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Der Drill des Gefällt mir

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Jetzt.de: Dein Buch heißt: „Generation Gefällt mir.“ Warum braucht Deutschland noch ein Generationenbuch?
Leo Fischer: Diese Frage habe ich mir natürlich auch gestellt, als der Lappan-Verlag mit genau diesem Titel auf mich zukam. Mich hat er überzeugt, weil ich selber praktisch nur noch über Facebook existiere, mein gesamtes soziales Leben über Netzwerke abwickle und es mir einfach marktschreierisch und aufdringlich genug erschien, um darunter ein paar Titanic-Texte zu veröffentlichen.  

Nervt es dich nicht selbst auch, dass wir zwei-, dreimal im Jahr von irgendeinem Buch typologisiert werden?
Ja selbstverständlich. Ich verstehe das mehr als eine Parodie auf diese Generationenbücher. Es strahlt eher eine allgemeine Stimmung aus, wenn man überhaupt so weit gehen will. Es sind alles Texte, die in Titanic oder verwandten Publikationen wie der Wahrheitsseite der Taz erschienen sind. Thematisch eher facettenreich. Es spricht mehr einen Vertreter der Generation an, als dass es die Generation behandelt.  

Der Leser erwartet ein Buch über soziale Medien, wird aber dann von Kapiteln über Jimmy Blue Ochsenknecht, Wolfgang Schäuble oder den Traumberuf des Managermönches überrascht. Wo sind die Gemeinsamkeiten?
Nunja, es sind alles Zeitgenossen, nicht wahr? Folglich alles Themen, die uns bewegen. Da ist natürlich Gefällt mir eine relativ wage Klammer. Eigentlich ist das Gegenteil wahr. Die meisten dieser Personen gefallen mir außerordentlich schlecht bis fast gar nicht. Wir haben aber dank der Medien sehr geringe Chancen, Missfallen überhaupt noch auszudrücken. Vielleicht ist es das, was die Texte überhaupt noch zusammenhält. Meine Befürchtung ist, dass der Drill des Gefällt mir keine andere Möglichkeit lässt, als so auf diese Leute zuzugehen. Wir haben ja nur noch den Nachrichtenstrom, und dann können wir die Produzenten dieser Nachrichten entweder dafür belohnen oder wir können sie mit Nichtachtung strafen. Aber debattieren, verändern, die Sachen analysieren, zerlegen und neu zusammensetzen, das geht natürlich nicht. Es ist eine Mentalitätsfrage.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Titanic-Chefredakteur Leo Fischer

Wer gehört alles zu dieser Generation?
Alle, die heute leben und sich im weitesten Sinne ihren Medienkonsum über das Internet zusammenstellen. Das zeichnet diese Generation gegenüber der Fernsehgeneration aus. Sie stellen sich ihr wesentliches Nachrichten- und Unterhaltungsprogramm selber zusammen. Da fällt oft das Wort Patchwork und gemeint ist damit die hohe kreative Eigenleistung, die bei der Herstellung der eigenen Realität benötigt wird. Man setzt sich das Fernsehprogramm selber zusammen: Aus heruntergeladenen Filmen, Youtube-Schnipseln, und ausgewählten Nachrichtenquellen. Ein vollkommen individualisiertes Lebensgefühl entsteht. Die Soziologen sprechen da von Cocooning, Einhüllen in Sachen, die mir Wohlgefallen bereiten. Das ist typisch für die Generation zwischen 25 und 35. Sie entwickelt ein Universum des Behagens um sich herum.  

Wo ist der Unterschied zu den Jüngeren? Für die gilt das bisher Gesagte schließlich auch.
Der Gegensatz zu dieser etwas reiferen Generation ist der, dass sie mal ein anderes Internet kennengelernt hat. Ein freieres, anarchistisches Internet, das noch nicht komplett den marktwirtschaftlichen Gesetzen unterworfen war. Wo Konzerne sich eher zaghaft vortasteten. Wo auch Recht und rechtsstaatliche Verfolgung noch keine so große Bedeutung hatten. Die Jüngeren kennen nur das bereits ausgereifte und voll vergesellschaftlichte Internet, in dem politische Parteien voll entwickelt sind und auch machtvoll agieren. Wenn man so will, ist es der Unterschied eines reinen Netzes zu einem stark reglementierten Netz.  

Du schreibst zwar sehr distanziert, sprichst immer von der Generation, selten von uns oder wir, doch es schwingt Selbstkritik mit.
Ja. Es ist sogar eine Selbstanklage. Alle diese negativen Eigenschaften, die ich dieser Generation zuordne, sehe ich an mir in besonders ausgeprägter Form.  

Inwiefern?
Diese Art und Weise, dass das Sozialleben auf Distanz und Kälte basiert. Dass man versucht, alles über E-Mail abzuwickeln. Die mechanisierte Auseinandersetzung  mit dem sozialen Leben ist etwas ganz und gar Schreckliches. Ich rufe die Leute nicht mehr einzeln an, sondern denke, dass es doch reicht, auf Facebook mitzuteilen, dass man nun zwei Wochen im Urlaub ist. Dann gefällt das vielleicht meinen Freunden, aber ich habe mich darüber mit ihnen nicht auseinandergesetzt. Obwohl diese Medien sich als sozial bezeichnen und vorgeblich vernetzen, glaube ich, dass da fast das Gegenteil eintritt.  

Gibt es überhaupt noch eine Fluchtmöglichkeit?
Ich befürchte, es geht immer so weiter. Man kann es nicht rückgängig machen, genauso wenig wie man das Fernsehen, das Radio oder den Buchdruck rückgängig machen kann. Das ist jetzt einfach ein Medium, das da ist. Ich glaube auch, dass das Internet wie wir es kennen, sich bald in diese Formen sozialer Aggregationen ganz auflösen wird und Homepages gar nicht mehr da sein werden, sondern einfach nur noch Bündel solcher Auseinandersetzungen, wie es die bei Facebook schon gibt. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass das erhebliche Verwüstungen in der Mentalität der Menschen anrichten wird. Aber das war auch bei den ganzen anderen Medien so. Der Wandel wurde immer als Katastrophe wahrgenommen. In gewisser Weise war es das ja auch, schließlich war danach nichts mehr wie vorher.  

Was willst du dann bewirken?
Ich schreibe nicht für Leser. Das macht die Titanic insgesamt nicht. Das sind einfach Probleme, mit denen ich mich selber auseinander gesetzt habe oder an denen ich Freude hatte. Oder ich wollte Leute mal richtig saftig beschimpfen. Trotzdem hoffe ich, dass es insbesondere meine Generation trifft und irgendeine Form der Selbstreflektion oder gar des Selbstekels hervorruft.

Text: lena-niethammer - Foto: dpa

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