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Mit Dienstausweis und Desinfektionsmittel

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„Ich lauf jetzt dann auch rum und sag, ich bin Polizist“, lallt der Mann. Fast trifft er seinen Mund nicht, als er von seiner Zigarette ziehen will, mit der anderen Hand balanciert er eine Bierflasche. Zwischen zwei weiteren Männern lehnt er am Treppengeländer neben einer Imbiss-Filiale am Ausgang vom Münchner Hauptbahnhof. Der linke spuckt beim Sprechen, der dritte sagt gar nichts. Normalerweise sehe ich in so einer Situation weg und gehe schnell weiter. Heute ist aber kein normaler Abend. Ich begleite Belinda, 21, und Pascal, 27, zwei Beamte der Bundespolizei auf einer zivilen Streife. Sie haben ihre Dienstausweise schon vorgezeigt. Aber die drei Männer behalten ihre Papiere noch bei sich. Der erste Konflikt heute Abend. Seit über zwei Stunden sind wir unterwegs.

20.13 Um halb neun geht die Schicht los, ich stehe aber schon vor dem Revier an Gleis 26. Genau hier habe ich schon oft auf den Zug gewartet. Die Glastür neben dem Imbissstand, durch die man in die Wache gelangt, ist mir zwischen den verschieden braunen Fliesen aber noch nie aufgefallen. Ohne das gelbe Schild mit dem Bundesadler wäre ich wieder umgedreht. In den vergangenen Wochen hat man viel über Polizeikontrollen gelesen. Über das harte Vorgehen von Beamten, dass sie gezielt Ausländer überprüfen und unangemessen intime Kontrollen durchführen. Für mich ist das eine fremde Welt. Ich war mit der Polizei bisher immer nur indirekt in Kontakt. Nachts auf dem Heimweg, wenn ich froh bin, dass ein Beamter im U-Bahn-Waggon sitzt, oder wenn ich an der Kreuzung einen Streifenwagen sehe und mein Fahrrad lieber über den Fußgängerweg schiebe. Ich war noch nie auf einem Polizeirevier und ich bin auch noch nie kontrolliert worden.

20.29 Klingeln und dann drücken, steht auf dem Zettel, der mit Tesa an der Tür klebt. Darf ich das so einfach? Oder ist das wie mit der Notrufnummer? Ich versuche es mal. Nach ein paar Sekunden höre ich einen Summer und drücke gegen die Tür. Etwa 15 Polizeibeamte schauen mich an. Hier ist alles gefliest. Es sieht aus wie auf dem Bahnhofsklo und riecht auch so. Belinda und Pascal warten schon auf mich. Pascal trägt ein Polohemd und Sneakers, Belinda eine Sportjacke und Wanderschuhe. Ihre langen Haare hat sie zu einem Dutt zusammengebunden. Unter ihren Jacken tragen beide schusssichere Westen mit Waffen und Handschellen. Nur die Weste mit Ausrüstung ist vorgeschrieben, ansonsten kleiden sich zivile Beamte, wie sie wollen. „Wir achten aber darauf, dass wir wie Reisende aussehen“, erzählt Belinda.

20.40 Wir gehen auf den Platz vor dem Bahnhof, wo immer Streifenwagen stehen und steigen in einen dunkelblauen VW Passat. Ich sitze auf dem Rücksitz, neben mir steht ein großer Koffer, die Funkanlage. Pascal fährt und Belinda funkt vom Beifahrersitz aus, dass wir nach Markt Indersdorf fahren. Dort ist gerade Volksfest und an den Bahngleisen randalieren nachts manchmal Jugendliche.

21.15 Unser Ziel, die Haltestelle Markt Indersdorf, liegt etwa 40 Kilometer von München entfernt. Pascal hält am Straßenrand und stellt den Motor ab. Ich kann die Autotür nicht aufmachen. „Da sitzen normal die, die was angestellt haben“, sagt er, startet den Motor wieder und stellt das Auto auf dem Parkplatz am Bahnsteig ab. Mit dem Streifenwagen könnten sie überall stehenbleiben, zivil geht das nicht. Pascal öffnet mir die Tür, wir gehen zum Gleis. Belinda schaut, wann der nächste Zug kommt. Erst in 30 Minuten. Das dauert zu lange. Wir gehen nicht zum Volksfest, sondern fahren gleich wieder zurück.

22.24 Am Hauptbahnhof warten wir auf zwei internationale Züge. Im Gegensatz zu den anderen Wartenden am Gleis 14 sehen Belinda und Pascal nicht aus, als würden sie sich auf Freunde oder Familie freuen. Der Zug aus Verona fährt ein, Belinda und Pascal beobachten genau, wer aussteigt. Ich beobachte mit. Wen würde ich kontrollieren? Viele haben es eilig. Weil gleich die nächste S-Bahn fährt? Manche haben nur ganz kleine Taschen dabei, andere große Reisetaschen oder Rollkoffer. Beim Vorbeigehen höre ich manche Deutsch sprechen, aber auch Italienisch und Englisch. Einer redet in einer Sprache, die ich nicht verstehe. Er sieht zu Belinda und Pascal und wird langsamer, so, als wüsste er Bescheid. Aber: keine Reaktion bei meinen Begleitern. „Da war nichts dabei“, sagt Pascal.

22.32 Mit fünf Minuten Verspätung fährt der Zug aus Budapest ein. Belinda und Pascal stehen in Position. Bei der letzten Gruppe Menschen, die den Bahnsteig entlanggeht, sieht Belinda zu Pascal und nickt. Sie gehen auf einen Mann zu. Er sieht osteuropäisch aus, versteht die beiden aber. Das ist wichtig. Diskret holen sie ihre Dienstausweise hervor und lassen sich seinen Pass zeigen. Pascal prüft mit einer Lupe, ob der Ausweis gefälscht ist. Belinda ruft bei der Wache an und fragt, ob er als gestohlen gemeldet ist oder ob es Einträge zu dem Namen gibt. Sie fragen den Mann, was er in München macht. Er will einen LKW kaufen. Bei seiner Geschichte verhaspelt er sich nicht, auch das ist wichtig. Nach ein paar Minuten darf er wieder gehen. Belinda nimmt ein Fläschchen Desinfektionsmittel aus ihrer Tasche und verreibt ein paar Tropfen zwischen ihren Händen.

22.46 Wir stehen mit drei betrunkenen Männern neben einem Imbissstand. Sie wollen sich nicht ausweisen, weil sie nicht glauben, dass Belinda und Pascal Polizisten sind. Belinda sieht zu ihrem Partner. Sie müsste sich kein zweites Mal ausweisen, aber Ärger will sie noch weniger. Sie holt ihren Ausweis aus der Tasche: „Dafür zeigen Sie uns aber sofort Ihre Papiere.“ Tatsächlich, zwei von ihnen kramen sofort nach ihren Ausweisen, nur der dritte hat keine Papiere dabei. Er nennt seinen Namen. Belinda und Pascal geben die Daten bei der Wache durch. Der Mann ohne Ausweis hat Hausverbot am Bahnhof. Ohne Reiseabsicht, also ohne Fahrschein, darf er sich hier gar nicht aufhalten. Meine Begleiter bleiben gelassen: „Wenn Sie Ihr Bier ausgetrunken haben, verlassen Sie bitte das Bahnhofsgelände“, sagt Belinda und verreibt wieder etwas Desinfektionsmittel. Als wir weiter gehen, erklärt sie: „Zivil hat man es manchmal schwerer, als Polizist wahrgenommen und akzeptiert zu werden. Darum arbeiten die meisten lieber in Uniform.“

23.07 Wir gehen weiter durch die Bahnhofshalle. Belinda und Pascal bleiben bei einem Jungen mit dunkler Haut stehen, der auf den Treppenstufen vor dem Burger King im ersten Obergeschoss sitzt. Sein Ausweis ist in Ordnung. Vor dem Aufzug stehen zwei osteuropäisch aussehende Männer und rauchen. Der eine redet gebrochen Deutsch, der andere versteht weder Deutsch noch Englisch. Belinda zeigt erneut auf ihren Ausweis und dann auf ihn. Er kapiert und holt seinen Ausweis aus der Tasche. „Bitte nehmen Sie Ihre Mütze ab und die Hände aus den Jackentaschen“, fordert Belinda, als sie das Foto auf dem Ausweis vergleichen will. An den Ohren kann man einen Menschen sofort identifizieren. Wieder gestikuliert sie dazu. Dem Älteren ist das zu viel. Er bäumt sich auf, nur ganz kurz, bevor ihn der andere zurückhält. Belinda bleibt gelassen. Pascal ruft bei der Wache an und gibt beide Namen durch. Er muss sie buchstabieren, aber die Papiere sind in Ordnung. Wieder Desinfektionsmittel.

Bisher musste keiner mit aufs Revier kommen oder auch nur seine Tasche ausleeren, aber wir haben fast nur Leute kontrolliert, die „nicht deutsch“ aussehen. Ich frage die beiden Beamten, woran das liegt. „Wir haben kein festes Raster für unsere Kontrollen wie zum Beispiel die Hautfarbe. Nur bei Zugkontrollen achten wir sehr genau auf das Aussehen, weil wir dort nach illegalen Einwanderern fahnden“, erklärt Pascal. Grundsätzlich würden sie jeden kontrollieren, der sich auffällig verhalte. „Das ist meist Bauchgefühl“, sagt Belinda, „wenn etwas am äußeren Erscheinungsbild nicht passt, etwa wenn einer zum Beispiel ein schönes Jackett anhat, aber die Schuhe schlampig sind. Oder wenn er nervös wird.“ Etwa sechs Prozent der täglichen Kontrollen sind Fahndungstreffer. Belinda und Pascal wissen natürlich, warum ich das frage. Sie kennen die Berichte über ihre Kollegen von der Landespolizei, die gezielt Ausländer überprüft und unangemessen intime Kontrollen durchführt haben sollen. Im Kollegenkreis haben sie natürlich darüber gesprochen. Ein Urteil können sie sich dazu aber nicht bilden. „Wir kennen nur die Zeitungsberichte und wissen nicht, wie es wirklich abgelaufen ist“, sagt Pascal.

23.35 Als wir wieder durch die Haupthalle gehen, lehnen die drei Männer von vorhin immer noch am Treppengeländer. Sie sehen uns kommen und gehen raus auf den Vorplatz. Mit der Rolltreppe fahren wir ins S-Bahn-Zwischengeschoss. Wir sind fast bei der Mitte angekommen, als draußen plötzlich eine junge Frau zur Seite springt. Daneben steht der Betrunkene, der vorhin keinen Ausweis dabei hatte. Schon drehen Belinda und Pascal um und flitzen an mir vorbei, die Rolltreppe in die falsche Richtung hoch. Oben haben drei Mitarbeiter der Bahnwache den Betrunkenen gepackt. Seine zwei Begleiter sind verschwunden. „Er hat um sich gehauen und einen Mann getroffen“, sagt eine Frau, die mit ihrer Freundin auf dem Weg zur S-Bahn ist, „der ist mit seiner Freundin in ein Taxi gesprungen und weggefahren.“ Keine Spur von den Opfern. Den Täter bringen Belinda und Pascal auf die Wache.

Auf dem Revier überprüfen andere Beamte erneut die Personalien. Manche kennen ihn, er hat einige Straftaten begangen. Wie er auf der Bank sitzt und sich gegen die Wand lehnt, traut man ihm das nicht zu. Er brüllt, heult und spuckt noch mehr als vorhin. Er spricht Deutsch, hat einen typisch deutschen Namen, aber verstehen kann man ihn immer noch nicht. „Er hat nichts zu verlieren“, sagt ein Kollege und bringt ihn zur Tür. „Wir fahren ihn heim, bevor er noch mehr anstellt. Wir sind ja für ihn verantwortlich.“ Draußen greift Belinda zum letzten Mal heute nach dem Desinfektionsmittel. Auch Pascal gibt sie ein paar Tropfen in die Hand. Es ist wie ein Ritual.

23.54 In der U-Bahn auf dem Weg nach Hause sitzt dieses Mal kein Polizist. Zumindest keiner in Uniform, korrigiere ich mich und denke über den Abend nach. Es mag einzelne Polizisten geben, die ihre stärkere Position ausnutzen. Belinda und Pascal haben heute aber immer verständnisvoll und sogar mitfühlend reagiert. Vielleicht, weil sie noch nicht so lange dabei sind, oder weil ich als Journalistin mit dabei war. Vielleicht aber auch, weil zwischen ihnen und den Menschen, die sie kontrollieren, keine Uniform steht. In Zivil müssen sie sich den Respekt jedes Mal erkämpfen. Und das gelingt mit ihrer sicheren, freundlichen Art weit besser als mit irgendwelchen Schikanen.

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