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Kant hätte die Piraten gewählt

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Es war der 3. Dezember, als Marina Weisband in die Welt der Polit-Celebritys eintrat. Damals hielt sie eine Rede beim Bundesparteitag der Piraten in Offenbach, dem ersten nach der Berlin-Wahl. Weisband heizte den 1200 Gästen ein: „Wir sind eine Bewegung, die für eine Idee steht“. Die Idee lieferte sie gleich mit: „Wir können uns darauf einigen, dass wir wollen, dass der Mensch frei ist, weil er dann glücklich ist.“ Aber ausgerechnet von der Freiheit haben die Piraten angeblich keine Ahnung – das schreibt jedenfalls Dirk Kurbjuweit im aktuellen Spiegel.

Das ist ein harter Vorwurf, vermutlich der härteste, den man den Piraten machen kann. Wollen sie doch seit Monaten deutlich machen, dass sie keine Internet- sondern eine Freiheitspartei sind. Wenn sie aber davon nichts verstehen würden, wären sie eine ziemlich schlechte Partei, so als hätten die Grünen keinen Plan von Umweltpolitik.



Aus Kurbjuweits Sicht bedrohen die Piraten mit der Freiheit auch die Grundwerte unserer liberalen Gesellschaft. Die Piraten setzen angeblich die Ideen der Aufklärung und der französischen Revolution aufs Spiel, also zum Beispiel Freiheit, Leben, Eigentum.

Wie kommt er dazu? Beispiel Eigentum, genauer geistiges Eigentum: Dass man einem Menschen nicht einfach sein Eigentum abnehmen darf, auch wenn man zufällig Staatschef ist, das ist eine Errungenschaft der Republik. Deshalb nennt die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789 „Freiheit, Eigentum, Sicherheit und Widerstand gegen Unterdrückung als gleichrangige Werte.“
Aus Kurbjuweits Sicht wollen die Piraten dieses Grundrecht einschränken. Sie wollen ja erlauben, dass man zum Beispiel einen Song zum Herunterladen ins Netz stellen und anderen somit zugänglich machen darf. Damit schränke die Piratenpartei das Grundrecht der Kreativen ein, ihr Eigentum so zu verwalten, wie sie es richtig finden.

Kurbjuweit versäumt aber zu erklären, was die französischen Revolutionäre mit dem Recht auf Eigentum eigentlich erreichen wollten. Es ging ihnen ja nicht in erster Linie darum, dass jeder zu großem Reichtum kommt. Sie wollten vor allem dem Adel die Sonderrechte abnehmen. Alle sollten vor dem Gesetz gleich sein. Deshalb haben sie den Adel auch enteignet und den Besitz unter den Bürgern aufgeteilt. Sie wollten eine Gesellschaft, in der es keine Eliten gibt und jeder sich frei entfalten kann. Und damit sind wir wieder bei der Piratenpartei.

Vielleicht kann man einigen Piraten vorwerfen, dass sie vor allem kostenlos Musik hören und Filme gucken wollen. Aber was dann als Programm zum Urheberrecht herauskommt, ist etwas anderes, etwas, das weit über solche pubertären Spielereien hinausgeht.

Den Piraten geht es um den Ausbau der Wissensgesellschaft. Die Piraten wollen, dass jeder Bürger an politischen Debatten und Sachfragen teilhaben kann. Jeder soll sich eine Meinung bilden und Gesetze mitgestalten können, durch Kritik oder Vorschläge. Damit das funktioniert, müssen Menschen möglichst leicht an Informationen herankommen.

Es gibt Beschränkungen im Urheberrecht, die dem Aufbau der Wissensgesellschaft im Weg stehen. Etwa die Regel, dass das Urheberrecht erst 70 Jahre nach dem Tod eines Autors abläuft. Deshalb bestimmt heute Johanna Schall, die Enkelin von Bertolt Brecht, wie seine Stücke in deutschen Theatern aufgeführt werden.

Wenn es also Reformen geben sollte, die zum schnellen Austausch von Wissen führen – natürlich ohne die Produktion von Wissen unmöglich machen – dann ist das durchaus im Sinne der Aufklärer. Genau genommen geht es dabei sogar um die Aufklärung selbst. Kant hat sie so definiert: Die Bürger müssten sich aus ihrer „selbstverschuldeten Unmündigkeit befreien“, sie sollen selber denken, damit das nicht andere für sie tun. Würde Kant heute leben, vielleicht würde er die Piraten wählen. Denn damit jemand sich selbst ein Urteil bilden kann, muss er Zugang zu Informationen haben – im Übrigen auch darüber, was ein Politiker tut. Deshalb ist das Urheberrecht ja auch nur ein Lieblingsthema der Piraten. Sie wollen auch, dass Politiker transparenter arbeiten. Wenn der Staat einen Auftrag vergibt, dann sollen alle sehen können, welche Angebote er ausgeschlagen hat. Das würde gegen Vetternwirtschaft helfen, vor allem aber dazu führen, dass Politiker und Bürger sich mehr auf Augenhöhe begegnen könnten.
 
Es mag paradox klingen, aber indem die Piratenpartei eine Errungenschaft der französischen Revolution – jedenfalls in ihrer heutigen Ausprägung – in Teilen rückgängig macht, trägt sie deren Ideen in die Gegenwart.

Text: fabian-mader - Foto: dapd

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