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Aquarelle to go

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Früher, als er noch in einer anderen Stadt lebte, war peintre x mal Sprayer. Heute ist er immer noch ein Straßenkünstler, nur, dass die Arbeiten, die er vor allem in München präsentiert, ab und an aber auch in Paris oder Athen, nichts mehr mit Graffiti zu tun haben. Er malt kleine Aquarelle, rahmt sie, hängt sie irgendwo an einer Fassade auf, klebt einen QR-Code mit einem Link zu seiner Seite auf einem Kunstportal dazu, fotografiert das Bild an seinem Bestimmungsort und setzt das Foto auf Facebook. Was danach mit seinem Werk passiert, ist Sache der Gesellschaft, sagt peintre x, der seine Identität geheim halten möchte. Ein Gespräch übers Verschenken, Schnitzeljagden und Münchner Street Art.

jetzt München: Warum verschenkst du deine Bilder?
peintre x: Ich verschenke sie nicht. Ich gebe das, was ich kostenlos als Inspiration aus der Gesellschaft bekommen habe, an sie zurück, umsonst und für alle frei zugänglich.

Warum ist dir der Unterschied wichtig?
Seit jeher ist es die Aufgabe des Künstlers, ein Spiegel der Gesellschaft zu sein. Er reflektiert das, was er sieht und erlebt. Doch die Frage ist: Was gibt er der Gesellschaft zurück? Seine Werke, natürlich, aber er verkauft sie meist an eine exklusive Schicht von Menschen. Aus der Kunst wird eine Ware, an die man ohne Einladung zur Vernissage, ohne Zugang zu Galerien und ohne das nötige Kleingeld gar nicht herankommt. Das hat mich schon immer gestört, wenn ich selbst ausgestellt habe. Ich möchte daher, dass jeder meine Kunst erfahren kann.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Aber kann sie jeder erfahren, wenn deine Bilder nur ein paar Tage – oder gar Stunden – in der Öffentlichkeit hängen?
Einige sind tatsächlich schon nach ein, zwei Tagen weg, aber andere hängen auch mal vier Monate oder noch länger. Das ist immer überraschend. Einmal habe ich gedacht, dass ein Bild sofort weg sein würde, weil in Uninähe so viele junge Menschen unterwegs sind. Das hing dann mit am längsten. Natürlich wünsche ich mir, dass die Werke so lange wie möglich zu bewundern sind, aber in dem Augenblick, in dem ich ein Bild in der Öffentlichkeit anbringe, ist es nicht mehr mein Eigentum, sondern das der Gesellschaft. Wie lange es hängt und wer es mit nach Hause nimmt, liegt nicht mehr in meinen Händen. Den Verlust akzeptiere ich, ist er doch ein Resultat des Umgangs der Gesellschaft mit ihrer Kunst.

Provozierst du diesen Verlust nicht auch, wenn du die Bilder auf Facebook postest und damit eine Schnitzeljagd inszenierst?
Beabsichtigt ist das jedenfalls nicht. Ich habe mir am Anfang vor anderthalb Jahren nicht so viele Gedanken darüber gemacht, ob das zu einer Art Sport führen könnte. Ich weiß auch nicht, ob es Leute gibt, die die Fotos auf Facebook sehen, den Ort erkennen und gleich losziehen, um das jeweilige Bild als Trophäe mit nach Hause zu nehmen. Gemeldet hat sich jedenfalls noch keiner, um mir zu sagen, dass mein Bild jetzt bei ihm im Wohnzimmer hängt.

Was für Reaktionen bekommst du denn von Menschen, die deine Werke entdecken?
Die meisten schreiben mir, dass sie ihnen gefallen. Manche bedanken sich, weil ich ein Werk an ihrer Fassade angebracht habe. Neulich schrieb jemand, der ein Bild an der Fassade vom Art Babel gefunden hat. Als er kurz darauf ging, kamen zwei Männer aus dem Art Babel gestürmt, um zu schauen, ob er das Bild auch ja hat hängen lassen.

Wie bist du auf die Idee gekommen, Originale in der Öffentlichkeit zu platzieren?
Als sich immer mehr Skizzen bei mir ansammelten und ich überlegte, was ich damit machen könnte. In der Form habe ich das, was ich tue, übrigens noch nie gesehen. Ich würde sagen, es ist eine Spielform von Street Art. Was mich unterscheidet: Für mich ist Kunst immer ein Original. Ich mag Schablonen-Graffiti sehr, aber sie sind nie Originale, da sie beliebig oft reproduzierbar sind und damit Dekoration. Das soll nicht abwertend klingen. Ich möchte bei meinen Werken aber den Kunstcharakter beibehalten, deswegen haben sie alle einen Namen.

Heute beginnt wieder die Urban Art-Messe „Stroke“ auf der Praterinsel. Wäre das ein Ziel für dich als Künstler?
Die „Stroke“ ist zwar sehr ambitioniert und publikumswirksam, aber sie ist trotzdem eine Messe und keine Ausstellung. Eine passende Galerie zu finden, die einen ausstellt, das ist nicht einfach.

Was denkst du über die Münchner Street-Art-Szene?
Allgemein gesprochen finde ich, dass sich München nur in der Quantität, nicht aber in der Qualität der Werke von Metropolen wie Paris, Berlin oder London unterscheidet. Aber ich möchte jetzt keinen Münchner Street-Art-Künstler als besonders gut herausheben. Ich kenne auch nicht alle, weil ich in der Szene gar nicht agiere.

Dabei warst du früher selbst ein Sprayer...
Die eine oder andere Erfahrung habe ich gesammelt, ich bin auch mehrmals erwischt worden. Geblieben ist mir bis heute die Affinität zur Straßenkunst.

Von Straßenkünstlern hört man oft, dass sie sich gedanklich von ihrem Graffito trennen, sobald es fertig ist – weil es schon am nächsten Tag übermalt sein könnte. Wie ist das bei dir?
Ich empfinde jedenfalls keinen Herzschmerz. Es sind ja keine Arbeiten, an denen ich tagelang sitze, sondern nur Skizzen und kleine Aquarelle, für die ich maximal eine Stunde brauche, die ich in einen günstigen Rahmen lege und mit einem gummiartigen Allzweckkleber aus dem Baumarkt an eine Fassade pappe.

Und das war's dann?
Das war's dann. Für mich ist es abgeschlossen, sobald das Bild hängt.


Text: thierry-backes - Fotos: peintre x

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