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Im Zeichen der Barbourjacke

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Meine Freundin C. schreibt mir eine Nachricht: „Weißt du noch, als du neulich Abend zu mir gesagt hast, ich sähe in diesem einen Outfit aus wie eine Medizinerin? Immer wenn ich jetzt vorm Schrank stehe, muss ich daran denken und überlegen ob das, was ich anziehen will, nicht zu spießig ist.“

C. studiert Medizin, aber da sie immer schon eher ein Baggypants und Chucks-Mädchen war, empfindet sie es als Beleidigung, wenn man ihr das Studium der Medizin auch ansieht. Als wir uns an besagtem Abend sahen, war sie aber tatsächlich anders angezogen als sonst. Sie trug: Ein gebügeltes, blau-weiß gestreiftes Hemd, das in eine enge Jeans mit Ledergürtel gesteckt war, hohe Schuhe, eine Perlenkette und dazu einen Pferdeschwanz.

Sie sah aus wie das Gros der Medizin,- Jura- oder BWL-Studenten. Sie hatte dieses Gutsherrenhafte an sich, über das sie sich seit Beginn ihres Studiums gerne und oft aufregt. Jede Berufsgruppe und jeder Studiengang muss gewissen Kleidungsklischees standhalten, doch die oben genannten Mediziner, Juristen und BWLer bilden definitiv die am meist gehassteste Gruppe: Die der angesnobten Söhne und Töchter. Mit ihren Segelschuhen und um die Schulter geknoteten Pullover sehen sie oft aus wie die Miniversionen ihre eigenen Eltern: Leicht grauhaarige Oberschichtler mit Landhaus und Boot. Alles an ihnen widerspricht dem Konsens, dass man als junger Mensch kein nach Sicherheit strebender Golfer zu sein hat, sondern eher jemand, der Dinge anders macht.

Ob die Lebensart des darüber lästernden Philosophiestudenten aber wirklich origineller ist (meistens eher nicht), bleibt natürlich undiskutiert. Es wird einfach gerne heraus gehauen, dieses „Voll der Jurist“ oder „Typischer BWLer“, auch wenn man eigentlich selbst nicht genau weiß, wieso man das jetzt noch mal so lächerlich findet. Man sagt es, weil es sich so leicht und schnell dahin lästert.

C. jedenfalls hatte es an diesem besagten Tag nicht im Sinn, sich auf eine Art und Weise zu kleiden, die sie sonst verabscheut. Sie hatte bloß Lust auf Jeans, Hemd, Pferdeschwanz und Perlenkette - nicht wegen der Symbolkraft dieser Stücke, sondern weil sich diese Stücke eben zufällig an ihr zusammengefunden hatten. Manchmal hat man das und eigentlich sollte das völlig normal und in Ordnung sein. Jedenfalls sollte es niemanden dazu veranlassen, etwas zu sagen wie: „Huch, was ist denn mit dir los?“ Und erst Recht sollte es den anderen nicht verunsichern. Denn eigentlich gibt es nichts Tolleres, als sich anzuziehen, worauf man Bock hat - und darauf zu scheißen, ob die Kulturgeschichte des erworbenen Produkts vielleicht eine Botschaft vermittelt, die nicht viel mit der eigenen Lebensart zu tun hat.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Barbourjacken sind auch so ein vorbelastetes Kleidungsstück. Ich habe mir vor einiger Zeit eine gekauft. Weil ich Lust hatte. Und weil ich eine verlässliche, wasserfeste Jacke brauchte. Ich stand schon immer auf Jägergrün und ich mag den wachsigen Geruch dieser Jacken und das Gefühl, mit dem Finger über ihr Material zu streichen. Ich mag, dass diese Jacken aus England kommen und dass sie maximal qualitätssicher sind. Mir gefiel der Gedanke, mir etwas zu kaufen, das mich vielleicht sogar um Jahrzehnte überlebt - und eines Tages abgewetzt und voller Flicken von meinen Enkeln aufgetragen wird.

Die ersten Male, als ich sie trug, passte ich immer sehr genau auf, darin nicht wie eine junge Privatierin mit Geländewagen auszusehen. Das wurde mir schnell zu anstrengend und ich zog sie irgendwann nur noch an, ohne weiter darüber nachzudenken - in dem naiven Ansinnen, dass ja alle, die mich kennen, wissen, dass diese Jacke nicht als Snob-Statement gemeint ist. Sondern wenn überhaupt, dann schon eher ein mikro-bisschen Christian Kracht-90er-ironisch, mit Doc Martens und abgewetzter Jeans.

Als ich dann aber kürzlich Besuch von zwei alten Freunden bekam, hatten sie zur besagten Jacke sofort eine ganz andere Meinung. Meine Freundin A. witzelte mit schrägen Augenbrauen: „Oh classy, wo ist dein Hund, wo sind die Reitstiefel?“ Und mein Freund T.: „Oh! München hat ja schon schön auf dich abgefärbt. Aber immerhin ist es noch keine Steppjacke!“

Selbst meine besten Freunde hielten mich anhand einer Barbour-Jacke plötzlich für eine veränderte, irgendeinem Klischee zum Opfer gefallene Person. Das war deprimierend. Dass ich selbst aber nicht einmal besser war, merkte ich dann Wochen später an C.s Nachricht - und frage mich seither: Wie lässt sich das ändern? Sich vorzunehmen, generell nicht mehr vom Äußeren aufs Innere zu schließen ist ein bisschen, wie sich-den-Weltfrieden-wünschen. Und dass Kleidung immer auch ein Statement ist, hat in vielerlei Hinsicht auch sein Gutes - weder kann, noch möchte ich das ändern.

Trotzdem habe ich keine Lust, jedes Mal, wenn ich Lust habe, mir ein klischeebesetztes Kleidungsstück zu kaufen, es auf Krampf kulturironisch umzudeuten, damit jeder weiß, wie ich es meine. Das Einzige was hilft ist deshalb wahrscheinlich, klein zu anfangen. C. zum Beispiel nie wieder solche dummen Sachen wegen eines gestreiften Hemdes zu sagen. Und meine Barbourjacke trotzdem zu tragen, nicht wegen oder wider der Geschichte, die sie für die anderen hat - sondern wegen der, die ich mir ganz allein für sie ausgedacht habe.

Text: mercedes-lauenstein - Illustration: Katharina Bitzl

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