Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Rap Rendezvous: Wir hören neue Platten mit Dr. Knarf

Teile diesen Beitrag mit Anderen:



In dieser Kolumne geht es um einen Dialog. Um ein Zwiegespräch zwischen Autor und Akteur. Und dass der Kölner Rapper Dr. Knarf etwas zu sagen hat, hat er gerade erst auf seinem Debütalbum „Kniwolution“ bewiesen, als der Multiinstrumentalist (Klavier, Gitarre, Schlagzeug und Bass) darauf mal eben seinen eigenen Tod inszeniert hat. Ein düsteres Werk, das im krassen Gegensatz steht zu seiner eher fröhlichen Performance in der Vox-Sendung „Cover My Song“ im letzten Jahr.  

 

 

Aber jetzt geht es los mit dem Rap Review Rendezvous und Nicki Minaj – Pink Friday: Roman Reloaded 

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


jetzt.de: Wie hat dir die Platte gefallen?
Dr. Knarf: Heutzutage muss man ja schon glücklich sein, wenn einem von einer Platte drei Lieder gefallen, und das war hier durchaus der Fall. Das Album hat mir von allen am besten gefallen – allerdings nur die erste, rap-lastige Hälfte. Der zweite Teil der Platte ist so poppig, dass es genauso gut Lady Gaga oder Katy Perry hätte sein können. Das Pop-Zeug hat mich nicht so geflasht, aber ihren Rap finde ich cool.  

Viele halten Nicki Minaj für die derzeit beste Rapperin. Ist sie das auch in deinen Augen?
Ich kenne zu wenige Female-MCs, als dass ich das richtig beurteilen zu können. Aber Nicki Minaj hat auf jeden Fall was auf dem Kasten. Es macht Spaß, ihr zuzuhören. Aber wenn die Platte nach der Rap-Hälfte zu Ende gewesen wäre, wäre es ein besseres Album geworden.  

http://www.hiphopmusicdotcom.com/nicki-minaj-roman-reloaded-feat-lil-wayne.html[/link]  

Die Platte ist sehr abwechslungsreich: Es gibt Rap, House- bis Techno-Anleihen, Pop-Songs, unendlich viele Ideen, massenhaft Überzeichnungen etc. Bist du ein Freund dieser Vielfalt? Gegen Vielfalt ist nichts einzuwenden, aber einige ihrer Songs sind leider zu schwach. Im Hinblick auf zwei oder drei Radio-Singles mag das Sinn machen, aber Spaß macht mir der Pop-Kram nicht. Ich habe fast das Gefühl, dass sie als Baby mal in einen MDMA-Topf gefallen ist. Das Zeug bröselt nur so aus jedem Track heraus.  

In der Juice wurde das Ganze als „Varieté der Wahllosigkeit“ bezeichnet. Trifft es das?
Nein, wahllos finde ich das nicht. Dahinter steckt ja durchaus Methode, und auf den Rap-Tracks überzeugt sie vollkommen.  

Sie gilt zudem als Stilikone.
Nee, das sehe ich nicht so. Letztlich macht sie auch nichts anderes als damals Foxy Brown oder Lil’ Kim. Bestimmte Stilistiken wiederholen sich eben alle Jahre wieder. Und das ist bei ihr nicht anders. Aber es passt zu ihr, insofern ist das okay. Alte Ideen müssen ja auch weitergetragen werden.

 
Boz – Kopfkrieg  

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Das „Rattos Locos“-Label aus Hamburg hat mit Leuten wie Nate57, Telly Tellz und eben Boz Gangsta-Rap aus der Hansestadt etabliert. Unterscheidet sich der Gangsta-Rap aus Hamburg von dem aus anderen Städten?
Ich habe auf jeden Fall nichts gegen Gangsta-Rap und kann damit generell durchaus etwas anfangen. Bei den „Rattos Locos“-Jungs kommt es auf jeden Fall authentisch rüber, und Boz rappt sehr souverän. Der gefällt mir von den Hamburgern fast am besten.  

 

Den „Rattos Locos“-Künstlern wird ja gemeinhin attestiert, zwar authentische Ghetto-Tales zu erzählen, dabei aber dennoch ein gewisses Maß an Intelligenz und Reflektionsvermögen mitzubringen. Wie verhält sich das Boz-Album dazu?
Sonderlich reflektiert finde ich die Platte nicht, um ehrlich zu sein. Lediglich im Track „Eigentlich weiß ich es besser“ habe ich das herausgehört. Ich kaufe ihm schon ab, was er da erzählt, fand die Song-Auswahl aber leider ein bisschen beliebig. Auch die Beats plätschern ein bisschen vor sich hin. Die lösen in meinem Kopf nichts aus. Streckenweise hat sich das angehört wie ein einziger langer Track, weil sich Raps und Beats so geähnelt haben.  

Das vermittelte Lebensgefühl der Platte ist ausweglos, trist und geprägt von lauernden Gefallen und Enttäuschungen. Bietet dir das Identifikationspotenzial?
Doch, schon. Aber an einer Stelle sagt er auch so etwas wie „Ich schäme mich, weil ich weiß, dass Gott mich sieht“ – und mit solchen Sprüchen kann ich überhaupt nichts anfangen. Das ist für mich so ein leeres, aufgesetztes Islam-Ding. Das empfinde ich als albern.



Apollo Brown & OC – Trophies  

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



In den letzten Jahren sind ja einige verdiente Rap-Veteranen aus den 90ern zurückgekommen, konnten aber nur selten an ihre Großtaten aus dem Golden Age anknüpfen. Wie verhält es sich mit OC?
Die Platte ist gut und klingt wirklich absolut nach 90er Jahren. Ich glaube, wenn man mal abends mit seinen Jungs zusammensitzt und das im Hintergrund läuft, dann kommt das cool. Aber auch hier hätte ich es schön gefunden, wenn ein paar Tracks noch etwas mehr herausgestochen hätten.  

Auch die Instrumentierung klingt nicht unbedingt modern, sondern ist sehr reduziert und lehnt sich an das Soundbild von vor 20 Jahren an. Wie ist deine Meinung dazu?
Einige Beats fand ich super, aber insgesamt ist mir das zu laid back – auch die Raps, obwohl ich die Lyrics super finde.

http://www.youtube.com/watch?v=1IyVJhRZJXg[/link]  

Auf der Platte gibt es keinerlei Features, das Ganze wirkt sehr konzentriert auf das harmonische Miteinander von Beat und Rap. Fehlt dir da etwas oder sagt dir diese Konzentriertheit zu?
Es spricht ja nichts dagegen, ein harmonisches Album zu machen, aber hier hätte vielleicht schon die eine oder andere Fremdproduktion für etwas Auflockerung gesorgt. Ich meine: OC hat es als Rapper ja absolut drauf, über jeden Beat zu spitten. Ich habe auch seine alten Platten immer gefeiert und die ganzen alten D.I.T.C.-Sachen.
 
Santigold – Master Of My Make-Believe  

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Die Platte ist natürlich kein Rap-Album. Kannst du trotzdem etwas damit anfangen?
Ja. Mir gefällt zwar auch hier nicht jeder Track, aber ich bin erst einmal offen für alles. Ich arbeite ja in einem Tonstudio, deshalb interessieren mich solche Platten auch produktionstechnisch. „Master Of My Make-Believe“ ist auf jeden Fall ein Mainstream-Album, deren Songs fast alle radiotauglich sind. Einige Tracks würde ich skippen, da müsste ich mich echt durchquälen, aber andere wiederum finde ich supergeil. Ich denke, die Platte wird viele Leute ansprechen.  

http://www.mtv.de/musikvideos/41913-disparate-youth  

Ein Bekannter von mir meinte, das wäre die Platte, die Madonna nie zustande gebracht hat. Wie ist deine Meinung zu dieser Aussage?
Keine Ahnung, ob Madonna gerne so eine Platte gemacht hätte. In letzter Zeit wird ja gerne darüber diskutiert, dass Madonna immer versucht, einer Rolle gerecht zu werden, die nicht mehr ihrem Alter entspricht. Aber kuck dir doch mal an, was die für Hits hatte und mit welchen Leute die zusammengearbeitet hat. Viele Leute mokieren ja, dass Madonna nie eigene Tracks geschrieben hat, und das mag stimmen. Trotzdem hat sie das alles verkörpert, durchgezogen und gelebt. Das hätte außer ihr niemand machen können.  

Wie gefällt dir die Verknüpfung vermeintlicher Radikalität mit Radiotauglichkeit bei Santigold? Gelingt es ihr, Beides zusammenzubringen oder scheitert sie daran?
Als sonderlich radikal empfinde ich die Platte eigentlich gar nicht. Ich meine: Wir haben 2012. Was willst du da noch bringen? Es gab ja alles schon. Ich lasse mich auch gerne vom Gegenteil überzeugen, aber Santigold schafft das nicht.

 
Blumio – Drei  

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Blumio nennt sich auf der Platte den „letzten Rapper, der noch Aussage hat“ und bezeichnet die deutsche HipHop-Szene als „Planet der Affen“.
Das tun wir doch alle. Er hat auf jeden Fall Aussage, aber der letzte Rapper, bei dem das so ist, ist er nicht. Ich finde das auch ein bisschen anmaßend, wenn man allen anderen Sachen ihre Existenzberechtigung abspricht. Mal ganz abgesehen davon: Zu behaupten, jemand sei dumm, sagt ja viel mehr über einen selbst aus als über den vermeintlich geringen Intelligenzquotienten des Anderen. Das Urteil beruht ja nicht auf rationalen Maßstäben, sondern weil er sich beleidigt fühlt, weil jemand „Fick deine Mutter!“ gesagt hat. Er fühlt sich dadurch verletzt, weil sein Wertesystem angegriffen wurde, aber das hat nicht zwangsläufig etwas mit Dummheit zu tun.  

Gefällt dir die Platte denn?
Er hat teilweise ganz coole Ansätze, kommt selbst aber nicht sonderlich motiviert rüber. Die Texte sind schon nicht schlecht, aber mir gefällt seine Zeigefingermentalität nicht. Für meinen Geschmack spielt er sich zu häufig als Werteverfechter auf, und diese Rolle steht ihm meiner Meinung nach nicht zu.  

Hast du einen Lieblingstrack?
Ich mochte die Strophen von „Alieninvasion!“, aber in seinen Hooks persifliert er sich selbst. Das kann der doch nicht ernst meinen. Warum holt er sich für die Refrains nicht fähige Leute ran? Das ist schade, weil er damit total viel kaputt macht. 

http://www.youtube.com/watch?v=U6JuhPsidcw  

Was sagst du zu Beats und Sound?
Den Sound fand ich voll komisch. Das hörte sich in meinen Ohren eher nach Demotape-Qualität an. Aber einige Beats haben mir prinzipiell schon gefallen.  

Mit „Wir träumen gemeinsam von besseren Tagen“ gibt es auch wieder einen Song gegen Rassismus auf der Platte. Generell sicherlich ein guter Ansatz, allerdings wirkt die musikalische Auseinandersetzung mit derlei Themen häufig etwas hölzern. Wie ist Blumio die Umsetzung gelungen?
Horror! Der hat sich inhaltlich ja echt Mühe gegeben und sich hingesetzt, aber dann sagt ihm von seinen Leuten echt keine Sau, dass die Hook gar nicht klar geht! Fürchterlich!



Dr. Knarfs aktuelle Album-Top-5:  

Strong Arm Steady – Arms And Hammers
Ein Album voller Klassiker: Sahne-Beats, Street-Rap, geile Texte – das muss man fühlen.  

Grafh – The Rule EP
Meiner Meinung nach der am meisten unterbewertete Rapper in ganz Amiland. Zu authentisch, zu talentiert. Krasse Flow- und Wortspiele, textlich deep, gleichzeitig selbstironisch und mit beiden Beinen auf dem Boden.  

Big Boi – Sir Lucious Leftfoot
Souverän, wie der Opi die Bude rockt. Außergewöhnliche Beats und geile Flows.  

Raekwon – Only Built For Cuban Linx 2
Raekwon in Bestform. Für Wu-Tang-Nerds der Stoff für die Fixe. 

Nipsey Hussel – The Marathon Continues
Geile Beats – und ein souveräner und hungriger Nipsey besorgt den Rest.  


Dr. Knarfs Alltime-Album-Top-5:  

Prodigy – H.N.I.C.
Auf dieser Platte gibt es den krassesten Übergang, den ich je auf einer LP gehört habe. 

Big Punisher – Capital Punishment
Meines Erachtens nach ist das einer der besten MCs, die es jemals gegeben hat.  

Wu-Tang Clan – Enter The Wu-Tang (36 Chambers)
Das Album hat mich zu HipHop gebracht. Die Beats, die Themen, das Crew-Ding – das gab es vorher noch nicht.  

Shyheim – Manchild
Damit verbinde ich wahnsinnig viele Erinnerungen. Ein derbe poetisches Album mit geilen Beats. Zeitlos emotional.  

Big L – Livestylez Ov Da Poor & Dangerous
Einer der größten MCs. Wahnsinnige Geschichten die noch wahnsinniger gereimt sind. Für Rap-Fans!

Text: daniel-schieferdecker - Foto: myspace.com/drknarf

  • teilen
  • schließen