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Ist das noch Punkrock?

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 jetzt.de: Bela, womit verschwendest du deine Zeit?
  Bela B.: Der größte Zeitverschwender – das ist natürlich nicht neu – ist der Computer. Und das Internet. Es ist so einfach, in irgendwelche Welten abzudriften, seien es YouTube-Videos oder nur das ziellose Herumgooglen. Das macht jeder von uns jeden Tag. Und das ist etwas, wofür ich mich am Ende eines Tages manchmal verachte. Weil ich damit tatsächlich Zeit verschwendet habe.
 
  Und in welchen Momenten sagt dir jemand anderes, du würdest deine Zeit mit etwas verschwenden, aber du findest gar nicht, dass du sie damit verschwendest?
  Nur wenige Leute verstehen meine Vorliebe für B-, C-oder gar Z-Movies. Sie halten es für Zeitverschwendung „Mega Shark vs. Giant Octopus“ anzuschauen, ich nicht.
  
  Auf dem neuen Album gibt es den Song „zeiDverschwÄndung“. Darin singst du: „Es gibt so viel zu sehen, es gibt doch so viel zu lernen, hast du nichts Besseres zu tun, als die Ärzte zu hören.“ Ist das nur Selbstironie – oder steckt tatsächlich eine Mahnung dahinter?
  Zum einen ist es natürlich Selbstironie. Aber zum anderen stimmt das auch so! Zwei aus der Band gehen jetzt stramm auf die 50 zu und fühlen sich langsam ein bisschen alt, um die großen Rebellenvorbilder zu sein. Wir sind zwar der Meinung, dass wir uns mit jeder Platte neu erfinden und immer wieder mit Ideen aufwarten, die zumindest wir vorher noch nicht hatten. Und wir freuen uns natürlich über die Legionen von Teenagern, die uns neu für sich entdecken, aber ein bisschen wundert es mich schon. Deshalb habe ich diesen Text geschrieben. 
  
  Hast du in deiner Jugend keine älteren Bands gehört?
  Ich komme ja noch aus den Zeiten, in denen Musik dich wirklich verändert und deine Adoleszenz geprägt hat. Klar habe ich damals auch die Rolling Stones für mich entdeckt, die waren zu der Zeit in unserem jetzigen Alter. Aber ansonsten habe ich doch nur Bands gehört, die vielleicht maximal zehn Jahre älter waren als ich. Etablierten älteren Musikern habe ich misstraut.
  
  Wie ist es mit den langjährigen Ärzte-Anhängern: Gibt euch deren ständiges Gefolge eher ein Gefühl von Sicherheit, oder kommt euch das unheimlich vor?
  Wir freuen uns über die alten Gesichter wie über die neuen. Sicherheit geben wir uns aber hauptsächlich gegenseitig. Auf Nummer Sicher gehen wir eher selten.

   Seltsames Gefühl, dass egal was man macht, es auf jeden Fall gekauft wird?
  Na ja, ganz so ist es auch nicht. Ich weiß ja, dass dieses Album ein Knaller ist, und dass sich selbst die Leute, die am Anfang noch skeptisch sind, irgendwann abgeholt fühlen werden. Aber zum Beispiel bei der Wahl der Single gehen wir schon auch mal ungewöhnliche Wege. Der Song „zeiDverschÄndung“ ist jetzt als erste Single ungewöhnlich, nicht nur, weil es ein Song von mir ist, sondern auch, weil er nicht so typisch Die Ärzte ist. Wir lieben es zu überraschen und zu verwirren.

  Welche Auswirkungen hat denn der anhaltende Erfolg auf deine Motivation vor einem neuen Album? Willst du immer mehr, oder denkst du dir auch, jetzt könnte man es lockerer angehen?
  Wir halten uns ganz gut auf dem Boden. Außerdem habe ich so viele Freunde, auf die das Glück nicht so sehr scheint, wie auf mich. Auch die halten mich auf dem Boden. Ich weiß, das klingt immer wahnsinnig unglaubwürdig und unsympathisch, wenn jemand, der so erfolgreich ist, dann sagt: Ich bin ganz normal geblieben! 
 
  Kam euch zwischendurch denn mal die Angst, da hin zu kommen, wogegen ihr viele Jahre angespielt habt – zum Mainstream?
  Das kann durchaus sein, ja. Wir haben uns ja auch vielen Sachen versagt. Wir sind nie auf eine „Echo“-Verleihung gegangen und meiden Preisverleihungen sowieso. Wir wollen uns da eher absondern und suchen nicht den Schulterschluss mit anderen Musikern. Wir wollen völlig autark in unserem eigenen Saft schmoren, dadurch bewahren wir uns vor vielen Dingen. 
    
  Einmal fragt Farin Urlaub auf dem neuen Album dennoch: „Ist das noch Punkrock, wenn euer Lieblingslied in den Charts ist?“ 
  Das ist doch zuallererst eine wunderschöne Popzeile. Ich meine, wir standen ja schon kurz nach der Gründung der Band im Besetzereck in Kreuzberg auf der Bühne vor 50 Leuten und haben denen erzählt, dass wir auf „Bravo“-Postern abgebildet wären. Schon damals haben wir ihnen gesagt: Achtung, wir sind anders! Wir sind der schlimme Kommerz, wir sind kein Schweinepunk! Die Qualität der Selbstironie war damals genau die gleiche wie heute. 

  Also ist das jetzt noch Punkrock?
  Wir nehmen uns selbst nicht so ernst und machen eigentlich immer nur das, was wir selbst wollen. Das sind ja schon zwei Ideale, die für mich Punkrock ausmachen.
  
  Nach dem Song „Lass die Leute reden“ aus 2007 versucht ihr diese Ideale jetzt in „Das darfst du“ zu vermitteln. Gebt ihr jetzt öfter gute Ratschläge?
  Das ist die große Angst bei uns. Wir waren schon in unserer Kindheit in den 70ern davon abgeschreckt, als dir jeder Deutschrocker gesagt hat, wie du dein Leben zu leben hast. Und als die Punks dann auch noch damit anfingen, diese immergleichen Themen herauszubrüllen, haben wir Die Ärzte gegründet. Politisch geäußert haben wir uns in der Musik erst nach unserer Wiedervereinigung (1993; Anm.d.Red.), und auch dann blieb es immer ein Drahtseilakt, denn Ratschläge geben ist etwas, was wir ja eigentlich gar nicht wollen. Für „Das darfst du“ fand ich es jetzt allerdings passend. Ich hatte den Aufsatz „Empört euch!“ von Stéphane Hessel gelesen, einem Zweiter-Weltkriegsüberlebenden, der im Widerstand gegen die Nazis war und kurz vor seinem Tod noch mal die jungen Menschen aufrufen und sagen wollte: Leute, nicht immer nur konsumieren, Internet und Kabelfernsehen – regt euch mal auf! Diesen Aufsatz fand ich packend. Ich bin ein bisschen stolz auf diesen Song, aber wenn wir eine ganze Platte voller Parolen hätten, dann wären wir nicht Die Ärzte.



Text: erik-brandt-hoege - Foto: Nela König

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