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Pflichtstation Hausarzt

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Eigentlich könnten sich die über 80.000 Medizinstudenten in Deutschland auf Freitag freuen: Schließlich will der Bundesrat Ende der Woche ihr arbeitsintensives Studium ein wenig entstressen und bisher komplizierte Ortswechsel erleichtern. Doch stattdessen wollen viele von ihnen Mittwoch und Donnerstag auf die Straße gehen, relativ spontan wurden Demonstrationen in Berlin, Köln, Leipzig, Münster, Jena und Mainz angekündigt. Eine erst letzte Woche gestartete Petition gegen das geplante Gesetz wurde schon über 8000 mal unterschrieben, denn die Studenten fühlen sich bevormundet und in Richtung Hausarztdasein gedrängt. Was ist da los?



Der Bundesrat will die Approbationsordnung für Ärzte ändern. Die Reform betrifft das letzte Studienjahr Medizin, das Praktische Jahr. Eigentlich ist es ein Ausbildungsabschnitt, in dem die angehenden Ärzte nach der Theorie an den Arbeitsalltag herangeführt werden sollen. Tatsächlich bilden die jungen Mediziner aber auch teilweilse schlicht billige Vollzeit-Arbeitskräfte für die Krankenhäuser und Praxen. Denn für das PJ bekommen die Studenten in der Regel nicht mehr als ein Praktikantengehalt, an einigen Ausbildungsstationen nicht mal das. Zudem sind die letzten Monate des Praktischen Jahrs vielleicht die stressigsten des gesamten Studiums: Neben der Arbeit müssen die Studenten sich auf das sogenannte „Hammerexamen“ in über 30 schriftlichen und vier mündlichen Fächern vorbereiten.  

Die guten Nachrichten aus Sicht der Studenten: Mit der Änderung der Approbationsordnung würde das Hammerexamen nun aufgeteilt, die schriftlichen Prüfungen sollen bereits vor dem Praktischen Jahr geschrieben werden. Außerdem würde es für die Studenten einfacher werden, fürs PJ in einen anderen Ort als ihre Studienstadt zu gehen. Bisher ist es oft unkomplizierter, Teile des Praktischen Jahrs in einem Krankenhaus in Afrika oder Asien zu verbringen, als dass ein Medizinstudent von der Berliner Charité in eine Münchner Klinik geht.  

Die schlechte Nachricht: Mit der Reform soll die Wahlfreiheit im Praktischen Jahr gleichzeitig durch einen Pflichtabschnitt in der Allgemeinmedizin eingeschränkt werden – im Klartext: Ab 2018 würden alle Studenten verpflichtet, mehrere Monate in einer Hausarztpraxis verbringen, auch, wenn sie Neurologe oder Augenarzt werden wollen. Bisher unterteilt sich das Praktische Jahr auf drei Ausbildungsabschnitte. Jeweils 16 Wochen verbringen die angehenden Ärzte auf einer Station der Inneren Medizin, der Chirurgie und in einem frei wählbaren Bereich. Zuerst sollte der Wahlbereich komplett wegfallen und durch die Pflichtstation Hausarzt ersetzt werden. Nun ist geplant, dass PJ zu vierteln, so dass die Studenten jeweils drei Monate bei den alten und der neuen Pflichtstation verbringen und für ein Quartal weiterhin die freie Wahl haben.  

Die Idee dahinter: Die Studenten sollen sich durch diese Zeit für eine spätere Berufstätigkeit als Allgemeinmediziner erwärmen. „Wir müssen sehen, dass die medizinische Versorgung auch auf dem platten Land in Zukunft sichergestellt ist“, sagt Christian Moeller, Pressesprecher von Manuela Schwesig, Ministerin in Mecklenburg-Vorpommern, die im Gesundheitsausschuss des Bundesrates an der Änderung der Approbationsordnung mitarbeitet. „Durch den Pflichtabschnitt würde die Allgemeinmedizin in der Ausbildung aufgewertet und kann das Interesse der Studentinnen und Studenten für eine hausärztliche Tätigkeit geweckt werden.“ Denn in einigen ländlichen Regionen sind die Hausärzte bereits heute knapp. 

Viele Medizinstudenten halten davon nichts, in einer Umfrage sprachen sich 70 Prozent gegen das zunächst diskutierte Pflichttertial aus. „Die Allgemeinmediziner sollen sich andere Methoden für ihre Nachwuchsrekrutierung einfallen lassen“, meint Hormos Salimi Dafsari von der bvmd, der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland. „Die Wahlstation im Praktischen Jahr ist die Zeit im Studium, in der wir uns frei entfalten können.“ Viele Studenten würden gezielt zu einer Station gehen, an der sie nach dem Studium arbeiten wollen, um nicht nur den Fachbereich, sondern auch die Atmosphäre dort kennenzulernen. „Auch nur ein Monat weniger auf der Station würde bedeuten: Kaum ist man da, muss man schon wieder weg“, sagt Hormos. So könne man sich kein realistisches Bild mehr machen.  

Ob dafür ein Vierteljahr nicht auch ausreichen würde, da kann man sicherlich geteilter Meinung sein. Hormos’ bvmd-Mitstreiter Christian Kraef von der Uni Münster hat allerdings noch einen anderen Einwand gegen die Zwangsstation beim Hausarzt. Er denkt, dass sie auch bei den aufnehmenden Ärzten und deren Patienten nicht besonders gut ankommen dürfte: „Jedes Jahr würden dann 10.000 Medizinstudenten, oftmals unmotiviert, weil sie ja nicht Hausarzt werden wollen, durch die Praxen gejagt und wären nach drei Monaten wieder weg. Im Krankenhaus ist es ja eher anonym, da ist der ständige Wechsel nicht problematisch“, findet Christian. „Aber beim Hausarzt kommt es ja auch ganz besonders auf das persönliche, vertraute Arzt-Patient-Verhältnis an.“  

Grundsätzlich sind auch Christian und Hormos für eine Stärkung der Allgemeinmedizin in der Ausbildung zum Arzt: „Aber die muss qualitativ sein, nicht quantitativ“, erklärt Hormos. „Es sollte mehr Lehrstühle für Allgemeinmedizin geben und das Qualitätsmanagement der Ausbildung in den Praxen verbessert werden, so dass mehr Studenten Lust darauf bekommen, im PJ in eine Hausarztpraxis zu gehen.“

Wahrscheinlich müsste sich aber auch und vor allem nach dem Studium etwas ändern: Eine vor Kurzem veröffentliche Umfrage des Hartmannbundes unter Medizinstudenten hat gezeigt, dass nur neun Prozent bereit wären, später auf dem Land in eigener Praxis tätig zu sein. Durchaus verständlich, wenn man sich die Arbeitsbedingungen eines Hausarztes auf dem Dorf vor Augen führt: Landärzte sind in aller Regel Einzelkämpfer ohne echten Feierabend. Viele Medizinstudenten wollen später aber lieber im Team und mit familienfreundlichen Arbeitszeiten für die Patienten da sein. Doch natürlich kann nicht jedes 1000-Seelen-Nest eine hausärztliche Gemeinschaftspraxis haben, auch alte Menschen müssten dann weitere Wege zum Arzt zurücklegen. „Die medizinische Versorgung auf dem Land wie sie heute ist, wird es in Zukunft so nicht mehr geben“, glaubt Christian. „Aber das sagt natürlich kein Politiker gerne den vielen Wählern, die davon betroffen wären. Da sind wir paar tausend Medizinstudenten nicht so wichtig.“

Text: juliane-frisse - Foto: dpa

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