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Dünn und online sein

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Wenn man derzeit irgendwo im Internet das schöne Leben anschauen kann, dann auf „Pinterest". Die Nutzer teilen dort Bilder von modischer Kleidung, schicker Einrichtung und traumhaften Reisen. Doch das noch vergleichsweise junge Netzwerk hat in seinen Richtlinien noch kein Verbot selbstgefährdender Inhalte festgesetzt. Daher tauchen nun auch Bilder abgemagerter Frauen und das Hungern verherrlichende Sprüche dort auf, weil, wie „Jezebel" berichtet, junge Frauen, die sich der „Pro Ana"-Bewegung zurechnen, auf der extrem visuell geprägten Plattform sogenannte „Thinspirations" austauschen.

„Pro Ana", eine Abkürzung für „Pro Anorexia", propagiert Magersucht als Lebenseinstellung und Dünnsein als höchstes Ziel. Um das Hungern durchzuhalten, motivieren sich die Mädchen mit Bildern extrem schlanker bis abgemagerter Frauen, den sogenannten „Thinspirations" oder „Thinspos", ermutigen sich gegenseitig und geben sich Tipps, wie sie ihre Magersucht vor dem Umfeld geheim halten und weiter vorantreiben können. Doch als ernstzunehmende Krankheit nehmen sie die Sucht nicht wahr. Sie idealisieren sie und verstehen sie als sinnstiftenden Lebensinhalt.

Die „Pro Ana"- und die ihr ähnliche „Pro Mia" („Pro Bulimie")-Bewegung entstanden vor etwa zehn Jahren in den USA. Seit 2006 ist das Phänomen auch in Europa zu beobachten. Blogs und Foren wurden gegründet, die die Krankheit verharmlosen und auf denen sich Betroffene austauschten und gegenseitig bestärkten, weiter abzunehmen. Bestimmte Erkennungsmerkmale, etwa in Form von Armbändern, entstanden, „Thinspirations" wurden ausgetauscht und Mädchen fanden sich zu Abnehm-Paarungen zusammen, um gemeinsam dünner zu werden. Ein Manifest in Form eines Briefes von "Ana", in dem sich die Krankheit als beste Freundin anpreist, entstand. Auch Symbole, solche für Leichtigkeit und den anzustrebenden dünnen Körper wurden geprägt: Schmetterlinge, Federn oder Libellen. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, dass eine solche Bewegung, die Zusammenhalt und als Ziel Schönheit und Perfektion verspricht, junge Mädchen fasziniert. „Studien haben gezeigt, dass die Nutzung solcher Angebote nicht ohne Risiko ist", sagt Katja Rauchfuß von jugendschutz.net, die sich vor allem mit Selbstgefährdung im Internet auseinandersetzt, „erwachsene, gesunde Frauen hatten nach der Sichtung ein negativeres Selbstbild, vergleichbare Effekte gab es bei Heranwachsenden. Man muss davon ausgehen, dass die Wirkung auf junge Mädchen ungleich stärker ist als auf Erwachsene, da ihr Körperbewusstsein noch nicht so gefestigt ist."



Jugendschutz.net führte 2006 die erste umfassende Recherche zu deutschsprachigen „Pro Ana"-Angeboten im Internet durch. Heute kann jeder Seiten mit zweifelhaftem Inhalt über ein online-Formular melden. Daraufhin wird geprüft, ob es sich um ein alternatives Selbsthilfeangebot oder um jugendgefährdendes oder entwicklungsbeeinträchtigendes Material handelt, das die Krankheit verherrlicht oder einseitig positiv darstellt und nicht über Hilfsangebote informiert. Dann wird zunächst der Anbieter der entsprechenden Seite informiert und zur Abänderung der drastischen Inhalte aufgefordert. Auch die Weiterleitung an die Jugendmedienaufsicht oder ein Indizierungsantrag bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien ist möglich. Ist eine Webseite indiziert, muss sie für Kinder- und Jugendliche unzugänglich sein und darf nicht verlinkt und beworden werden. Deutsche Suchmaschinen haben sich zudem verpflichtet, dass indizierte Seiten bei ihnen nicht mehr als Suchergebnisse erscheinen.

Zwischen 2006 und 2011 wurden rund 1600 Angebote recherchiert und gemeldet. Handlungsbedarf bestand in etwa 80 Prozent der Fälle. In 90 Prozent davon wurden die Inhalte geändert. Wenn der informierte Plattformbetreiber mehr tun möchte als die Seiten von seinem Server zu verbannen, kann er eine „Platzhalterseite“ an die entsprechende Stelle setzen, die eine örtliche Beratungsstellensuche und Links zu seriösen, auch anonymen Hilfsangeboten beinhaltet. „Wir fordern von den Anbietern allgemein mehr Verantwortungsbewusstsein, weil sich hinter jedem Angebot potentiell betroffene Nutzer befinden. Die werden alleingelassen, wenn das Angebot einfach gelöscht wird“, sagt Katja Rauchfuß, „wir wollen das die Anbieter mithelfen die Betroffenen da abzuholen, wo sie sich im Internet bewegen, und sie genau dort auf gute empfehlenswerte Angebote hinweisen.“

„Pinterest" ist nicht das erste Netzwerk, das für „Pro Ana"-Inhalte genutzt wird. Ob Facebook, YouTube oder SchülerVZ, überall melden sich Nutzer mit szenetypischen Nicknames an, tauschen „Thinspos" und Tipps aus und gründen Gruppen. Nach Einschätzung von Katja Rauchfuß haben die Pro-Selbstgefährdungsangebote innerhalb der Netzwerke zwar nicht die gleiche destruktive Qualität wie die „Pro Ana"-Webseiten, doch gehe von ihnen ein erhöhtes Risiko aus: „Die Kommunikations- und Videoplattformen gehören zu den bevorzugten Angeboten von Kindern und Jugendlichen, sodass die Gefahr der unbeabsichtigten Konfrontation vergleichsweise hoch ist." In jedem Netzwerk können Nutzer zweifelhafte Inhalte selbst melden. Meist werden diese gelöscht, nur selten gibt es konkrete Hilfs- und Beratungsangebote. Eine Ausnahme bildet eine vom Betreiber moderierte Gruppe namens „Essstörung? Wo finde ich Hilfe?" auf SchülerVZ.

„Pinterest" steht nun zumindest unter Beobachtung. Generell gilt es, Netzwerkbetreiber auf die Risiken hinzuweisen, denn sie haben es selbst in der Hand, ihre Richtlinien entsprechend zu ändern. Erst vor Kurzem hat das zum Beispiel Tumblr getan, sodass dort nun jede Art von selbstgefährdenden Inhalten verboten ist. Vor allem aber wird man dort bei der Suche nach bestimmten Stichworten auf Hilfsangebote hingewiesen. Denn das reine Verbot würde ignorieren, dass im Internet nicht alle auf der Suche nach dem schönen Leben sind.

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bietet eine Beratungsstellensuche für Betroffene mit einer Essstörung an. Viele weitere Stellen bieten Hilfe und Selbsthilfe, zum Teil auch anonym an, so z.B. hungrig-online.de, anad.de, magersucht.de oder ess-stoerungen.net. Weitere Links findet man auf der Seite der BzgA.

Text: nadja-schlueter - Foto: kemai / photocase.com

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