir seit einer Ewigkeit. Ein eigenes Café aufzumachen, war lange so ein Traum von uns. Der ist mal entstanden, als wir zusammen in einem Strandcafé saßen und die tolle Atmosphäre genossen haben. Der Traum hat dann lange geschlummert und irgendwann meinte dann mein Bruder zu mir, dass er jetzt ein Café gemietet hat und ob ich dabei wäre.

Und wie seid ihr darauf gekommen, die Gäste selbst über die Preise bestimmen zu lassen?
Das ist relativ spontan entstanden. Als wir das Café eingerichtet haben, sind immer wieder Leute reingekommen, die wissen wollten, was bei uns der Espresso oder der Cappuccino kosten wird. Die haben uns dann auch gleich berichtet, wie teuer der Kaffee bei der Konkurrenz ist. Da haben wir gemerkt, dass uns das überhaupt keinen Spaß macht, zu überlegen, ob der Espresso nun 2,20 oder 3,10 kosten soll. Auf diese Pfennigfuchserei haben wir einfach keine Lust. Und deswegen haben wir die Leute am Eröffnungstag selbst entscheiden lassen, was sie zahlen wollen, und sind seitdem dabei geblieben.

Lohnt sich das Café denn finanziell für Euch?
Reich werden wir damit nicht, aber das ist auch nicht unser Ziel. Uns reicht es, wenn sich das Café selber trägt. Wir haben alle drei noch richtige Berufe, mit denen wir unseren Lebensunterhalt verdienen. Ich schreibe beispielsweise freiberuflich Werbekonzepte. Für mich ist das Café Liebling eher ein Hobby.

Ein Hobby, das ziemlich viel Arbeit macht. Wer backt denn die ganzen Kuchen?
Jeder von uns backt täglich einen. Dafür sind wir am Anfang bei unseren Müttern ins Trainingslager gegangen und haben uns Kuchenrezepte beibringen lassen. Tagsüber arbeitet immer nur einer von uns hinterm Tresen, so groß ist das Café ja nicht, und abends ist es sowieso geschlossen. Es ist schon viel Arbeit, aber es macht auch richtig viel Spaß. Mir ist es wichtig, dass es hier entspannt und locker zugeht und die Gäste gerne zu uns kommen. Man lernt sehr viele verschiedene Leute kennen und unser Netzwerk an Bekannten ist so groß wie nie zuvor.

Und ein bisschen berühmt werdet ihr mit Eurem Café Liebling auch.
Vor kurzem hat die Stimme Moskau, ein russischer Radiosender, über uns berichtet. Dass es in Deutschland so kommunistisch zugehen kann, haben die wohl nicht gedacht. Ja, das war schon witzig.

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