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Ein Jahr für Europa

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Angestrichen:  
Mit monetären »Rettungsschirmen« allein lässt sich Europa nicht retten. Die Malaise hat ihre Wurzeln darin, dass wir ein Europa ohne Europäer haben. Was fehlt, das Europa der Bürger, kann nur von unten wachsen, aus der Zivilgesellschaft selbst. Deshalb brauchen wir ein freiwilliges europäisches Jahr für alle."

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Teilnehmerin des Europäischen Freiwilligendienstes, der im Zuge des freiwilligen europäischen Jahres ausgebaut werden soll 

Wo steht das?  
In einer Antwort des Soziologen Ulrich Beck an die Kritiker des Manifests „Wir sind Europa“, das er Anfang Mai mit Daniel Cohn-Bendidt in der Zeit veröffentlichte.  

Und was steckt dahinter?  
In der Streitschrift hatten sich die beiden für die umfassende Einführung eines freiwilligen europäischen Jahres als Antwort auf die Eurokrise ausgesprochen. Unterstützt wurden sie dabei von prominenten Mitunterzeichnern wie Helmut Schmidt, Senta Berger oder Joschka Fischer.  

Die Voraussetzungen für ein solches Programm müssen laut des Manifests von nationalen und europäischen Entscheidungsträgern geschaffen werden. Jeder, „Arbeiter und Arbeitsloser, Musiker und Manager, Richter und Rentner“, soll die Möglichkeit erhalten, ein Jahr lang im europäischen Ausland für verschiedene Projekte tätig zu werden, um „ein Stück europäischer Zivilgesellschaft zu verwirklichen“.
Damit sich auch jeder eine solche Auszeit im Ausland leisten kann, sollen Politik und Wirtschaft den Teilnehmern die notwendige Grundfinanzierung und eine rechtliche Absicherung, zum Beispiel gegenüber dem Arbeitgeber, zur Verfügung stellen. Der Europäische Freiwilligendienst, der solche Aufenthalte derzeit in geringem Maße ermöglicht, soll dementsprechend ausgebaut werden.  

Die Aufgabenfelder der Freiwilligen sollen dabei nicht auf die klassischen Bereiche sozialer Arbeit, an die man bei dem Begriff „freiwilliges Jahr“ unweigerlich denkt (Krankenhaus, Altersheim..), beschränkt sein. Im Gegenteil, die Bürger selbst würden zukünftig die Probleme Europas über nationale Grenzen hinweg bekämpfen, zum Beispiel Klimawandel, Umweltzerstörung und Rassismus. Die vielen Mitunterzeichner aus dem Kunst- und Theaterbetrieb würden außerdem ihre Bühnen und Ausstellungsräume für europäische Projekte zur Verfügung stellen. 

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wurde das Konzept in den folgenden Wochen eher belächelt. Edo Reents vermutete, dass das Wort „sozial“ in der Namensgebung des freiwilligen Jahres bewusst weg gelassen wurde, es klänge ja zu sehr nach „Knochenarbeit, also Hinternabwischen und so etwas“ und warf den Verfassern fehlenden Realitätssinn vor. Auch Günther Lottes vermutete hinter dem Manifest die Planung einer Art europäischen Zivildienstes für Arbeitslose und Untätige, die nun gegenseitig in ihren Altersheimen hospitieren sollten.  

Mit seiner Antwort an die Kritiker stellte Beck nun noch einmal klar, worum es ihm geht: Die Schaffung einer engagierten europäischen Zivilgesellschaft, die durch ihre grenzübergreifende Tätigkeit erstens die genannten Probleme angeht und zweitens, quasi als Nebeneffekt, nationalistische Vorurteile und Missverständnisse durch das Kennenlernen anderer Kulturen und den Austausch von Meinungen abbaut.    

So nennt er als Beispiel einen fiktiven deutschen Bankangestellten, der sich für ein Umweltprojekt in Griechenland verpflichtet. Als er dort feststellt, dass seine hart arbeitenden griechischen Kollegen durch die von der deutschen Politik mitgetragenen Sparmaßnahmen zunehmend von Armut bedroht sind, gewinnt er ein differenzierteres Bild als das, welches ihm von weiten Teilen der deutschen Presse vermittelt wurde (Stichwort: „faule Pleitegriechen“).  

Angesichts der nationalistischen Tendenzen in vielen Mitgliedstaaten klingt das Konzept also zunächst mal sinnvoll. Fraglich bleibt allerdings, ob das Angebot in der breiten europäischen Bevölkerung tatsächlich Früchte tragen würde. Ein weltoffener Europa-Befürworter mag sich für ein freiwilliges Jahr begeistern lassen, wie aber soll man den politikverdrossenen Stammtischler überreden? Die „faulen" Südländer ziehen ihm ja schließlich seiner Meinung nach das Geld aus der Tasche und regen sich dann auch noch über die bösen Deutschen auf. Und ausgerechnet da soll er jetzt hinfliegen, um freiwillige Arbeit zu leisten? Und warum sollten sich europaskeptische Bürger von einem Tag auf den anderen für ein Europa einsetzen wollen, das ihnen auf politischer Ebene sonst nur als kalter Bürokratie-Klotz entgegenkommt, der irgendwo in Brüssel in elitären Kreisen in ihre nationalen Belange eingreift?

Die Problemfelder, in denen die europäische Politik derzeit versagt oder zwecks Haushaltssanierung mal eben den Geldhahn für qualifizierte Arbeitskräfte abgedreht hat, können nicht allein von einer Armee freiwilliger Hilfsarbeiter in Angriff genommen werden. Eine künftige europäische Zivilgesellschaft müsste für ihr Engagement neben einer Grundfinanzierung eben auch mit echter demokratischer Beteiligung und Mitspracherechten belohnt werden.

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