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Fremd im Weserbergland

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Diese Woche titelt der Spiegel mit einer ganz besonderen Geschichte: Heimat. Weil das Thema so viele Facetten hat, reicht dafür natürlich nicht ein Aufmacher, sondern es müssen 14 verschiedene sein. Mal sieht man Heidelberg, dann den Berliner Mauerpark oder den Loreley-Felsen am wunderschönen Mittelrhein. Da soll Deutschland bekanntlich am deutschesten sein. Schon diese Meta-Cover-Story des Nachrichtenmagazin verdeutlicht: Heimat ist eher etwas Regionales und weniger eine nationale Definition der Herkunft. Klar. Ich bin deutsch. Deutschland ist sozusagen eine Art heimatliche Obermenge. Doch im Grunde ist Heimat eben lokal begrenzt und nicht eine gleichschmeckende National-Soße. Heimat ist zunächst Emsland, Allgäu oder Helgoland. Dann – vielleicht – ein eher theoretisches Konstrukt wie ein Nationalstaat.

Mir wurde dies wieder bewusst, als ich vor kurzem in der Eifel war. Die Menschen sprechen dort einen speziellen Dialekt, der zum Moselfränkischen gehört. Ein rheinisch inspirierter Sing-Sang mit Hang zur Verniedlichung. Selbst ein Wort wie „Hämorrhoiden-Creme" hört sich auf Eifelisch irgendwie nett an. Meinen Opa habe ich nie verstanden, wenn er mit mir auf Platt sprach. Vor allem dann nicht, wenn er was getrunken hatte. Ich kam mir daher mit meinem Hochdeutsch immer Fehl am Platze in der Heimat meiner Mutter vor. Denn sie war nicht meine. An die Stadt, in der ich geboren wurde, habe ich keine Erinnerungen. Sie heißt Bückeburg und liegt zwischen Hannover und Minden am Rande des Weserberglands. Die Stadt kennt eigentlich niemand. Fast. Vor Jahren zelebrierte der Journalist Matthias Kalle seinen Abschied aus Berlin in einer Kolumne. Dort beschrieb er seine Rückkehr aus der Großstadt zurück in die Provinz: nach Bückeburg. Er versuchte, Vorzüge zu finden und zu erklären, was ihn ans Ende der Welt zurücklockte. Eben auch die Heimatverbundenheit, die alten Freunde, die Vertrautheit. Heute lebt Kalle wieder in Berlin. So weit ich das mitbekommen habe, war Bückeburg dann doch nicht so knorke und er in wenigen Wochen wieder in Berlin.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Wie gesagt: Ich kenne Bückeburg nicht. Da wird es eine Fußgängerzone mit den üblichen Geschäften geben – wahrscheinlich jetzt ohne den örtlichen Schlecker. Die Jugendlichen müssen per Auto zur nächsten Großraumdiskothek, die wahrscheinlich bei Minden liegt. Oder sie fahren gleich nach Hannover. Die Menschen dort sind froh, nicht dem Trubel einer Metropole ausgesetzt zu sein, jammern aber ab und an gerne über ihre eigene Provinzialität. Kann sein, dass es so ist. Oder auch nicht. Ich habe jedenfalls keine bewusste Erinnerung an die Stadt. Als erstes kann ich mich an Celle erinnern. Celle wurde berühmt durch ein Loch, das in eine Gefängnismauer gesprengt wurde: das Celler Loch. Für mich erlangte die Stadt Berühmtheit durch den großen Baum, der bei uns im Garten stand. Wenn ich darauf herumkletterte, war ich immer über und über mit Harz verschmiert. Zur Freude meiner Mutter. Ich mag den Geruch von Harz heute noch. Er erinnert mich immer an meine Kindheit. Meine Angst herunterzufallen, aber auch das tolle Gefühl, sich zu überwinden und immer höher zu klettern. Der schöne alte Baum wurde übrigens nach unserem Auszug vom neuen Besitzer einfach abgeholzt. Er ist gestorben und damit auch ein Stück persönliches Heimatgefühl.

Denn danach bin ich noch oft umgezogen. In Heidelberg begann ich nach einiger Zeit, ernsthaft „gell" ans Ende von Sätzen zu setzen. Diese Angewohnheit behielt ich noch einige Jahre bei – in Hamburg sorgte das für Belustigung. Im Emsland besuchte ich oft Schützenfeste und lernte das Prinzip „hemmungsloses Landbesäufnis" aus nächster Nähe kennen. Ich merkte auch, dass mittelgroße Städte wie Rheine schlimmer sind als Dörfer: Die versuchen die Großstadt zu imitieren, was immer peinlich endet. An jedem Ort, an dem ich neu lebte, musste ich von Einheimischen Dinge neu lernen. Als ich nach Berlin zog, bestellte ich morgens in einer Bäckerei Brötchen. „Dit heest Schrippen" korrigierte mich die Verkäuferin. Dabei hatte ich doch gerade erst in München gelernt, dass man Semmeln dazu sagt. Also sagte ich brav: „Ich hätte gerne vier Schrippen." Woraufhin die Bäckereifachverkäuferin rotzig-berlinerisch nachhakte: „Ost- oder West-Schrippen?" „Was ist denn der Unterschied?" „Ost-Schrippen sind länglich und West-Schrippen sind rund und uffjeblasen. Wenn de se uffschneidest ist innen drin nur heeße Luft – wie bei den Wessis." Heimat ist eben nicht nur Brötchen. Heimat ist Semmeln oder Schrippen. Manchmal sogar Ost- oder West-Schrippen.

Dieses Jahr will ich in einer Woche alle Orte abfahren, in denen ich einmal gewohnt habe: Berlin, Hamburg, München, Heidelberg, Celle, Münster, Handorf, Rheine, Bonn, Hannover – und Bückeburg. Ich möchte sehen, wo ich herkomme. Klar ist: Ich werde keine Heimat finden. Keine Heimat jedenfalls, die mit Dingen verbunden ist wie Dialekt, lokalen Gerichten oder Freundschaften, die in der Kindheit begannen. Diese Heimat werde ich nie mehr haben. Manchmal macht mich das traurig. Ich würde gerne wie meine Mutter plötzlich von Hochdeutsch auf Eifeler Platt umschalten. Oder wie andere sagen können: „Den kenne ich schon aus dem Kindergarten." Das habe ich nicht. Ich bin Deutscher, aber ich bin entwurzelt. Im Grunde bin ich nicht ein Spiegel-Titel sondern viele: das Heidelberger Schloss, der Prinzipal-Markt in Münster oder die Reeperbahn in Hamburg. Nur zeigen die nicht meine Heimat, sondern Orte, an denen ich einmal zuhause war. 

Text: alf-frommer - Foto: dpa

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