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"Hauptsache Dschihad"

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jetzt.de: Die Ereignisse in Toulouse haben deinem Buch "Jung, deutsch, Taliban" eine traurige Aktualität beschert. Denn was bisher über Mohamed Merah, den dortigen Attentäter bekannt ist, ähnelt den Geschichten von radikalisierten Islamisten aus Deutschland, oder?
Wolf Schmidt: Ich bin bei solchen Fällen vorsichtig mit Ferndiagnosen, vor allem direkt nach so einem Attentat. War er wirklich in einem Ausbildungslage, wie lange und wie fest war er dort ein eine Gruppe eingebunden? Das sind alles Fragen, die noch nicht abschließend geklärt sind. Aber es stimmt: Wenn man sich anschaut, was über seinen Werdegang bekannt ist – er ist mit dem Gesetz in Konflikt geraten, war offenbar in salafistischen Zirkel unterwegs – ist das nicht weit von dem entfernt, was man über die deutschen Dschihadisten weiß, die ich in meinem Buch beschrieben habe.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Dschihadisten wie diese sind Vorbilder für junge Radikale aus Europa. Um in den heiligen Krieg zu ziehen, reisen sie in Terrorcamps in Waziristan.

Masked islamic Jihad militants with their weapons participate in an Islamic Jihad rally in the east of

Kann man so etwas wie Faktoren benennen, die dazu führen, dass sich jemand so radikalisiert, dass er bereit ist, für den Dschihad zu sterben?
Alle Experten sind sich mittlerweile einig, dass es nicht das eine Profil eines islamistischen Terroristen gibt. Weniger denn je sogar. In Deutschland gibt es da Migranten in zweiter oder dritter Generation, es gibt aber auch „Urdeutsche“. Die heißen nicht Yassin oder Mohammed, sondern Daniel oder Stefanie. Der Hintergrund ist also sehr heterogen. Trotzdem begegnet einem ein bestimmter Typus recht häufig: Im Leben gescheitert, Kriminalität, Drogen, zum Teil auch Gefängnisaufenthalt, auch geschiedene oder gar gewalttätige Eltern. Meistens gibt es an einem bestimmten Punkt einen radikalen Bruch mit dem bisherigen Leben, und die jungen Leute geraten in salafistische Zirkel hinein. Wobei natürlich nicht jeder Salafist mit einem Fuß im Terrorismus steht.

Das Verstörende ist ja, dass diese Leute so wahnsinnig jung sind. Die meisten sind Anfang 20, manchmal sogar noch Teenager. Wie kommt das?
Es handelt sich tatsächlich vor allem um eine Bewegung der wütenden jungen Männer. Die geraten mehr oder weniger durch Zufall in diese Szene, in vielen Fällen hätte es genauso gut Scientology oder die NPD sein können. Es gibt in der militanten Szene ein Haupterzählung, die verkürzt so lautet: „In Irak, Afghanistan und Palästina werden die Muslime geknechtet und bekriegt.“ Diese Erzählung wird verstärkt mit Bildern oder Videos von angeblichen oder echten Gräueltaten des Westens. Anscheinend haben diese jungen Leute noch ein anderes Wutpotenzial als manche ältere, oder befinden sich an einer Stelle des Erwachsenwerdens, an der sie für so eine Mischung aus Anti-Imperialismus und pseudoreligiösem Wahn empfänglich sind.

Was suchen diese Jugendlichen in den islamistischen Gruppen? Aufmerksamkeit? Anerkennung?
Es gibt einige, die aus Rebellion die radikalste und verstörendste Gegenbewegung wählen, die es gibt. Vielen gibt ihr Tun sicher auch ein Gefühl von Bedeutung. Wenn man jemanden bedroht und dann das ganze Land Kopf steht und Angst vor einem Anschlag hat wie im Herbst 2010, als Innenminister de Mazière eine Terrorwarnung herausgegeben hat und der Reichstag monatelang mit Gittern abgesperrt war. Vorher war man ein Niemand, dann taucht man in den Abendnachrichten auf. Ich glaube, dass diese Aufmerksamkeit für manche von Bedeutung ist Es gibt aber auch Leute, die nicht vom Rand der Gesellschaft kommen. Unter den deutschen Auswanderern nach Waziristan (das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet, Anmerkung der Redaktion) waren auch junge Frauen, die erfolgreich waren, in Ämtern gearbeitet oder Zahnmedizin studiert haben. Da tut man sich mit Erklärungen schwer.

Frankreich ist bislang von solchen Anschlägen verschont geblieben. Du schreibst, dass aus Deutschland im Vergleich zu anderen Europäischen Ländern viel mehr Jugendliche nach Waziristan reisen, um sich militanten Islamisten anzuschließen. Warum ist Deutschland so ein Nährboden?
Es gab zumindest in der Phase von 2006 bis 2011 größere Reisewellen in Deutschland. Jetzt hat das ein klein wenig nachgelassen, weil der Druck durch die Drohnenangriffe dort enorm gestiegen ist. Es gibt aber nach wie vor Leute, die dorthin gehen oder dort sind. Es ist schwer, da Zahlen zu nennen. Manche sagen, dort sind noch ungefähr zwei Dutzend Deutsche.

Und warum Deutschland?
Da muss man ein bisschen ausholen. Es gab die Terroristen von 9/11, das waren Leute, die wenige Jahre hier waren, aber aus arabischen Ländern kamen. Dann hat sich was verändert, das erste Beispiel war die Sauerlandgruppe. Das waren Konvertiten, nach außen hin aus guten Elternhäusern. Inzwischen ist der Dschihad längst deutsch geworden.

Inwiefern?
Seit 2006 sind immer mehr Texte und Theorietraktate auch auf Deutsch verfügbar. Auch die Zahl deutscher Dschihadisten, die ab 2008 immer wieder aus Waziristan Botschaften und Videos auf Deutsch verschickt haben, hat zugenommen. Der Zugang zu Propagandamaterial ist leichter geworden. Man muss auch längst nicht mehr ausreisen, man kann auch von zu Hause am Schreibtisch an der globalen Dschihadbewegung teilhaben, indem man Videos untertitelt, neu zusammenschneidet und verbreitet – so eine Art Copy-Paste-Dschihadismus. Man kann relativ einfach teilhaben und zumindest zum Terrorunterstützer oder Sympathisanten werden.

Wie kommt ein 19-Jähriger überhaupt in ein Terrorcamp? Man kann ja keine Pauschalreise buchen...
Nein. Es lädt einen auch in der Moschee niemand ein und predigt den Aufbruch ins Terrorcamp. Das findet in kleineren Zirkeln statt, in denen oft auch Ältere über die nötigen Kontakte zu radikalen Gruppen oder zu Schleusern verfügen, die sie über verschiedene Wege – zum Beispiel die Türkei und den Iran nach Pakistan bringen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Kampftraining im pakistanischen Grenzgebiet.

Das klingt so, als wäre auch der Zufall im Spiel. Haben die jungen Dschihadisten überhaupt genaue Vorstellungen davon, was sie in Waziristan erwartet und wem sie sich anschließen?
Manche sagen tatsächlich: Hauptsache Dschihad, egal wo und wie. Das ist zum Teil bizarr, wie naiv sich die jungen Leute da oft irgendwem anschließen. Ob das im Irak ist, in Afghanistan, in Jemen oder in Somalia, ist zweitrangig, und zum Teil wissen sie gar nicht, wie die Gruppe heißt.

Du hast auch mit Angehörigen und Freunden gesprochen von Leuten, die in Afghanistan gestorben sind – wie haben diese Leute die Radikalisierung erlebt? Die Eltern, mit denen ich gesprochen habe, haben das zwar bemerkt, aber nicht erkannt, wie radikal die Gruppe ist, in der ihr Sohn drin war. Und sie haben unterschätzt, wie schnell die Radikalisierung gehen kann. In manchen Fällen kommen die Eltern an ihre Kinder auch gar nicht mehr ran. Eine Mutter hat erzählt, dass sie einfach nicht einschätzen konnte, was die Veränderungen ihres Sohnes zu bedeuten hatten. Im Nachhinein wünschte sie sich, es hätte eine Beratungsstelle gegeben, die so eine Lage realistisch einschätzen kann. Denn – das muss man ja auch sagen – selbst wenn sich jemand in der Salafistenszene bewegt, heißt das noch lange nicht, dass er gleich im Terrorcamp landet. Diese Leute sind immer noch eine Minderheit innerhalb der Minderheit Salafismus. Ich möchte auch davor warnen, jetzt irgendwelche Checklisten zu machen und den Verfassungsschutz anzurufen, sobald jemand einen Bart und eine Häkelmütze trägt.

Gibt es solche Beratungsstellen denn gar nicht in Deutschland?
Das fängt erst so langsam an. Es gibt in Berlin das „Zentrum Demokratische Kultur“, das so etwas ins Leben gerufen hat. Es gibt auch ein paar Selbsthilfegruppen oder Betroffeneninitiativen von Angehörigen. Da wachsen die ersten Pflänzchen, aber es gibt zum Beispiel keine aus der Zivilgesellschaft heraus gewachsenen Aussteigerinitiativen wie Exit im Beispiel Rechtsextremismus.

Das letzte Kapitel deines Buches trägt die Überschrift „Prävention statt Repression“. Hat die BRD ein schlüssiges Gesamtkonzept, um die Radikalisierung von Jugendlichen zu verhindern?
Man hat über Jahre die Sicherheitsgesetze verschärft und ein gemeinsames Terrorabwehrzentrum gegründet. Über diese Aufrüstung hat man allerdings die Seite der Prävention vergessen. In anderen Ländern läuft das besser. In England zum Beispiel gibt es Aussteiger aus der Militanz, die Anlaufstellen geschaffen haben und natürlich eine ganz andere Street Credibility genießen. Da wirkt es, wenn die einem jungen Radikalen sagen, dass Dschihadisten, die ihn anstacheln wollen, seine Religion missbrauchen. Deutschland hängt da etwas hinterher. Es gibt Versuche, auch von Seiten des Innenministeriums, da aufzuholen. Das Problem ist nur: Wenn man das von staatlicher Seite macht, ist die Hürde extrem hoch. Bei Anlaufstellen aus der Gesellschaft wäre das einfacher.

"Jung, deutsch, Taliban" von Wolf Schmidt ist im März im Christoph Links Verlag erschienen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Text: christian-helten - Fotos: dpa, Urban Zintel

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