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Wer nichts wird, wird tätowiert

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Einer der Telefonstreiche von „Studio Braun" funktionierte so: Ein Mann ruft bei einem Tattoo-Studio an und klagt sein Leid. Der Arme hat sich im Suff seine Telefonnummer auf die Stirn stechen lassen und jetzt rufen ihn ständig Leute an. Leider nur Spaßvögel und keine Frauen. Der Tätowierer meint, er solle die Nummern von einem Spezialisten entfernen lassen. Doch der Anrufer aus Hamburg möchte die Vorwahl von Bremen hinzufügen. Dann hätte er endlich seine Ruhe – bis ans Lebensende. Eine etwas krude, aber durchaus nachvollziehbare Art, das Problem zu lösen. Finde ich.

Es gibt kaum etwas, das bleibender ist als ein Tattoo. Männer verewigen die Namen ihrer Freundin auf der Haut. Dumm nur, wenn die nach ein paar Monaten weg ist. Manchmal hat man Glück, wenn die alte Herzdame Nina hieß und die neue Janina heißt. Dann muss man nur zwei Buchstaben ergänzen und alles ist wieder im Lot. Aber was macht man, wenn dann die nächste Freundin auf „Burglinde" hört? Der Fußballtrainer Markus Babbel lässt sich sogar den Namen jedes Vereins tätowieren, bei dem er arbeitet. In der Hire&Fire-Gesellschaft von Fußballtrainern kann das dazu führen, dass Herr Babbel irgendwann ein totaltätowiertes Gesamtkunstwerk aus Vereinsnamen und Wappen wird. Und was macht er, wenn kein Platz mehr da ist? Dann muss er vielleicht sogar den Job bei Real Madrid ablehnen.

Auch ich trage eine Tätowierung: die Sonne Ludwigs XIV. Im Sommer 1993 ließ ich mir das Motiv bei „Tattoo Al" in der Baaderstraße in München stechen. Tätowierungen hatten damals noch den Touch der oldschool Asozialness. So was trugen halbseidene Typen aus dem Rotlichtmilieu, Matrosen oder andere Menschen außerhalb des bürgerlichen Kontextes. Ich war damals junger Offizier, das war noch eine tattoofreie Zone. Daher wurde ich auch komisch angesehen, als ich unter der Gemeinschaftsdusche stand und meine Sonne die Kameraden anlächelte. Es war vollkommen unschicklich. Vorsichtshalber erzählte ich auch nichts meinen Eltern. Die hätten dafür kein Verständnis gehabt, denn Körperschmuck in Form von Ankern, Herzen mit Pfeilen oder Tränen unter dem Auge waren noch nicht in den Einbauküchen der Mittelklasse angekommen. Sagen wir es mal so: Tätowierungen waren verrucht.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Alf Frommers Tätowierung auf dem Oberarm: Die Sonne Ludwigs XIV.

Das änderte sich schlagartig. Wenn ich die 90er Jahre beschreiben müsste, würde ich sagen: Sie sind ein expressionistisch wirkendes Tribal-Tattoo am Arm einer Michelle Hunziker. Und die lief zuletzt bei der Mutter aller Weichspülersendungen „Wetten dass...?" rum. Mit dem Tribal. Der Marsch durch die Institutionen endete im öffentlich-rechtlichen Familien-Fernsehen. Mehr geht nicht. Trotzdem fragt man sich, warum jemand in ein Tätowier-Studio rennt, atemlos auf irgendein verschlungenes, undefinierbares Etwas zeigt und sagt: „Das lasse ich mir jetzt für immer gut sichtbar an meinem Arm anbringen." Aber genau das haben Millionen gemacht. Sie sprangen vom Sofa auf, im Fernseher lief RTL2, wo andere Menschen mit Tribals, Delfinen oder so genannten Arschgeweihen herumliefen, und wollten das auch haben. Tätowierungen haben wieder etwas Unterschichtiges, aber eher in der Sorte Frauentausch. Menschen wie du und ich, mit schlechterem Geschmack, mieserer Ausbildung und größerem Drang zum Exhibitionismus. Der Anker wurde verdrängt von Tribals und die jetzt von Sternen. Irgendwann sind die Menschen zum Tätowierer gegangen und wollten keine indianischen Zeichen mehr, sondern Sterne. Passend zum Dschungelcamp? Oder zu Twitter? Man weiß es nicht.

Im Grunde schäme ich mich heute wieder für mein Tattoo. Aus einem anderen Grund: Wenn Bettina Wulff eine Tätowierung trägt oder eine Pseudo-Hippe Moderatorin wie Dunya Hayali ihren Körperschmuck herzeigt, dann löst das bei mir Grauen aus. Denn wenn ich daran denke, dass ich auch tätowiert bin, dann habe ich mit denen ja etwas gemeinsam. Ein bedrückender Gedanke (meine Sonne schaut auch ganz traurig). Manche Leute glauben, nur weil sie sich dämliche Schriftzüge, geheimnisvolle Zeichen oder ihren Hund auf den Oberarm oder andere unaussprechliche Körperteile tätowieren lassen, wären sie irgendwie Outlaw. Nein seid ihr nicht. Ihr bügelt eure Wäsche mit einem Drachen am Hals auch nicht cooler. Im Gegenteil. Außerdem gibt es nichts Erotischeres als Arschgeweihe, die man an Frauenkörpern sieht, wenn sie sich gerade nach den Pampers bücken – perfekt kombiniert mit einem verrutschten String-Tanga.

Ich habe ab und an überlegt, ob ich meine Sonne untergehen lassen soll. Für immer. Denn nicht tätowiert zu sein ist allemal besser, als an einem Baggersee zu liegen und nur Menschen mit Sonnen zu sehen. Vor allem Menschen, mit denen man eher nichts zu tun haben will. Letztlich habe ich es nicht gemacht. Denn meistens denke ich gar nicht mehr an mein Tattoo. Es ist da. Es gehört zu mir. Es darf weiter scheinen. Jetzt spielt aber ein anderer Gedanke in meinem Kopf: Ich möchte mir ein zweites Tattoo stechen lassen, eines, das mein erstes auf eine ironische Basis stellt. Das wäre dann sozusagen meine Bremer Vorwahl. Es ist nur ein kurzer, aber prägnanter Satz: „I hate Tattoos." Mal sehen, ob ich einen Tätowierer dafür finde. 

Text: alf-frommer - Cover: tagstiles.com / photocase.com; Foto: privat

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