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"Für alle war diese Zeit die intensivste in ihrem Leben"

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jetzt.de: Ihr habt ein Buch über die Entstehungsgeschichte von Techno in Deutschland geschrieben. Was ist das Faszinierende an der Musik?
Felix: Wie bei nahezu allen Musikgenres gibt diese Flash-Momente. Bei mir war es 1992 der Besuch eines Techno-Clubs in München mit meinen coolen Cousinen aus Amerika. Ich war 15 Jahre alt, stand in diesem dunklen Club mit den flackernden Lichtern und der dumpfen Musik und habe gemerkt, dass das etwas vollkommen anderes ist als alles, was ich bisher kannte. Ich kann nicht sagen, dass es mir damals schon gefallen hätte, aber ich habe gemerkt: Das ist eine Subkultur, und ich bin gerade ein Teil davon. Irgendwie klang alles gleich, trotzdem hing aber eine ungemeine Spannung im Raum. Ich habe mich gewundert, wie man mit so wenig „Musik“ so viel Effekt erzeugen kann. Das erschien mir unfassbar radikal.

War es bei dir ähnlich, Sven?
Sven: Ich komme eigentlich aus der Punk/Hardcore-Ecke und habe Anfang der 90er-Jahre in einem ehemals besetzten Haus in der Rockerstadt Bremen gewohnt. Techno war damals der Feind. Irgendwann habe ich aber meine ideologischen Vorbehalte abgestreift und mich auf Exkursionen durch die Nacht begeben. In Bremen gab es allerdings keine Techno-Clubs, sondern eher Open-Air-Partys mit alternativem Goa-Publikum. Mich hat von Anfang an der soziale Aspekt auf dem Dancefloor interessiert. Dass es plötzlich vollkommen egal ist, wer du bist und wie du aussiehst. Das hatte schon etwas Hippiehaftes. Ich kam ja ursprünglich aus einer Ecke, in der es vor allem um Kampf und Abgrenzung ging. Und da war Techno mit seiner Offenheit und seinem verbindenden Element für mich eine vollkommen neue Erfahrung.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



In eurem Buch geht es auch um Techno und Politik. Zwei Dinge, die man nicht unbedingt zusammenbringen würde.
Felix: Der Anfang der kulturellen Erzählung der Techno-Szene fiel eben in die Zeit einer politischen Ausnahmesituation. Durch den Fall der Mauer ist ein Optimismus entstanden, der sich auch in der Rave-Szene gespiegelt hat. Alle hatten das Gefühl, Berge versetzen zu können – das hat die große Politik mit der kleinen Rave-Szene gemein gehabt.
Ihr habt mit vielen Akteuren von damals gesprochen. Wie habt ihr die erlebt? Freuen die sich immer noch darüber, damals dabei gewesen zu sein oder sind die eher gefrustet darüber, wie sich die Szene entwickelt hat?
Sven: Für alle war diese Zeit die intensivste in ihrem Leben. Es gab keinen, der das rückblickend als Zeitverschwendung ansieht. Aber natürlich gab es auch Leute, die sich Gedanken darüber gemacht haben, ob sie nicht ein paar Möglichkeiten verpasst haben. Jenseits von Hedonismus hat es Techno eben immer schon an Sendungsbewusstsein gefehlt. Mittlerweile gibt es daher einige, die sich rückblickend mehr Haltung innerhalb der Szene gewünscht hätten.
Felix: Ein Vorbild für unser Buch war „Verschwende deine Jugend“ von Jürgen Teipel über die Entstehungsgeschichte von Punk in Deutschland. Jürgen hat uns erzählt, dass die Punks, mit denen er gesprochen hat, viel frustrierter sind. Das liegt vermutlich daran, dass Techno immer einen lebensbejahenden und offenen Ansatz verfolgt hat, während Punk immer sehr widerborstig und ablehnend daherkam. Beim Techno hat man immer versucht, sich seine eigene Welt aufzubauen, während es im Punk eher darum ging, die alte Welt kaputt zu machen.

In der Öffentlichkeit genießt Techno keinen besonders guten Ruf und wird als stumpf und kalt abgetan, die Szene als drogenverseucht und dumm hingestellt. Was sagt ihr zu solchen Vorurteilen?
Felix: Techno hat eben keinen Text, daher wurde er schnell als Dummen-Musik hingestellt. Inga Humpe hat jedoch im Gespräch mal gesagt, sie hätte immer das Gefühl gehabt, um Techno verstehen zu können, sei eine Art Vorbildung nötig – und damit hat sie Recht. Denn der Prozess der Minimalisierung und Abstraktion ist tatsächlich nicht ganz einfach zu verstehen. Das Interessante an Techno ist ja, das er bewusst keine Message hat, dadurch aber auch viel zulässt. Gerade Ende der 80er- Jahre, als es vor allem um Abgrenzung ging, war dieses Wegsprengen von auferlegten Inhalten eine extreme kulturelle Leistung.

Warum war es ausgerechnet Techno, der damals zum Soundtrack des wiedervereinten Berlins wurde?
Felix: Dass der Mauerfall und die aufkeimende Techno-Bewegung zeitlich zusammenfielen, war purer Zufall. Dass Techno aber ausgerechnet in Berlin so einschlägt, ist nicht mehr so zufällig, denn da kommen mehrere Punkte zusammen: Zum einen gab es diese tollen Party-Locations aus leerstehenden Gebäuden, zum anderen war die Musik sowohl für die Westler als auch die Ostler etwas Neues, was beide Seiten gemeinsam entdecken konnten. Hinzu kam, dass es beim Techno keine Hemmungen mehr gab. Man konnte mit jedem kommunizieren und es war vollkommen egal, woher jemand kam. Solange man gemeinsam auf dem Dancefloor stand, war die zwischenmenschliche Welt in Ordnung.

Ihr vergleicht im Buch auch Ost und West miteinander. Worin bestanden die größten Unterschiede und erstaunlichsten Ähnlichkeiten?
Sven: Die erstaunlichste Ähnlichkeit ist die, dass Mitte bis Ende der 80er auf beiden Seiten der Mauer gar nichts mehr ging. Da herrschte bleierne Langeweile. In Westberlin Post-Punk-Heroin-Starre und in Ost-Berlin lag der reale Sozialismus danieder. Selbst wenn die Lebenswelt eine andere war, die Gefühlswelt war gar nicht so verschieden.
Felix: Wir haben aber den Eindruck, dass Techno bei den Ostdeutschen auf viel mehr Begeisterung gestoßen ist, und das zieht sich bis heute durch. Ich glaube, das liegt zum einen an der starken Breakdance-Bewegung im Osten, die dadurch zustande kam, dass der „Beatstreet“-Film dort im Kino gezeigt wurde und es dadurch bereits erste Kontakte mit elektronischen Klängen und synthetischen Sounds gab. Und zum anderen an dem rauschhaften Erleben des Mauerfalls und dem Gefühl, das plötzlich alles möglich ist – im Zusammenhang mit der Musik bildet sich dadurch natürlich ein starker Mythos.

Welches sind die derzeit spannendsten Entwicklungen der Techno-Metropole Berlin?
Felix: Es passieren immer noch viele spannende Sachen wie die Wald-und-Wiesen-Raves, die spontan irgendwo stattfinden und ein bisschen dieses Gefühl von damals zurückbringen. Die bilden einen Gegenentwurf zu den durchbürokratisierten Exzessen in Clubs wie dem Berghain, wo es diese spontanen Momente eben nicht mehr gibt – obwohl es immer noch toll ist, wenn man dort ist.
Sven: Wobei selbst diese Partys mittlerweile einem etablierten Modell folgen, sodass der überraschende Moment vor allem der ist: Kommt die Polizei oder nicht.

„Der Klang der Familie“ von Felix Denk und Sven von Thülen ist bei Suhrkamp Nova erschienen.



Text: daniel-schieferdecker - Foto: Willem Thomson

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