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Platten drehen für den Wohnzimmer-Dancefloor

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Wie ist es für einen DJ, statt für eine tanzende Menge im Club für ein unsichtbares Publikum hinter einer Webcam aufzulegen? Ein Besuch im Studiokeller des DJ-Duos „Cat People“, das alle zwei Wochen zu den „Fundament Sessions“ einlädt:

Donnerstag Abend, 21 Uhr, ein kleines Studio in einem Keller in Schwabing. Der Rauch von Zigaretten hängt in der Luft, ein junger Mann mit dunklen Haaren steht hinter zwei Plattenspielern, vor ihm an der Wand ist eine Webcam angebracht. Er steht aber nicht allein zwischen lauter DJ-Equipment und Studiokrusch: Um ihn herum fläzen sich noch ein paar andere Typen auf Drehstühlen, produzieren den Zigarettenrauch, reden wenig und beobachten konzentriert: Die 14. Ausgabe der „Fundament Sessions“ beginnt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Der Typ hinter den Plattentellern ist Danny Zaster, einer der aufmerksamen Beobachter nennt sich Jaecki Zucker, zusammen sind sie das DJ-Duo „Cat People“. In Münchner Clubs und anderswo legen sie, nicht ausschließlich, aber am liebsten, UK-Bassmusik auf. Seit letztem Jahr laden sie sich alle zwei Wochen jemanden aus der Münchner DJ-Szene in ihr Studio ein, um ein gemeinsames Set zu spielen. Nicht für Menschen auf einer Tanzfläche vor ihnen, sondern für die Webcam. Die Idee haben sie vom Londoner „BoilerRoom“ übernommen.

„Wir wollen gerne zeigen, was es alles Tolles an elektronischer Musik in München gibt“, erzählt Jakob. „Außerdem können wir so mit all den DJs gemeinsam auflegen, mit denen wir immer schon mal zusammen arbeiten wollten.“ Mit ihrem heutigen Gast haben Jakob und Daniel, wie die „Cat People“ im echten Leben heißen, eine Ausnahme gemacht: DJ Gimmix vom Label Audiolith ist nur zu Besuch in der Stadt. Ansonsten sind noch ein paar Freunde aus der Münchner Clubszene da. Die wenigen Gespräche pendeln hin und her zwischen Fachsimpelei über elektronische Musik und einer mit einigem Ernst geführten Diskussion über die beste „Bravo Hits“.

„Was ich mag, ist, dass wir hier auch mal Unzugänglicheres spielen können als in einem Club, es muss uns ja niemand zuhören“, sagt Jakob. Die Abrufzahlen des Streams sind allerdings im Laufe der Zeit gestiegen, und besonders unzugänglich sind die Tracks nicht. Zuerst hielt sich Jakob noch mit zuckenden Füßen auf seinem Stuhl, inzwischen tanzt er aufgekratzt durchs Studio.
 
Dafür machen sich die drei als Livestream-DJs offensichtlich mehr Gedanken über die eigene Optik als im Club. Immerhin werden sie gerade für die Ewigkeit auf Video festgehalten: „Verdammt, ich sperre ja immer den Mund auf“, stellt Olli alias Gimmix nach einem Kameracheck fest. Jakob erzählt ihm daraufhin, dass er immer darauf achtet, ein helles Oberteil anzuziehen. „Sieht geiler aus vor dem dunklen Hintergrund.“

Als sie um elf Uhr die Kamera ausschalten, wirken alle drei DJs sehr glücklich. Klar, hat heute ja auch niemand gefragt, ob sie mal was von David Guetta spielen können.
 
juliane-frisse

Auf der nächsten Seite liest du, wie es Nadja beim Home-Clubbing vorm Livestream der Fundament Session ergangen ist.



Stellt sich auch daheim ein Ausgehgefühl ein, wenn man sich DJs per Livestream in die WG holt? Die „Fundament Sessions“ aus der Bildschirm-Perspektive:

Eine richtige Party steigt zwar nicht bei mir, aber immerhin habe ich Wein gekauft und mir einen Home-Clubbing-Partner eingeladen. Alleine trinken und Club-Musik hören macht bestimmt keinen Spaß. Ob wir auch tanzen werden? Wer weiß.

Um 20.55 Uhr ist der Wein offen und wir sitzen an einem Ort, der so gar nicht partytauglich ist: Auf dem Bett. Aber da muss das Notebook nun mal hin, wenn ich es an die Boxen anschließen will, denn weiter reicht das Kabel nicht.

Das Set beginnt pünktlich nach einem Werbespot. Der Stream läuft einigermaßen glatt, das Bild ist okay, der Ton sehr gut (mal abgesehen von allem, das durch das Mikrofon gesprochen wird). Die Kamera ist genau am DJ-Pult, dahinter der DJ bei der Arbeit. Noch weiter hinten sitzen ein paar Menschen, trinken Bier und rauchen. Der Hang zum Voyeurismus wird so auf jeden Fall bedient. Ansonsten passiert erst einmal nicht so viel. Die Musik ist noch in der Aufwärmphase und sehr angenehm.

Um 21.06 Uhr erschrecken wir. Denn der Stream wird von einem Werbespot unterbrochen. Und wie im Fernsehen ist die Werbung ungefähr doppelt so laut wie das Hauptprogramm. Das wäre im Club nicht passiert. Vor Ort im Studio ist es natürlich auch nicht passiert. Im Hintergrund wird weiter geredet, getrunken und geraucht, schließlich sogar ironisch getanzt.
 
Bis um 21.30 Uhr der DJ wechselt, kommt etwa alle sechs Minuten Werbung. Während sich die Musik sonst gut eignet, zu plaudern und zu trinken, und sich bei etwas partymäßigerem Ambiente als es in meinem Zimmer herrscht, auch zum Tanzen eignen würde, sind die Unterbrechungen doch sehr unangenehm.

Der neue DJ macht mehr Tempo. Die Werbepausen sind seltener geworden und die Lust, noch auszugehen größer. Um 22 Uhr gibt es den nächsten DJ-Wechsel. Ich kann Juliane sehen und finde es in meiner Weinseligkeit lustig, ihr eine SMS mit genau dieser Erkenntnis zu schreiben, um zu sehen, wie sie die Nachricht liest.
 
Ab etwa zwanzig vor elf mischt der DJ plötzlich Destiny’s Child und Britney Spears in sein Set. Um 23 Uhr wird abmoderiert und es gibt noch eine Zugabe. Den größten Effekt spüre ich dann tatsächlich, als es vorbei ist: Auf einmal ist es leise und man fällt in ein ähnliches Loch wie wenn man einen Club oder eine Party verlässt. In sehr abgeschwächter Form zwar, aber immerhin, das haben sie hingekriegt. Die Euphorie fährt runter und macht dieser eigenartigen Es-ist-vorbei-Melancholie Platz.

Der Livestream der Fundament Sessions ist wohl vor allem etwas für Kenner, die DJs gerne bei der Arbeit zuschauen oder für jemanden, der einen bestimmten DJ besonders mag, dessen Stream er sich dann anschaut und -hört. Immerhin laden sich die Fundament Sessions ja keine Unbekannten ein. Ansonsten funktioniert das Konzept zwei Stunden DJ-Set frei Haus sicher auch sehr gut als musikalische Untermalung für ein gepflegtes Vorglühen. Da sollte man aber eher auf die schon gelaufenen Fundament Sessions zurückgreifen. Denn man kann sich sämtliche Sets auch nachträglich noch anhören. Und zwar werbefrei.

nadja-schlueter

Text: nadja-schlueter - und Juliane Frisse

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