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"Das ist gut, weil es nicht so süß ist."

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Es ist verblüffend, welch hoher Verbreitung sich dieses Geschmacksurteil heute erfreut, meistens angesichts von frisch angelöffelten Desserts. Es soll ein Lob sein. Offenbar herrscht weltweit große Einigkeit darüber, dass Süßes bisher zu süß war und man nun dankbar dafür sein muss, wenn es einmal nicht so süß ist wie erwartet. Wäre diese weitverbreitete Abscheu schon früher bekannt geworden, ganze Hundertschaften von Zuckerrüben-Bauern könnten heute an der Entwicklung von Elektroautos forschen oder Servicepartner der Deutschen Bahn sein und müssten nicht immer noch Zuckerrüben anbauen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Aber der Trend kommt erst jetzt langsam ans Licht, noch gibt es kein Kochbuch mit Titel: „Die neue Dessertküche, alles nicht so süß.“ Aber man kann den Effekt und den Hauptsatz natürlich relativ leicht herbeiführen, indem man beim Dessertieren einfach 70 Prozent weniger Zucker benutzt als vorgesehen. Schon hat man erfrischend unsüße Marmelade, Kuchen und Schokopuddings und die Gäste werden erwartungsgemäß trillern. Der Trick funktioniert natürlich nur bei Speisen, die aussehen als wären sie süß. Angesichts eines Wurstbrotes würde ja niemand sagen: „Das ist gut, weil es nicht so süß ist.“ obwohl es inhaltlich nichts an dieser Feststellung auszusetzen gibt. Beim Hauptgang findet sich bisweilen eine ähnliche Konstruktion mit „Das ist gut, weil es nicht so scharf ist.“, und bei Alkoholika sagt man zu nicht allzu vorgerückter Stunde, etwas wäre angenehm, weil es nicht so stark ist. 

Für meine Oma wäre der Satz angesichts ihrer Sachertorte jedenfalls noch kein Kompliment gewesen, die hätte gesagt: „Jessasnah, hab’ ich etwa den Zucker vergessen?“ Aber in ihrer Generation war richtig süß vielleicht auch noch gleichbedeutend mit richtig gut. Heute ist die wirklich süße Süßspeise eher ein Synonym für billig, ordinär und rosafarbene amerikanische Massenkultur. Es ehrt den Satz-Benutzer deswegen ein klitzebisschen, wenn er klar machen kann, dass er gerade darauf eigentlich nicht steht. So ähnlich wie er vielleicht auf die Feststellung Wert legt, dass er das Gedudel im Radio eigentlich nicht mehr ausstehen kann. Komisch wird es nur, wenn der Satz in die Nähe eines vergifteten Kompliments rückt, wenn also eigentlich alles sehr süß sein sollte. Dann klingt der Hauptsatz für den Zuckerbäcker so ähnlich wie der Kommentar „Schön, du hast dir auch ganz bequeme Kleidung angezogen!“ für jemanden klingt, der sich gerade nach besten Kräften in Schale geworfen hat.

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